IM INTERVIEW: JEFFREY TESSLER, DEUTSCHE BÖRSE

"Fusion bietet eine Vielzahl von Chancen"

Vorstand: Gemeinsamer Betrieb der Clearer vorteilhaft für Risikomanagement, Einschlussverrechnung und Sicherheitenmanagement

"Fusion bietet eine Vielzahl von Chancen"

Im Rahmen eines Management-Umbaus hat die Deutsche Börse unter anderem die ehemals eigenständigen Sparten Clearstream und Eurex in einem neuen Ressort zusammengelegt. Jeffrey Tessler, der zuvor bereits für Clearstream verantwortlich war und das neue Ressort leitet, hält die Veränderung für eine gute Idee. Er ist überzeugt, dass dies sich sehr positiv auswirken wird, und glaubt, dass auch die Börsenfusion sehr vorteilhaft sein wird.- Herr Tessler, die Deutsche Börse hat bei ihrer Neustrukturierung ein neues Ressort unter Ihrer Leitung geschaffen, in dem unter anderem Clearstream und Eurex samt Clearinghaus gebündelt sind. Was bringt das?Die Deutsche Börse hat bei ihrer strategischen Neuausrichtung im vergangenen November eine schlaue Entscheidung gefällt. Wir sind weltweit die einzige Börse, die unter einem Dach über einen internationalen Zentralverwahrer, einen Sicherheitenmanagement-Service und ein Clearinghaus verfügt. Durch die Zusammenlegung der Bereiche in einem Ressort haben wir nun die Möglichkeit, die Chancen, die sich aus dieser einzigartigen Aufstellung ergeben, optimal zu nutzen.- Wie wird sich – ihr Zustandekommen unterstellt – denn der Zusammenschluss mit der London Stock Exchange auswirken?Damit gehen wir noch einen Schritt weiter. Die Zusammenlegung würde die Funktionsweise des Marktes positiv beeinflussen und unseren Kunden helfen, ihre regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Auch nach einer Fusion sollen die zentralen Gegenparteien Eurex Clearing und LCH rechtlich voneinander getrennte Gesellschaften bleiben. Sie würden aber künftig unter einem gemeinsamen Dach betrieben. Damit bietet die Fusion eine Vielzahl von Chancen.- Was wäre das zum Beispiel?Ich denke etwa an das Risikomanagement, die Einschussverrechnung, die Sicherheitenverwaltung sowie operative Vorteile. Infolge der Finanzkrise haben Marktteilnehmer zunehmend das Bedürfnis, ihre Geschäfte abzusichern. Sicherheiten sind das Lebensblut des Finanzsystems. Die Fusion würde die Absicherung erleichtern, weil Banken gegenläufige Positionen, die sie bei Eurex Clearing und LCH haben, gegeneinander aufrechnen könnten. Absichern müssten die Institute dann nur ihre offenen Positionen. Und wenn sie weniger Sicherheiten für den Handel brauchen, hätten sie zusätzliche Mittel zur Verfügung, um Geld an Unternehmen zu verleihen und das Wachstum in Europa anzukurbeln. Das würde die Kapitalmarktunion unterstützen. Die genauen Details müssen allerdings noch ausgearbeitet werden.- Welchen Effekt wird die Börsenfusion auf der Verwahrerebene haben?Hier ergeben sich weitere Chancen. Wenn Clearstream und der italienische Verwahrer Monte Titoli unter einem Dach betrieben werden, verfügt der aus der Fusion hervorgehende Börsenbetreiber nicht nur über zwei führende zentrale Gegenparteien, sondern auch über zwei bedeutende Zentralverwahrer. Auf Clearstream und Monte Titoli entfallen schließlich 49 % des T2S-Abwicklungsvolumens. Dadurch ergeben sich erhebliche Optimierungsmöglichkeiten für unsere Kunden, weil wir einen großen europäischen Sicherheitenpool schaffen würden.- Wie sehen Sie sich im Vergleich zum Wettbewerb aufgestellt?Es gibt kein anderes Unternehmen auf der Welt, das einen internationalen Zentralverwahrer, eine Terminbörse, einen zentralen Kontrahenten sowie einen Sicherheitenoptimierungsdienst hat. Das bietet einzigartige Chancen sowohl für die Deutsche Börse als auch für den aus dem Zusammenschluss hervorgehenden Börsenbetreiber. Die DTCC, der zentrale Abwickler und Clearer der USA, verfügt über kein echtes Sicherheitenmanagement. Derzeit gibt es vier global aufgestellte Sicherheitenoptimierungssysteme. Neben Clearstream werden die von der Bank of New York, J.P. Morgan und Euroclear betrieben. Euroclear könnte ein gut vergleichbarer Wettbewerber sein, verfügt aber nicht über eine zentrale Gegenpartei.- Es wird befürchtet, dass die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank die Sicherheitenknappheit erheblich verschärfen könnten. Bekommen Sie das zu spüren?Wir sehen in unserem Verwahrkerngeschäft keine negativen Auswirkungen, sondern sogar einen positiven Effekt. Die Zentralbanken wollen den sogenannten Collateral Squeeze verhindern. Daher haben sie mit uns vereinbart, unsere Securities-Lending-Services zu nutzen, um dem Markt Liquidität zurückzugeben. Die Anleihekäufe wirken natürlich wie ein Deckel auf dem Repo-Geschäft. Aber: Mit der Bundesbank und der Banca d’Italia nutzen zwei führende Zentralbanken jetzt unsere Lending-Plattform.- Wie wirkt sich das Niedrigzinsumfeld auf das Wertpapierleihegeschäft aus?Das Geschäft ist bei uns rückläufig, genau wie der Gesamtmarkt. Allerdings steigt das Interesse bei der Buy Side und bei Corporates. Die regulatorische Landschaft verändert sich rapide, und viele Marktteilnehmer suchen neue Mittel und Wege, um ihr Geschäft neu zu strukturieren. In der Vergangenheit haben Marktinfrastrukturbetreiber vor allem die Banken unterstützt. Das hat die Finanzkrise verändert. Viele Banken unterstützen mittlerweile die direkte Beteiligung der Buy Side, zum Beispiel im Wertpapierleihegeschäft.- Die Umsetzung des T2S-Projekts läuft nicht überall rund. Wie ist die Lage bei Ihnen?Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir im Februar 2017 erfolgreich starten können. Für mich ist eine Sache sehr wichtig: Viele Leute verstehen immer noch nicht das ganze Ausmaß des Nutzens, den T2S für die Finanzbranche schafft. Als das Projekt angeschoben wurde, stand noch die Idee im Vordergrund, die Kosten des grenzüberschreitenden Wertpapierhandels zu senken. Allerdings nehmen Großbritannien, die skandinavischen Länder und die Schweiz nicht teil. Dann kam die Finanzkrise, und die Volumina sanken. Was sich mittlerweile aber herausgestellt hat, ist, dass der eigentliche Nutzen für die Banken, die bislang mit separaten Liquiditäts- und Sicherheitenpools arbeiten, darin besteht, dass sie künftig mit einem einzigen Liquiditäts- und Sicherheitenpool arbeiten werden. Damit wird die Sicherheiten-Verwaltung erheblich effizienter.- Und was bringt das unter dem Strich?Wir haben das untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die durchschnittliche Bank im Euroraum 30 Mill. Euro pro Jahr sparen wird. Bei den globalen Verwahrern betragen die Einsparungen 40 Mill. und bei den großen Brokern 60 Mill. Euro. Diese Studie haben wir dann verschiedenen Banken vorgelegt, und die sind nach einer eigenen Prüfung zu uns gekommen und haben gesagt: Eure Zahlen sind falsch, das Sparpotenzial ist deutlich höher.- Wie ist der aktuelle Stand in Sachen Eurex Asien?Der Ausbau unserer Aktivitäten in Asien bleibt ein wichtiger Teil unserer Strategie, Singapur ist dabei das operative Drehkreuz. Nach einer Fusion mit der London Stock Exchange könnten wir unser Produkt- und Dienstleistungsangebot sogar noch einmal deutlich ausweiten. Wir würden dann den Handel mit Wertpapieren und Derivaten unterstützen, Clearing von börslich und außerbörslich gehandelten Derivaten anbieten, Marktdaten und Indizes zur Verfügung stellen sowie neue Technologien wie die Distributed Ledger oder Blockchain voranbringen. Aktuell konzentrieren wir uns aber darauf, alle für die Fusion notwendigen Genehmigungen zu bekommen. Anschließend können wir bekannt geben, wie es mit Eurex Asien genau weitergeht.- Welche Pläne haben Sie in Sachen Blockchain/Fintech?In Sachen Fintech verfolgen wir den gleichen Ansatz wie auch bei anderen Initiativen wie T2S und der Kapitalmarktunion – wir wollen einer der Akteure sein, die die Lösung prägen. Vor allem bei der Blockchain schauen wir uns sehr aktiv die Lösungen an, welche die Technologie bieten kann. Meiner Meinung nach sind die existierende Marktinfrastruktur und neue Technologien zwei Seiten einer Medaille, wenn es darum geht, die Finanzmärkte von morgen zu entwickeln. Wir befinden uns inmitten einer Phase bislang nie da gewesener technologischer Innovation. Die verändert das Geschäft, das wir betreiben, erheblich. Die Finanzbranche muss lernen, mit diesen Herausforderungen umzugehen und das Maximum aus den neuen Technologien herauszuholen, um Mehrwert zu schaffen. Während wir alle durch die vierte industrielle Revolution navigieren, ist es wichtig, neue Arten des Denkens und Arbeitens zu entwickeln, um alle Vorteile der Technologien zu heben. Das geht am besten gemeinsam. Das ist einer der Gründe, warum die Deutsche Börse sich an Digital Asset Holdings beteiligt hat und Mitglied des Hyperledger-Projekts der Linux Foundation ist.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.