Carbon Credits

Geschäftige Aktivität am Markt für CO2-Kompen­sationen

Analysten sagen dem Markt für Carbon Credits ein starkes Wachstum voraus. Dies haben viele Gründer als Chance erkannt, das Angebot an Finanzdienstleistungen im Segment weitet sich aus.

Geschäftige Aktivität am Markt für CO2-Kompen­sationen

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Am Markt für freiwillige CO2-Kompensationen geht es geschäftig zu. Denn die im Pariser Klimaabkommen formulierten Klimaneutralitätsziele schaffen hohen Bedarf an Negativ-Emissionen, der laut der Beratungsgesellschaft McKinsey auch über Carbon Credits bedient werden dürfte. Demnach könne die Nachfrage nach diesen Zertifikaten bis 2030 um den Faktor 15 und bis 2050 um den Faktor 100 anziehen – dies haben viele Gründer als Chance erkannt.

Viele Neulinge im Segment „setzen darauf, den Markt einfach neu aufzubauen – also bestehende Standards und historisch gewachsene Abhängigkeiten zu umgehen“, sagt Carsten Buhl, Partner im Bereich Sustainability Services bei der Beratungsgesellschaft EY. Die Zahl neuer Marktteilnehmer steige, der Handel mit über Finanzprodukte abgebildeten Klimaleistungen werde anhalten.

Commerzventures, der Venture-Capital-Fonds der Commerzbank, sieht einige Start-ups als Wegbereiter und Profiteure eines effektiven Carbon-Credits-Marktes. Dazu zähle die 2016 gegründete Over-The-Counter-Plattform Enmacc, über die Investoren Liquidität für den Strom- und Gasmarkt bereitstellen. Aktiv seien dort Versorger, Energiehändler, Banken und Unternehmen aus energieintensiven Industrien. Im Juni vermeldete Enmacc den Start eines neuen Angebots, in dessen Rahmen Gasderivate und freiwillige CO2-Kompensationszertifikate gebündelt werden.

„Direkte Emissionsreduktionen sollten für Unternehmen zwar Priorität haben, CO2-Kompensationen können aber eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung des Klimaschutzes spielen“, sagt Enmacc-CEO Jens Hartmann. Freiwillige Emissionsreduktionen stellten einen bedeutenden Mechanismus dar, um die De­karbonisierung voranzutreiben und Kapital von Umweltverschmutzern an Projekte umzuleiten, die Kohlendioxid einfingen sowie Ausstöße reduzierten. In den kommenden Monaten sollen dann neben dem ersten Anbieter RWE Supply & Trading auch weitere europäische Provider für CO2-kompensierte Gasprodukte auf Enmacc aktiv werden.

Der Londoner Finanzdienstleister Spark Change verkauft indes Daten zu den Carbon-Märkten an Assetmanager, Hedgefonds und Banken, tritt aber auch als Produktanbieter auf. So haben die Briten im vergangenen November das weltweit erste physisch besicherte börsengehandelte Produkt (ETP), das die Kursentwicklung von Futures auf EU-Emissionsrechte abbildet, lanciert. Damit können Investoren laut Spark Change an dem Markt partizipieren, ohne direkt in diesen eintreten und die kostenintensive Infrastruktur aufbauen zu müssen, die dafür nötig sei.

Die zugrunde liegenden Kontrakte verbrieften das Recht, je eine Tonne CO2 auszustoßen – und jede Einheit des Produktes von Spark Change sei durch ein Emissionsrechte-Future besichert. Die Klimagutschriften, die der Finanzdienstleister für sein ETP vorhalte, könnten also nicht von Klimasündern genutzt werden.

„Der freiwillige Kompensationsmarkt wird sich in seinen Projekttypen entschlacken, im Gesamtvolumen aber wachsen“, kommentiert EY-Partner Buhl die Aussichten für den Handel mit Carbon Credits. Im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung aus dem Kyoto-Protokoll eingeführte CO2-Zertifikate liefen aus. Projekte mit Technologien, welche bereits in den nationalen Klimastrategien enthalten sind und somit als nicht zusätzlich gelten, fielen weg. „Dies wird der Qualität des freiwilligen Kompensationsmarktes guttun“, prognostiziert Buhl.

Mangel an Transparenz

Allerdings bleibe das Segment trotz der Start-up-Aktivität kurz- bis mittelfristig von wenigen Teilnehmern dominiert und sei am Beginn seiner Wertschöpfung nicht für jeden zugänglich sowie in Teilen intransparent, schränkt der Nachhaltigkeitsexperte ein. „Klare und transparente Datensätze, auf die Unternehmen und Investoren vertrauen und auf deren Basis sie handeln können, haben im Segment lange Zeit gefehlt“, betont auch Sam Gill, Mitgründer der Analyseplattform Sylvera, die über die Bereitstellung von CO2-Ratings die Finanzierung von Ausgleichsprojekten beschleunigen und zu einer transparenten Preisbildung beitragen will.

Gill, der zuvor als Jurist für Hedgefonds tätig war, hat zahlreiche Schwierigkeiten bei der Auflegung von Vehikeln erlebt, die in erneuerbare Energien investieren sollten. „Ein Projekt, an dem ich gearbeitet habe, hatte den Schutz und die Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern in Pakistan zum Ziel. Fünf Jahre lang haben wir alle Validierungsprozesse durchlaufen, die am freiwilligen Markt für CO2-Kompensationen nötig sind – und trotzdem hatten am Kauf von Carbon Credits interessierte Gesellschaften kein Vertrauen, dass das Projekt seine Versprechen halten würde“, berichtet der Unternehmer, der Sylvera 2020 gemeinsam mit CEO Allister Fury gründete.

Die Kundenbasis der Plattform besteht hauptsächlich aus großen Konzernen, die sich zur CO2-Neutralität verpflichtet haben und Kompensationszertifikate kaufen, um ihre Nettonullemissionsziele zu erreichen. Anders als Agenturen wie Moody‘s, die Vergütungen für die Einstufung der Kreditwürdigkeit von Unternehmen erhalten, wird Sylvera nicht von Projektbetreibern für Ratings bezahlt. „Wir sind uns darüber bewusst, dass sich Interessenkonflikte nicht vollständig ausschließen lassen“, sagt Gill. „Doch die Bereitstellung unabhängiger Ratings für den breiten Markt verringert dieses Risiko aus unserer Sicht erheblich.“

Um umfassende Ratings erstellen zu können, nutzt Sylvera ein Machine-Learning-Modell. Dieses wird mit Daten aus den Landsat-Missionen der US-Weltraumagentur Nasa sowie anderen öffentlich zugänglichen Quellen gespeist. „Die Informationen, mit denen das Modell laufend gefüttert wird, sind eine Schlüsselkomponente – doch damit ein lernfähiges System funktioniert, braucht es auch belastbare Trainingsdaten“, unterstreicht Gill. Daher entsendet Sylvera Mitarbeiter auf verschiedene Kontinente, aktuell arbeiten Teams in Mosambik und Belize. Diese durchleuchten die dortigen Wälder mithilfe eines Lidar-Scanners, um festzustellen, wie viel Kohlendioxid in den Bäumen und im Erdreich abgespalten und gespeichert wird. Zusätzlich nutzt Sylvera einen Lidar, der auf einer Drohne montiert ist und größere Waldflächen scannt – die Daten werden dann mit den Ergebnissen vom Boden kombiniert. „Wir haben inzwischen einen Datensatz mit über einer Million Bäumen aus verschiedenen Ländern rund um den Globus aufgebaut“, sagt Gill.

Fehler mit schweren Folgen

Der Gründer glaubt, dass die Transparenz im Carbon-Credits-Segment bereits gestiegen ist, die UN-Klimakonferenz in Glasgow habe den Fokus verstärkt. Dennoch bleibe viel zu tun. „Daher ist es positiv, dass andere Unternehmen und Start-ups in den Markt für Carbon-Credits-Ratings einsteigen“, sagt Gill. „Wir glauben, dass ein wachsender Wettbewerb gut ist – aber nur, wenn sich neue Anbieter an hohe Standards halten.“ Um korrekte Ratings zu erstellen, sei Gründlichkeit notwendig. So beschäftigt Sylvera rund 130 Datentechniker, Ökologen, Soziologen und Ökonomen. „Wenn unsere Ratings nicht zutreffend sind, könnten wir dazu beizutragen, einem Projekt mit positivem Klimaschutz-Beitrag Mittel zu entziehen oder Greenwashing zu erleichtern“, sagt Gill.

Die Bedeutung genauer Ratings wächst angesichts der zunehmenden Mittelflüsse in den Markt für freiwillige CO2-Kompensationen an­haltend stark. Laut Sylvera ist das Segment nicht länger die Domäne risikoaffiner Rohstoff-Trader. Vielmehr fließe zunehmend Kapital aus konventionellen Quellen in das Segment. „Der Bedarf an ausgebauter Marktinfrastruktur wird durch etablierte Finanzdienstleister bedient werden. Zahlreiche Banken treiben bereits Innovationen voran, um einen ausgereiften Trading-Prozess zu ermöglichen.“

Zuletzt erschienen:

„Wir haben nie aufgehört, Mittel einzusammeln“ (23. August)

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