IM INTERVIEW: JÜRGEN GROS

Genossen lehnen EZB-Kreditmelderegister ab

Vorstand des Dachverbands der bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken rechnet mit mehr Fusionen unter den Mitgliedsinstituten

Genossen lehnen EZB-Kreditmelderegister ab

– Herr Gros, welche Lehren ziehen Sie aus der zurückliegenden Spesenabrechnungsaffäre um Ex-Verbandspräsident Stephan Götzl für Ihre Organisation?Die Frage ist charmant und klug gestellt. Aber dennoch werde ich dazu nur das sagen, was wir bislang immer gesagt haben: Aufgrund des schwebenden staatsanwaltschaftlichen Verfahrens äußern wir uns hierzu nicht öffentlich.- Sie müssen sich nicht zu den laufenden Ermittlungen äußern. Was müssen Sie aber im Verband machen, damit sich so etwas nicht wiederholt?Der GVB ist ein moderner Verband. Das impliziert, dass wir uns ständig weiterentwickeln. Um das zu gewährleisten, müssen wir uns regelmäßig selbst überprüfen. Das haben wir getan, und das werden wir weiterhin tun. Die Ergebnisse werden wir in unserer Vertreterversammlung Mitte November präsentieren.- Warum verzichtet Ihr Verband nach diesem Ereignis mit einer Doppelspitze auf das Amt eines Vorstandsvorsitzenden und Präsidenten?Das war eine bewusste Entscheidung aller Beteiligten. Dahinter stand das Ziel, eine Vorstandslösung zu finden, die möglichst viel GVB-Erfahrung einschließt. Alexander Büchel und ich kommen zusammen auf 25 Jahre Verbandskenntnis. Wir bringen ganz unterschiedliche Hintergründe und Sichtweisen auf die Dinge mit – jeder in seinem Zuständigkeitsbereich. Insofern ergänzen wir uns ideal.- Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer neuen Funktion?Wir binden alle Mitarbeiter, insbesondere die Führungskräfte, in die weitere Entwicklung des Verbands intensiv mit ein. So haben wir kürzlich zu einer Führungsklausur eingeladen, um das Leitbild des GVB weiter zu präzisieren. Wir haben alle für uns relevanten Felder durchdekliniert und in einem Zielbild zusammengefasst, was künftig Verbandsanspruch ist. Und der lautet: Der GVB schafft Mitgliedernutzen.- Was heißt das konkret?Das heißt, alle Leistungen des Verbands müssen einen eindeutigen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg unserer Mitglieder bringen. Angebote sollen praxistauglich sein. Wir wollen den Mitgliedsgenossenschaften dabei helfen, die Komplexität, mit der sie beispielsweise infolge von Regulatorik und anderen Anforderungen konfrontiert sind, zu reduzieren. Unser Aktionsmotto für das nächste Jahr lautet daher: Vereinfachung und Stringenz.- Es gibt also aus Ihrer Sicht beim GVB Nachbesserungsbedarf?Noch mal: Der GVB ist ein moderner Verband. Dazu gehört auch, sich weiterzuentwickeln. Ich sehe keinen Nachbesserungsbedarf, sondern einen natürlichen Überprüfungsprozess in einem Verband mit hohen Ansprüchen. Wir hatten damit vergangenes Jahr begonnen, jetzt führen wir das fort, auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse unserer turnusgemäßen Mitgliederbefragung.- Was war für Sie in diesem Prozess am aufschlussreichsten?Wir sind auf einem ordentlichen Leistungsniveau, wie aus der aktuellen Befragung unserer Mitglieder hervorgeht. Sie haben uns aber auch einige Dinge ins Stammbuch geschrieben, die wir in ihrem Sinne verändern wollen. So müssen wir weiter an einem klaren Verbandsprofil arbeiten. Hierbei gibt es offenkundig Unschärfen.- Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?Wir müssen Zielsetzungen der Verbandsarbeit intensiver kommunizieren. Wir müssen weiter daran arbeiten, innovative Ideen zu entwickeln, die Schritt halten können mit den wachsenden regulatorischen Anforderungen, aber auch mit denen, die aus dem Markt kommen. Wir müssen ebenso weiter daran arbeiten, den hohen Dienstleistungsanspruch unserer Mitglieder zu erfüllen.- Welche Dinge im Zuge der Regulierung meinen Sie konkret?Vor allem die kleineren Kreditinstitute unter unseren Mitgliedern bewegen sich an einer latenten regulatorischen Überforderungsgrenze. Wir unterstützen sie, die Dinge zu verstehen. Wir wollen Lösungen anbieten, die unternehmerischen Mehrwert bieten. Wichtig ist mir dabei die Vokabel Lösungen. Denn unsere Organisation neigt dazu, viel über Konzepte zu reden, dabei rückt der Lösungsansatz mitunter etwas aus dem Blick. Unsere Mitglieder sehen das aber ganz pragmatisch. Sie wollen eine Hilfestellung bei der Bewältigung konkreter Fragestellungen. Das betrifft zum Beispiel die effizientere Gestaltung von Arbeitsabläufen, die Umsetzung von regulatorischen Anforderungen oder Fragen bei Ablaufprozessen im Zuge der zunehmenden Digitalisierung genauso wie die Nachfrage nach innovativen Ansätzen, die bei der Positionierung im Markt helfen.- Wie sieht es bei der Lobbyarbeit aus?Unsere Mitglieder bestärken uns dabei, Problemfelder, die sich bei ihnen auftun, und Interessen, die sie haben, weiterhin zu artikulieren. So gibt es eine ganze Reihe von Regulierungsmaßnahmen, die sich am Horizont abzeichnet und den Interessenvertreter fordert. Zum Beispiel das von der Europäischen Zentralbank geplante Kreditmelderegister Anacredit. Das würde einen immensen Arbeitsaufwand bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken und eine Menge Verunsicherung bei ihren Kunden auslösen.- Wie stehen Sie zu dem Thema Anacredit?Wir sehen Anacredit extrem kritisch. Es wird dazu führen, dass eine immense Zahl von Krediten erfasst wird. Je nachdem, wie hoch die Meldeschwelle angesetzt wird, beträfe das allein in Deutschland bis zu 90 Millionen Kredite. Zudem steht im Raum, an die 150 Merkmale pro Kredit erfassen zu wollen. Die Multiplikation zeigt, was für ein Datenberg hier aufgetürmt werden soll. Da stellt sich erstens die Frage nach dem Sinn. Denn es ist sehr fraglich, ob die EZB mit diesem Wust an Informationen für mehr Finanzmarktstabilität sorgen kann. Zweitens stellt sich die Frage, ob dort irgendjemand bedenkt, was das bei den Banken für einen Aufwand auslöst. Drittens stellt sich die Frage, ob dort irgendjemand im Blick hat, welche Sorgen das bei den Kunden auslöst. Schließlich geht es um deren Daten.- Das tangiert die Themen Datenschutz und Bankgeheimnis.Die Kunden würden absolut gläsern werden. Wenn man dann sieht, dass im Rahmen der geplanten EU-Kapitalmarktunion leise darüber nachgedacht wird, Informationssysteme für Investoren zu etablieren, die auf Anacredit aufsetzen, wird mir angst und bange.- Ebenso deckt sich das Kreditmelderegister wohl nicht mehr mit dem Mandat der EZB, nicht wahr?Wir haben erhebliche Zweifel, dass diese Datenmenge so zielgerichtet ausgewertet werden kann, dass sie der EZB für ihre Entscheidungen hilfreich wären und ein Mehr an Finanzmarktstabilität geschaffen würde.- Sie sind für politische Themen/EU im Vorstand zuständig. Wollen Sie das Auftreten des GVB gegenüber der EU-Kommission schärfen?Eine der Aufgaben des GVB ist die Vertretung der Interessen seiner Mitglieder. Unsere Interessenvertretung richtet sich nicht gegen einzelne Institutionen, sondern anlassbezogen gegen jene, bei denen wir sehen, dass wir Interessen unserer Mitglieder einfordern müssen. Das kann in Brüssel genauso sein wie in Berlin oder in München. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir hier etwas verändern sollten. An der Stelle ist das Profil des GVB klar.- Gibt es diesbezüglich Reibungspotenzial mit dem Dachverband BVR?Nein, das Gegenteil ist der Fall. Hier gilt das gute alte genossenschaftliche Prinzip: Viele schaffen mehr als einer. Wir stimmen uns bei allen Themen eng miteinander ab. Gerade jetzt, wo wieder viele neue Themen der Finanzmarktregulierung aufkommen, ist das entscheidend. Zum Beispiel beim Thema Einlagensicherung.- Jean-Claude Juncker ist nun fast ein Jahr Präsident der EU-Kommission. Wie bewerten Sie seine bisherige Arbeit beim Thema Bankenunion?Herr Juncker ist gar nicht so sehr auf die Bankenunion fixiert, sondern eher auf die Kapitalmarktunion. Juncker hat dazu mit seinen Kommissionskollegen Jonathan Hill die Maßstäbe definiert. Daran können wir den Kommissionspräsidenten gut messen. Die Kapitalmarktunion steht unter dem Motto, Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Sie soll aber auch den Anstoß dazu geben, zu prüfen, ob alle bisherigen Regulierungsmaßnahmen stringent sind. Das Maßnahmenpaket ist sehr umfangreich. Juncker und Hill haben durchaus noch Potenzial, ihren eigenen Maßstäben gerecht zu werden.- Welche Punkte meinen Sie?Es betrifft vor allem alle Fragen der Mittelstandsfinanzierung. Denn der Mittelstand ist der wesentliche Treiber für Wachstum und Beschäftigung in unserem Land. Deswegen ist es für uns wichtig, von der Kommission ein klares Bekenntnis zu bekommen zu den Eigenkapitaldefinitionen für Mittelstandskredite, zu Fristentransformationen, zur Unterlegung von Zinsänderungsrisiken, zu Kreditstandards und zu Regulierungsbelastungen durch die EZB.- Dazu will sich die EU-Kommission bis Jahresende detailliert äußern.Positiv finden wir, dass die Kommission im Rahmen der Kapitalmarktunion eine Konsultation zur Regulierungsstringenz aufgenommen hat. Daran werden wir uns beteiligen. Wir werden dabei auf Widersprüche in der Regulierung hinweisen, aber auch sagen, welche Regelungen stringent beizubehalten sind.- Das Thema Eigenlagensicherung als Säule der Bankenunion treibt aber die EU-Kommission erneut um. Brüssel arbeitet dazu an einem Rückversicherungskonstrukt. Was meinen Sie dazu?Wenn das so käme, hätten wir faktisch eine Transferunion. Das lehnen wir ganz klar ab. Denn mit einer EU-Eigenlagensicherung werden alle bestehenden Brandschutzmauern zwischen den nationalen Einlagensicherungssystemen eingerissen. Damit riskiert man, dass sich Bankenkrisen in einem Teil Europas zum EU-weiten Flächenbrand ausweiten. Ein solches System fördert zudem riskante Bankgeschäfte, weil die Gemeinschaft der Seriösen und Soliden für das Fehlverhalten einzelner in Haftung genommen werden soll. Das ist nicht unser Verständnis von Sicherheit. Ich finde es positiv, dass im Bundestag die Erkenntnis reift, das so nicht mehr hinzunehmen und man einen Entschließungsantrag plant. Ich halte das für ein wichtiges Signal nach Brüssel und an die Bundesregierung.- Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage Ihrer 279 kreditgenossenschaftlichen Mitgliedsinstitute?Die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken wachsen in diesem Jahr weiter sowohl im Einlagen- als auch im Kreditgeschäft. Insbesondere haben sie bei den Firmenkrediten ein Wachstum, das bislang über dem Vorjahr liegt. Die Nachfrage nach Darlehen ist hoch. Das ist auch ein positives Signal für die Gesamtwirtschaft. Denn es zeigt, dass die Unternehmen investieren.- Das Zinstief hilft hier, nagt aber zugleich an der Ertragskraft der Volks- und Raiffeisenbanken. Wie wird sich 2015 das Ergebnis entwickeln?Trotz des Wachstums sind die Margen rückläufig. Das ist dem Zinstief geschuldet, aber auch den steigenden Kosten infolge der zunehmenden Regulierung. Daher wird sich das Betriebsergebnis vor Steuern im laufenden Jahr um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte der durchschnittlichen Bilanzsumme reduzieren. Das ist ein Trend, der uns die nächsten Jahre begleiten wird.- Was wollen Sie machen, um bei den Kosten gegenzusteuern?Die reine Kostendiskussion, die derzeit geführt wird, greift zu kurz. Klar, es muss auf der Kostenseite nachgearbeitet werden. Das machen unsere Institute auch intensiv. Sie prüfen zum Beispiel, welche Arbeitsprozesse weiter digitalisiert werden können. Das betrifft etwa die Bearbeitung von Kreditanträgen oder die Umsetzung von Regulierungsanforderungen. Aber darüber darf die Marktbearbeitung nicht vergessen werden.- Wie wollen die Mitgliedsinstitute dabei ihre Marktanteile halten?Indem sie Wachstumspotenziale ausschöpfen, die der Markt bietet und die mit ihrem konservativen Risikoverständnis vereinbar sind. So wollen die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken die ganzheitliche Betreuung der Kunden, insbesondere der Firmenkunden, stärken. Da bietet unter anderem das Auslandsgeschäft noch einiges an Potenzial. Es hat durchaus Sinn, in der Lage zu sein, mit den Kunden mitzuwachsen und sie auch bei Auslandsaktivitäten unterstützen zu können, die mittlerweile selbst für viele kleine Mittelständler selbstverständlich sind.- Wird sich die Konsolidierung unter den Mitgliedsinstituten fortsetzen?Die Zahl der kreditgenossenschaftlichen Institute wird auch in Bayern weiter abnehmen. Das steht außer Frage. Dabei müssen die Volks- und Raiffeisenbanken den äußeren Umständen Rechnung tragen. Es kann sich durchaus als zielführend erweisen, mit Fusionen gewichtigere Losgrößen zu schaffen, um den Markt besser zu bearbeiten und auf den steigenden Wettbewerbsdruck zu reagieren. Das Zinsumfeld beschleunigt diese Entwicklung. Zudem lässt sich mit Zusammenschlüssen etwas Regulierungsdruck abpuffern. Denn die Fixkosten für ausufernde Meldepflichten oder dergleichen schlagen in kleineren Einheiten stärker durch.- Wie viel Fusionen wird es dieses Jahr geben?In diesem Jahr hatten wir bisher sieben Fusionen im Verbandsgebiet. Im kommenden Jahr wird die Zahl mit zehn bis zwölf voraussichtlich darüber liegen.- Was heißt das für die Filialstruktur Ihrer Mitgliedsinstitute?Sie sind in der Fläche stark, und sie werden das auch in der Zukunft sein. Fusionen sind nicht mit einem Rückzug aus der Region gleichzusetzen. Was natürlich vorkommen kann, ist, dass die Fusionspartner Filialen am selben Ort zusammenlegen. Unabhängig davon sind unsere Mitgliedsinstitute mit über 2 922 Filialen und Geschäftsstellen flächendeckend in Bayern vertreten.- Ist dies noch zeitgemäß, wenn man die Digitalisierung berücksichtigt?Wir werden sicherlich auch dem geänderten Kundenverhalten Rechnung tragen. Der Kunde erwartet längst nicht mehr die unmittelbare Präsenz von Fachexperten in jeder Filiale, dafür aber andere Kommunikationswege mit seiner Bank. Das heißt, der Finanzexperte steht dann zur Verfügung, wenn der Kunde ihn braucht. Uns ist klar, dass Digitalisierung wichtig ist. Das müssen wir clever zusammenbringen mit unserer bisherigen Stärke, der Nähe zum Kunden. Das ist unser Anspruch. Ob man dafür den derzeitigen Filialumfang braucht oder einen geringeren, das wird der Kunde durch sein Verhalten mitentscheiden.- Wettbewerber dünnen ihr Filialnetz unter anderem wegen der Digitalisierung deutlich aus. Warum nicht Sie?Wer dicht am Kunden ist, hat die Chance, gute Geschäfte zu machen. Deshalb basiert unser Konzept auch künftig auf der Filialstruktur. An dieser Determinante werden wir festhalten. Die unmittelbare Nähe zum Kunden unterscheidet uns von manchen Wettbewerbern, die in Bayern weniger präsent sind. Wir haben in der Vergangenheit viele Muskeln aufgebaut. Jetzt muss man sehen, welche wir noch stärker trainieren müssen.—-Das Interview führte Stefan Kroneck.