IM BLICKFELD

Gefangenendilemma für Chinas Banken

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 8.4.2020 Im klaren Kontrast zu führenden westlichen Zentralbanken hat sich die People's Bank of China (PBOC) bislang merklich dabei zurückgehalten, mit Zinssenkungen auf die Krisensituation rund um...

Gefangenendilemma für Chinas Banken

Von Norbert Hellmann, SchanghaiIm klaren Kontrast zu führenden westlichen Zentralbanken hat sich die People’s Bank of China (PBOC) bislang merklich dabei zurückgehalten, mit Zinssenkungen auf die Krisensituation rund um das Coronavirus einzuwirken. Unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen, wie das Ankaufen von Anleihen, stehen erst recht nicht auf der Tagesordnung. Freilich ist auch im Reich der Mitte monetäre Lockerung vonnöten, um die Kreditvergabeaktivität anzuregen und vor allem eine Verbilligung von Kreditkonditionen zu ermöglichen, allerdings versucht man es mit sanfteren monetären Maßnahmen. Die chinesischen Banken allerdings fürchten, dass ihre Belange dabei zu kurz kommen. MindestreserveimpulsSeit Mitte März hat die PBOC in zwei Schritten eine allgemeine sowie eine gezielt auf kleinere und ländliche Kreditinstitute gerichtete Mindestreservesatzsenkung verkündet. Die Mittelfreisetzungsmaßnahmen sind geeignet, den Kreditvergabespielraum um umgerechnet rund 73 Mrd. Euro zu erweitern. Darüber hinaus wurde ein Liquiditätseinschuss über 13 Mrd. Euro im Rahmen der als Medium Term Lending Facility (MLF) bekannten einjährigen Refinanzierungslinie für Banken geleistet.Analysten bezweifeln allerdings die Effektivität dieser Maßnahmen. Sie zeigen zum einen ziemlich eindeutig, dass Chinas Zentralbank keineswegs die Absicht hat, das Bankensystem in der anstehenden schweren Zeit besonders großzügig mit Liquidität zu überfluten. Zum anderen gilt es als höchst ungewiss, dass die Mindestreservelockerung die intendierte Wirkung entfaltet. Dazu müssten die freigesetzten Mittel vor allem kleinen und mittleren chinesischen Unternehmen (KMU) zugute kommen, die von der Coronasituation in Bedrängnis gebracht werden. Angesichts tendenziell wackeligen Risikoprofils ist es zweifelhaft, dass Chinas Banken nun bereit sind, im großen Stil auf die besonders gefährdete Klientel zuzugehen. Heftiger EinschnittEine Mindestreservesatzsenkung ist zwar grundsätzlich eine von Banken begrüßte Maßnahme, aber diesmal kommt die Geste der chinesischen Zentralbank mit einem Pferdefuß daher: Zu Wochenbeginn hat die PBOC den Zinssatz auf bei ihr geparkte Überschussreserven der Banken von bislang 0,72 % auf nunmehr 0,35 % mehr als halbiert. Dies soll am unteren Ende des Zinskorridors für eine Konditionensenkung sorgen, die direkt auch auf die Verzinsung von Tagesgeldern im Interbankengeschäft einwirkt.Insbesondere heimische Großbanken, die als fleißigste Mittelanbieter im Interbankenmarkt gelten, werden in diesem Geschäft Zinsertragseinbußen zu spüren bekommen. Das letzte Mal, dass die Verzinsung der bei der Zentralbank geparkten Gelder überhaupt reduziert wurde, war im vierten Quartal 2008, also auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als die Rate von 0,99 auf 0,72 % fiel. Einlagenzins bleibt tabuBislang hatte man in der chinesischen Kreditwirtschaft die Hoffnung gehegt, dass die Zentralbank den seit Jahren bei 1,5 % festgeschriebenen Leitzins für Einlagen zu senken bereit ist (siehe Grafik). Dahinter steht die Erwartung, dass man in der Sondersituation Corona auf eine Art Gefangenendilemma einzuwirken bereit ist, das die Banken in die Margenenge treibt: Während die neue chinesische Kreditzinsbenchmark Loan Prime Rate in den letzten Monaten von 4,35 auf 4,05 % einkürzte und weiter nach unten tendiert, erlauben die Wettbewerbsverhältnisse auf der Einlagenseite keine Zinsreduktionen, und zwar weder bei gesetzlich geschützten Spareinlagen noch bei den höher verzinslichen sogenannten Structured Deposits, einer besonderen Einlagenform in China, die auf kurzfristigen Vermögensverwaltungsprodukten basiert.Der von Marktexperten fest erwartete Befreiungsschlag der PBOC durch eine förmliche Senkung des Leitzinses für Einlagen bleibt nun erst mal aus. Die Zentralbank hat in einem Presse-Briefing kürzlich wissen lassen, dass sie mit Rücksicht auf das Sparer-Massenpublikum die Depositenzinsmarke erst einmal nicht senken wird. Sparerschutz hat VorrangMit Blick auf die Verbraucherpreisinflation, die zuletzt kräftig auf 5,2 % hochschnellte, will man zum einen eine Verschärfung der negativen Realzinsen auf Sparguthaben vermeiden. Zum anderen steht hinter dem Verzicht auf eine Einlagenzinssenkung sicherlich auch die Erkenntnis, dass chinesische Kleinanleger im Zuge der Coronakrise deutlich risikoaverser geworden sind und angesichts flauer Immobilienmärkte nun vor allem wieder auf klassische Sparguthaben setzen.Einer jüngsten Erhebung der Internetplattform Learnbonds zufolge wollen 75 % der Befragten in China unter dem Eindruck der Coronakrise verstärkt in Spareinlagen und Versicherungsprodukte gehen. Für die chinesischen Banken heißt es nun, die Zähne zusammenbeißen und mit tendenziell schwächeren Zinsmargen bei stark erhöhten Kreditausfallrisiken über die Runden kommen. Auch den seit Jahren zuverlässig solide Gewinnfortschritte machenden staatlichen Bankriesen droht nun zumindest in der ersten Jahreshälfte die Ertragspuste auszugehen.