Gericht hinterfragt Braun kritisch
sck München – Am 15. Hauptverhandlungstag in der juristischen Aufarbeitung des Bilanzbetrugs von Wirecard ist der Ex-Vorstandsvorsitzende vor dem Landgericht München mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert worden. Markus Braun zufolge sollte im März 2020 im Rahmen der seinerzeitigen Sonderprüfung durch KPMG eine Testüberweisung von den dubiosen Treuhandkonten in Südostasien in Höhe von 440 Mill. Euro vorgenommen werden. Dies hätten er, Braun, und der damalige Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann „veranlasst“. Der Hauptangeklagte räumte auf Vorhaltung des Vorsitzenden Richters Markus Födisch ein, dass es zu dieser Transaktion aber nicht gekommen sei.
Zur Begründung berief sich der gebürtige Wiener auf Erklärungen des dafür damals zuständigen Konzernbereichs, dass es hausinterne „Prüfprozesse“ gegeben habe. Diese hätten darauf abgezielt, festzustellen, ob die Überweisung „überhaupt durchgeführt“ werden könne. Man habe sich dabei auf Vorgaben der zuständigen Zentralbank berufen, so Braun in seiner Einlassung.
Seiner Erinnerung nach hat ihm das möglicherweise Jan Marsalek so berichtet. „Aus damaliger Sicht bin ich davon ausgegangen, dass die Gelder vollständig verfügbar sind. Ich hielt die Überweisung für einen ultimativen mathematischen Beleg, dass die Gelder vorhanden sind“, so Braun.
In Juni des gleichen Jahres stellte sich endgültig heraus, dass 1,9 Mrd. Euro auf Treuhandkonten philippinischer Banken gar nicht existierten. Diese Summe gab Wirecard als Deckung an für das sogenannte Drittpartnergeschäft (TPA) in Asien, welches sich ebenfalls als Luftbuchung entpuppte. Zu Beginn seiner Erklärung vor zweieinhalb Wochen stritt Braun sämtliche Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft München ab (vgl. BZ vom 14. Februar). Ihm und zwei weiteren Angeklagten werfen die Strafermittler unter anderem gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Der Kronzeuge Oliver Bellenhaus, Ex-Statthalter des Konzerns in Dubai, legte zuvor ein umfangreiches Geständnis ab. Darin beschuldigte er Braun vor Gericht schwer. Bellenhaus bezeichnete den Hauptangeklagten als „Spiritus Rector“ des Bilanzbetrugs, der Marktmanipulationen und der Fälschungen.
Braun selbst stellt sich als unschuldiges Opfer dar. Bei der Frage nach der Verantwortung verweist er auf Marsalek, der sich seit der Aufdeckung der kriminellen Machenschaften im Frühsommer 2020 auf der Flucht befindet. Der ebenfalls aus Österreich stammende Ex-Vertriebsvorstand von Wirecard ist für den TPA-Bereich zuständig gewesen.
In seiner Befragung von Braun stieß Födisch währenddessen auf weitere Ungereimtheiten in dessen Aussagen. Dabei ging es auch um die Ad-hoc-Meldung des Unternehmens vom 22. April 2020 aufgrund erster Erkenntnisse von KPMG, nachdem der Aufsichtsrat die Wirtschaftsprüfer im Herbst 2019 mandatiert hatte wegen zuvor konkreter Vorwürfe in der „Financial Times“. In der Meldung formulierte seinerzeit Wirecard, dass sich „keine substanziellen Feststellungen“ ergäben, wonach ein Korrekturbedarf in den Jahresabschlüssen 2016 bis 2018 bestanden habe. Belege für die „öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation“ seien „nicht gefunden“ worden. Das löste seinerzeit einen Kurssprung der Wirecard-Aktie aus, weil Anleger dadurch annahmen, dass das Resultat der Sonderprüfung zugunsten von Wirecard ausgefallen ist. Der Vorsitzende Richter wies auf die irreführende Nachricht für den Kapitalmarkt hin. „KPMG konnte nicht prüfen, ob das TPA-Geschäft existiert oder nicht“, entgegnete Födisch mit Blick auf die Festellung, dass Wirecard keine von KPMG geforderten Dokumente nachreichen konnte. Im Zusammenhang mit der Ad-hoc sprach Braun von einem „Entscheidungsspielraum“, den KPMG und Eichelmann ihm „eingeräumt“ hätten. Födisch machte klar, dass diese Angabe so nicht aus dem Mailverkehr in den Gerichtsakten hervorgehe. „Die Ad-hoc war auf dem Spielfeld. Sie hätte so nicht rausgehen sollen“, räumte Braun ein. Födisch verwies zu diesem Aspekt auf anstehende Zeugenvernehmungen vor Gericht.