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Fusion von LSE und Refinitiv bringt Assets auf den Markt

Von Christopher Kalbhenn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 23.7.2020 Seit Jahren findet ein Run der Börsenbetreiber auf Finanzmarkt-Assets statt. Vor allem mit den Zielen, größer zu werden und ihr Geschäft zu diversifizieren bzw. weniger zyklisch zu...

Fusion von LSE und Refinitiv bringt Assets auf den Markt

Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtSeit Jahren findet ein Run der Börsenbetreiber auf Finanzmarkt-Assets statt. Vor allem mit den Zielen, größer zu werden und ihr Geschäft zu diversifizieren bzw. weniger zyklisch zu machen, tätigen sie zumeist mittelgroße Transaktionen. Dabei stehen sie in Konkurrenz zu Finanzinvestoren, führen solche Transaktionen teilweise aber auch in Kooperation mit ihnen aus. Die Folgen sind steigende Preise sowie eine schrumpfende Auswahl potenzieller Ziele. Die Deutsche Börse hat zuletzt betont, dass sie in ihrer neuen mittelfristigen Strategie, deren Details noch in diesem Jahr vorgestellt werden sollen, verstärkt auf Akquisitionen setzt, und auch die Mehrländerbörse Euronext ist auf Einkaufstour. Verkäufe wahrscheinlichDurch Zusammenschluss der London Stock Exchange (LSE) mit dem Finanzdatenanbieter Refinitiv werden sich nun mit hoher Wahrscheinlichkeit Akquisitionsgelegenheiten für die Branche ergeben. Denn die EU-Kommission hat Wettbewerbsbedenken gegen die Fusion und hat daher am 22. Juni eine vertiefte Überprüfung gestartet, für die sie eine Frist von 90 Tagen hat. Sofern sie dann an ihren Bedenken festhält, ist es an den Fusionspartnern, der Kommission Abhilfevorschläge zu machen. Die Erklärung der Kommission und auch die Historie sprechen klar dafür, dass es dazu kommen wird, so dass LSE und Refinitiv Vorschläge unterbreiten müssen, zu denen neben Verhaltensverpflichtungen auch Verkäufe von Geschäftsbereichen zählen. Anleihehandel im FokusGanz oben auf der Liste der von der Kommission benannten potenziellen Problembereiche steht der elektronische Handel europäischer Staatsanleihen, in dem die zur LSE gehörende MTS und die zu Refinitiv gehörende Tradeweb derzeit noch Wettbewerber sind und führende Marktstellungen haben, so dass deren Kombination den Wettbewerb schwächen könnte. Der zweite Sorgenbereich betrifft den Handel und das Clearing außerbörslicher Zinsderivate. Hier befürchtet die Kommission durch die Kombination von Tradeweb (Handel) und dem zur LSE gehörenden London Clearing House das Entstehen “signifikanter Marktmacht”. Weitere Bedenken betreffen Echtzeit-Datenfeeds und Desktop-Lösungen wie das Reuters-Produkt Eikon sowie das Index-Lizenzgeschäft bzw. die Kombination der Devisenindizes von Refinitiv mit dem führenden, zu LSE gehörenden Indexanbieter FTSE Russell.Es spricht vieles dafür, dass die 1988 vom Finanzministerium und der Notenbank Italiens lancierte erste elektronische Anleihehandelsplattform MTS auf den Markt kommen könnte. Die Kommission wird kaum eine marktbeherrschende Stellung im elektronischen Handel europäischer Staatsanleihen dulden. Zur Erinnerung: 2012 scheiterte das Fusionsvorhaben der Nyse Euronext mit der Deutschen Börse, weil die Kommission durch die Kombination von Liffe (Nyse Euronext) und Eurex (Deutsche Börse) eine dem Wettbewerb abträgliche marktbeherrschende Stellung im europäischen börslichen Derivatehandel befürchtete und die Trennung von einem der beiden Terminmärkte die Fusion für beide Börsen uninteressant machte.Im Jahr 2017 untersagte die Kommission den Zusammenschluss der Deutschen Börse mit der LSE, weil sie befürchtete, dass dadurch ein De-facto-Monopol im Anleihe-Clearing drohe. Sie schlug zur Abhilfe die Veräußerung der MTS vor. Dies aber verweigerte die LSE, obwohl der Erlösanteil der Anleihehandelsplattform überschaubar ist. Es wurde seinerzeit denn auch vermutet, dass die LSE aufgrund des Brexit und der mittlerweile eingetretenen Verstimmungen im Verhältnis zur Deutschen Börse die Fusion mit der Weigerung absichtlich zum Platzen brachte.Der kleine Erlösanteil der MTS und die Tatsache, dass die EU erneut den Finger auf die Plattform richtet, könnten die LSE nun aber zur Tat schreiten lassen. Schwerer dürfte es ihr fallen, in puncto OTC-Clearing einen Verkauf anzubieten. Dazu ist dieses Geschäft zu wichtig. Hier ist wohl eher ein Angebot von Wohlverhaltensregeln zu erwarten. In den Bereichen Indexlizenzen, Echtzeit-Datenfeeds und Desktop-Lösungen sollten Lösungen in Form von Veräußerungen und/oder Wohlverhaltensregeln möglich sein. Für andere Börsenbetreiber dürfte aber eher die MTS von größerem Interesse sein.So würde die MTS gut zum Beuteschema der Deutschen Börse, sprich zur angestrebten stärkeren Asset-Klassen-Diversifizierung passen. Jedoch könnte eine Übernahme der MTS durch den Frankfurter Marktbetreiber wegen des Quasi-Monopols der Eurex im europäischen börslichen Anleihederivatehandel auf Wettbewerbsbedenken der EU stoßen. Interessant wäre für die Deutsche Börse in jedem Fall die zu Refinitiv gehörende Devisenhandelsplattform FXall. Sie hatte bereits mit Refinitiv über eine Akquisition gesprochen, ehe deren Einigung auf eine Fusion mit der LSE das Vorhaben zu Fall brachte. FXall steht aber nicht direkt im Fokus der EU-Wettbewerbsbedenken. Widerstand Italiens möglichIm Falle der Euronext ergäbe sich bezüglich der MTS kein Wettbewerbsproblem, so dass sich für die Börse eine gute Gelegenheit ergeben könnte, ihr Anleihehandelsgeschäft erheblich auszubauen. Die Euronext, die im Falle der spanischen Börsenholding BME nicht zum Zuge gekommen ist bzw. auf ein Gegengebot auf die Offerte der Schweizer Six Group für die BME verzichtet hat, hat bereits Interesse an einer Übernahme der zur LSE gehörenden Borsa Italiana bekundet, falls diese im Zuge der Refinitiv-Fusion zum Verkauf gestellt werden sollte. Das aber könnte auf Widerstand der italienischen Regierung stoßen. Im April kündigte sie an, eine bestehende Regelung zu verschärfen, nach der sie intervenieren kann, um den Erwerb strategisch wichtiger italienischer Unternehmen durch ausländische Konkurrenten zu verhindern. Zu den Sektoren, auf die diese Regelung erweitert werden sollte, zählt die Finanzbranche, und Beobachter halten für möglich, dass die Regelung auch im Fall der Borsa Italiana zur Anwendung kommen könnte. Der Vizepräsident des Gremiums des italienischen Parlaments, das die Geheimdienstaktivitäten überwacht, warnte bereits vor einem Zugriff “der Franzosen” auf die Borsa Italiana. Seit der Ankündigung der vertieften Prüfung der Fusion von LSE und Refinitiv verstärkt sich in Italien die Spekulation, dass die Regierung die Borsa Italiana verstaatlichen könnte.In den Fokus könnte auch die MTS geraten, da diese für den Handel italienischer Staatsanleihen sehr wichtig ist und damit auch als zu schützendes “strategisches Unternehmen” eingestuft werden könnte. Die MTS bzw. ihr Aufstieg zu einer führenden elektronischen Anleihehandelsplattform ist zudem die große Erfolgsstory des italienischen Finanzmarktes.