Gericht gewährt Einblick in die Wirecard-Vernehmungsprotokolle
„Ab 2018 ist das aus dem Ruder geraten“
Wirecard-Kronzeuge belastet Markus Braun und Ex-CFO
Von Stefan Kroneck, München
Der Strafprozess im Wirecard-Betrugsskandal vor dem Landgericht München läuft schon fast ein Jahr. In der Verhandlung vom 30. November brachte ein vom vorsitzenden Richter abgespielter Tonmitschnitt aus dem Jahr 2020 zum Verhör des Kronzeugen Oliver Bellenhaus durch die Staatsanwaltschaft neue Details an die Öffentlichkeit.
Darin belastet der Ex-Konzernstatthalter in Dubai den Hauptangeklagten, Ex-CEO Markus Braun, sowie den mitangeklagten ehemaligen Konzernchefbuchhalter, Stephan von Erffa, schwer. Auch die Rollen des flüchtigen Ex-Vorstands Jan Marsalek und des früheren CFO Alexander von Knoop werden durchleuchtet.
Ab wann bei Wirecard alles aus dem Ruder lief
In seiner Befragung durch die Strafkammer bestätigte ein ehemaliger Ermittlungsbeamter die Aussagen von Bellenhaus während dieses Verhörs nach dem Zusammenbruch von Wirecard im Juni 2020. „Ab 2018 ist alles aus dem Ruder geraten“, sagte der Kronzeuge seinerzeit. Er meinte die wachsende Dimension des Drittpartnergeschäfts (TPA), welches sich als Luftschloss herausstellte.
Bellenhaus berichtete von übernommenen Händlerportfolios und von Zukäufen in Indien und auf den Philippinen. Diese Aktivitäten hätten dazu gedient, TPA aufzublähen. Die Firmenübernahmen basierten auf einem „Sparbuch-Modell“. Den Zielobjekten verkaufte Wirecard vor Abschluss des Erwerbs Software zu deutlich überhöhten Preisen. Diese IT floss in die Unternehmensbewertung mit ein.
Die kreditgebenden Banken, die die Übernahmen mit Darlehen an Wirecard vorfinanzierten, mussten dadurch mehr Fremdkapital zur Verfügung stellen, als eigentlich nötig gewesen wäre. Die Kaufsumme überstieg somit deutlich den Firmenwert. „Die Kreditlinie aus M&A hat man konvertiert in TPA.“ Wirecard habe zudem versucht, die TPA-Kundenbasis zu erweitern. „Die Kunden kamen von Marsalek“, schilderte Bellenhaus mit Verweis auf Händlerportfolios, für die Millionen ausgegeben worden seien. Das diente dazu, Brauns Finanzvorgaben zu erfüllen.
Kronzeuge Bellenhaus wollte kündigen
Im Frühjahr 2019 wollte Bellenhaus nach eigenen Angaben kündigen. Darüber informierte er Braun, Marsalek und Erffa. Das Trio konnte ihn davon abhalten. Erffa drohte seinerzeit damit, ebenfalls zu kündigen, sollte Bellenhaus gehen. Der Kronzeuge fühlte sich in dem System so gefangen, dass selbst eine Kündigung als Ausweg nicht mehr gereicht hätte.
Dem Zeugen zufolge reagierte Bellenhaus damals überrascht auf den Hinweis der Ermittler, dass Erffa für seine Tätigkeit ein Jahressalär von 700.000 Euro bezogen habe. Laut Bellenhaus war Knoop ein Mitwisser. „Ja, er war nicht aktiv beteiligt, aber er wusste was.“ Die Staatsanwaltschaft führt ihn als Beschuldigten. Das Gericht lud den Ex-CFO im Oktober in den Zeugenstand. Er erschien aber nicht. Knoop verwies auf sein Aussageverweigerungsrecht. Er führte das Ressort von 2018 bis zur Insolvenz.