IM INTERVIEW: ARNE SEBASTIAN FRITZ UND CHRISTOPH METZELDER

"Fußball allein ist zu wenig"

Quartiersgedanke und Multifunktionalität von Stadien öffnen den Markt für externe Investoren - Geringeres finanzielles Risiko für Vereine und Kommunen

"Fußball allein ist zu wenig"

Oft schwer erreichbar und an den meisten Tagen wie leer gefegt: Ein Stadionumfeld ist in der Regel kein Ort, an dem man sich außer an Spiel- und Eventtagen gerne aufhält. Das muss dem Bauexperten Arne Sebastian Fritz, Head of Sports and Entertainment beim international tätigen Beratungs- und Projektmanagementunternehmen Drees & Sommer, sowie Christoph Metzelder, ehemaliger Profi-Fußballer und Nationalspieler, zufolge so nicht sein. Im Interview beleuchten sie, wie Städte und Kommunen ihre Stadien und Sportstätten aufwerten können, damit sie auch wirtschaftlich erfolgreicher werden, und vor welchen Herausforderungen Vereine und Betreiber dabei stehen.- Herr Fritz, Sie begleiten seit einigen Jahren Stadien- und Sportstättenbauprojekte. Welche Entwicklungen beobachten Sie aktuell in diesem Bereich?Fritz: Die Sportbranche befindet sich aktuell in einer Umbruchphase. Grund dafür sind zum einen die sich verändernden und steigenden Ansprüche der Fans und Besucher. Denn heute wollen sie bei einem Stadionbesuch möglichst viel erleben und mitnehmen. Gleichzeitig wirken sich die voranschreitende Digitalisierung, die Entwicklung innovativer Technologien oder auch wachsendes Nachhaltigkeitsdenken auf die Stadien- und Sportstättenprojekte aus. Das stellt viele Akteure der Sportbranche vor neue Herausforderungen.- Die meisten Stadien sind trotzdem oft voll ausgelastet. Im Großen und Ganzen scheint es ja für Vereine und Stadionbetreiber alles ganz gut zu laufen.Fritz: Ja, das stimmt sicher für die 17 bis 20 Heimspiele pro Saison und in manchen Stadien ein paar Konzerte im Jahr. Die restliche Zeit steht eine Arena oder Sportstätte dafür unbenutzt und bringt somit wirtschaftlich nichts ein. Denn die Mieten und Rechnungen für Instandhaltung und Betrieb müssen natürlich trotzdem bezahlt werden. Damit Stadion- und Sportstättenprojekte wirtschaftlich erfolgreicher werden, ist ein Umdenken erforderlich.- Und welche Handlungsempfehlung geben Sie konkret? Fritz: Zum Beispiel, dass Vereine, Investoren, Bauherren und Kommunen innovative Stadionkonzepte brauchen, die eine multifunktionale 365-Tage-Nutzung ermöglichen. Fußball allein ist zu wenig. Sportstätten können und dürfen nicht mehr isoliert existieren. Eine Kombination unterschiedlicher Angebote aus Wirtschaft, Gewerbe, Forschung und Entwicklung bietet hier große Potenziale. Zudem sollte ein Um- oder Neubauprojekt stärker in die Stadtentwicklungsplanung integriert werden. Ziel ist, dass sich Besucher im Stadion- und Arenenumfeld gerne auch außerhalb der Spiele aufhalten.- Herr Metzelder, Sie haben eine Karriere als Profi-Fußballer hinter sich. Aktuell sind Sie Trainer der U19-Mannschaft in Haltern am See und als Unternehmer tätig. Letztlich überwiegt doch auch wirtschaftlich der sportliche Erfolg, oder?Metzelder: Klar, der Erfolg eines Stadions als Sportstätte korreliert selbstverständlich mit dem sportlichen Erfolg. Dennoch sollten sich die Vereine, Investoren und vor allen Dingen die öffentliche Hand als Betreiber und Financier vieler Stadionprojekte ein Stück weit davon abkoppeln. Denn die hohen Investitionen in ein Stadion lassen sich nicht durch die ausschließliche Nutzung für einige Fußballspiele, Konferenzen und Events im Jahr decken. Mit einer konventionellen Herangehensweise wäre beispielsweise das Stadionbauprojekt in Haltern am See kaum zu realisieren. Das Vorhaben könnte zu einer Art Vorzeigeprojekt werden – und das nicht nur für kleinere Vereine. Auch größere Vereine würden von einem multifunktionalen Ansatz erheblich profitieren. – Ist das der Grund, warum Sie mit Drees & Sommer zusammenarbeiten?Metzelder: Das ist einer der Gründe. Als ich Arne Fritz und somit auch Drees & Sommer kennenlernte, haben wir schnell festgestellt, dass wir uns aus zwei unterschiedlichen Richtungen demselben Thema nähern: einer multifunktionalen Nutzung und damit auch einer besseren Auslastung und Finanzierung von Sportstätten. Für mich ist es ein großer Vorteil, mich mit Experten auszutauschen, die sich mit baulichen und technischen Aspekten von Stadionbauprojekten auskennen. Denn das Unternehmen hat großes Know-how in Bereichen wie Infrastruktur oder Stadtentwicklung und hat bereits viele Bauvorhaben begleitet.Fritz: Der Austausch und die Zusammenarbeit mit Profi-Sportlern wie Christoph Metzelder geben uns die Möglichkeit, die Branche und somit auch unsere Kunden besser zu verstehen. Wenn wir ihre Bedürfnisse, Strukturen und Prozesse gut kennen und das mit unseren Erfahrungen aus aktuell mehr als 3 400 Projekten anderer Branchen wie Hospitality, Retail oder Healthcare verbinden, können wir optimale Nutzungskonzepte erarbeiten und sie gemeinsam erfolgreich umsetzen.- Erläutern Sie bitte, wie ich mir ein innovatives Stadionkonzept genau vorstellen muss.Fritz: Zum Beispiel können neben Fußballspielen und Konzerten weitere Nutzungen wie etwa Büroflächen, Restaurants, Kinderbetreuungseinrichtungen, Arztpraxen, Einkaufszentren, Fitnessstudios oder gar Start-up Locations in ein Stadion integriert werden. Damit werden zum einem über das ganze Jahr hinweg zusätzliche Einnahmen erzielt. Zum anderen kann durch attraktive Angebote für Jung und Alt die Verweildauer der Besucher und Fans im Stadionumfeld verlängert werden. Statt eine Stunde vor dem Spiel zu kommen, reist eine Familie dann zum Beispiel morgens an, geht gemeinsam shoppen und essen und bleibt nach dem Turnier auch länger da, um beispielsweise eine Runde Bowling zu spielen.- Und was hindert die Vereine und Betreiber bisher daran, solche Konzepte umzusetzen, Herr Metzelder?Metzelder: Die Treiber der großen Stadionprojekte in Deutschland waren die Weltmeisterschaften im eigenen Land. Während es 1974 fast ausschließlich um Sportveranstaltungen ging, wurden die Konzepte 2006 um Hospitality, Konzerte und Events erweitert. Dennoch bleibt der sportliche Erfolg des Heimvereins die wesentliche Erlösquelle und bedingt unmittelbar die weiteren Einnahmefelder. Solange die Vereine in der Bundesliga spielen, geht das Modell auf, beim Abstieg in die 2. oder gar 3. Liga funktioniert der Business Case dann nicht mehr. In der Regionalliga oder noch drunter reden wir dann eigentlich nur noch über öffentliche oder private Prestigeobjekte ohne Aussicht auf eine Refinanzierung der Investitions- oder Betriebskosten.- Das heißt, es gibt einen Unterschied, ob ein Neu- oder Um- bauprojekt von einem Erstligisten oder Oberligisten realisiert wird?Metzelder: Definitiv. Durch die Einnahmesituation in der 1. und mit Abstrichen auch der 2. Bundesliga reden wir dort von einem tatsächlichen Wirtschaftsbetrieb. Darunter muss man auch heute vielfach noch von Mäzenatentum und Liebhaberei sprechen. Dementsprechend ist auch die Herangehensweise. Bis zur 3. Liga geht es um die reine Realisierung von Stadien und damit die Hoffnung, über mehr Komfort, Hospitality-Bereiche und bessere Vermarktungsmöglichkeiten die Einnahmen zu erhöhen. Über eine Verbesserung der Erlösstruktur durch eine vielfältigere Mantelnutzung denkt hingegen niemand nach.- Und beim Profi-Fußball? Metzelder: Im Profi-Fußball dagegen sehen wir immer mehr Standorte, die trotz eines Neu- oder Umbaus an Grenzen geraten – erlöstechnisch, aber auch strategisch. Die Stadien sind voll, die Hospitality-Bereiche auch, jeder Winkel ist vermarktet. Hier besteht die Herausforderung darin, viele Angebote um Stadien herum zu schaffen, um die Verweildauer der Menschen auch unter der Woche zu erhöhen und die Digitalisierung für sich nutzbar zu machen.- Wer trägt denn in der Regel die Investitionen für einen Stadionneubau, und wer profitiert später von neuen Nutzungen?Metzelder: Im Profi-Fußball sind es im Normalfall die Vereine und die öffentliche Hand, die gemeinsam investieren. Hatte man ein stabiles sportliches Fundament und damit ein sicheres Geschäftsmodell, dann reichte in den letzten Jahrzehnten sogar oft die singuläre Nutzung als Fußballstadion aus. Aber selbst Vereine wie der FC Barcelona oder Real Madrid denken mittlerweile neu und bauen ihre Arenen um. Für die Mehrheit der Standorte gilt aber das wesentliche Risiko des sportlichen Misserfolges. Und dann zahlen meist die Kommunen die Zeche für die ausbleibenden Erlöse. Deswegen glaube ich, dass der Quartiersgedanke und eine Multifunktionalität von Stadien den Markt für externe Investoren öffnen und damit auch das finanzielle Risiko für Vereine und Kommunen minimieren werden.- In wenigen Tagen startet die Fußball-WM in Russland. Dafür wurden unter hohem Zeitdruck neue Stadien errichtet oder alte saniert. Herr Fritz, würde das von Ihnen erwähnte 365-Tage-Nutzungskonzept auch hier funktionieren, damit man später leerstehende Stadien vermeidet?Fritz: Natürlich benötigt jedes Stadion und jede Sportstätte eine individuelle und optimierte Lösung. Aber wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen und sich frühzeitig mit neuen Konzepten beschäftigen und diese auch bis zum Schluss verfolgen, steht einer multifunktionalen Nutzung und dem wirtschaftlichen und nachhaltigen Erfolg eines Stadionprojekts nichts im Weg.- Welche Projekte begleiten Sie derzeit in Deutschland, und wie sehen Ihre Leistungen dabei aus?Fritz: Aktuell begleiten wir einige Stadion- und Sportstättenprojekte in Deutschland. Eines davon ist der Neubau des Stadions in Haltern am See. Dort werden sechs zusätzliche Nutzungen, darunter zum Beispiel eine Kita oder ein Restaurant umgesetzt. Auf internationaler Ebene unterstützen wir den Stadionumbau vom FC Barcelona. Das Vorhaben wird als ein Stadtentwicklungsprojekt und nach hohen Nachhaltigkeitsstandards realisiert. Wir begleiten unsere Kunden bei solchen Projekten zum einen mit klassischen Leistungen wie Projektsteuerung und Projektmanagement. Zum anderen beraten wir sie zu Stadtentwicklungsmaßnahmen, Mobilitäts- und Vernetzungsaspekten sowie Nachhaltigkeits- und Energieoptimierungsthemen.—-Das Interview führte Claudia Weippert-Stemmer.