Geschichte wiederholt sich
Die Geschichte ist eine ewige Wiederholung”, behauptete Thukydides, jener Athener Stratege, der seine Auffassung von den geschichtlichen Kräften vor allem aus seinen Annahmen über die Natur des Menschen, die Motive seines Handelns sowie deren Einfluss auf die Politik ableitete. Am Ende eines von einer beispiellosen Pandemie geprägten Jahres mag es kurios wirken, Parallelen zu ziehen, dennoch: Der Bankensektor erlebt derzeit eine Neuauflage der Verhältnisse zur Finanzkrise. Das Investment Banking boomt, das Massengeschäft lahmt. Damals wie heute lassen die Turbulenzen an den Märkten im Handel die Kasse klingeln und der Kapitalbedarf sowie Restrukturierungen von Unternehmen stimulieren das Geschäft mit Emissionen von Aktien und Anleihen. Tristesse auf der ganzen Linie herrscht dagegen im Retail Banking. Schon wer seinerzeit Prognosen geglaubt hatte, die Einführung aufsichtlicher Liquiditätsvorgaben werde Depositen verteuern und gar eine neue Art von Zinskurve entstehen lassen, musste im Zuge der geldpolitischen Lockerungsorgie bald feststellen, dass er mit Zitronen gehandelt hatte. Wenn die Grundfesten der Wirtschaft wackeln, bringt dies den Händlern der Banken Volatilität und den Primärmarktabteilungen der Institute fette Mandate. Die eigentlich stabilen, auf breiter Basis ruhenden Erträge im Massengeschäft hingegen erodieren. Exemplarisch lässt sich dies an der Deutschen Bank studieren: Dort haben im Neunmonatszeitraum die Erträge in der Investmentbank um 35 % angezogen; in der Privatkundenbank fielen sie um 1 %.Im kommenden Jahr und wohl auch 2022 wird sich an diesem Bild nicht viel ändern. Während die Sanierung der Unternehmensbilanzen das Kapitalmarktgeschäft treiben sollte, werden im Privatkundengeschäft neben der in der Pandemie nochmals gelockerten Geldpolitik die coronabedingten Kreditausfälle verstärkt zu Buche schlagen. Nicht ohne Grund hat die Deutsche Bank jüngst ihre Ertragsprognose fürs Investment Banking heraufgeschraubt; vom Retail-Geschäft erwartet sie 2021 und 2022 kein Wachstum mehr. Geschichte wiederholt sich.Dabei bewegen sich selbst Institute, die Thukydides glauben, im kommenden Jahr in einem maximal ungewöhnlichen Umfeld. Auf der einen Seite scheinen die Umstände so widrig wie nie zuvor, sowohl allgemein in Zeiten von Brexit, Pandemie und islamistischem Terror als auch branchenspezifisch angesichts mangelnder Ertragskraft sowie der Konkurrenz durch neue, in Technik und im Zahlungsverkehr überlegene Wettbewerber. Auf der anderen Seite aber gibt es zugleich kräftig Rückenwind: durch billionenschwere Anleihekaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB), die Banken zudem Geld schenkt, sofern diese ihre Kreditvergabe an Unternehmen nur mindestens auf dem bisherigen Niveau fortsetzen – Refinanzierungskosten sind ohnehin passé. Zugleich lässt die Aufsicht den Häusern in Sachen Kapitalvorgaben bis auf Weiteres denkbar lange Leine, hält deshalb aber bei Dividenden noch den Daumen drauf. Überdies hat der Staat vielerorts unter anderem die Garantie für in der Krise vergebene Kredite übernommen – nachdem die Notenbank die Administration der Märkte übernommen hat, ist die öffentliche Hand zur Steuerung der Kreditvergabe der Banken übergegangen, scheint es. Solche Krisenhilfen verstärken die Verflechtung zwischen Banken und Staaten, die sich schon rächte, als die Finanzkrise relativ nahtlos in eine Staatsschuldenkrise überging. Regulierung und Aufsicht, die nach wie vor zulassen, dass EU-Banken Anleihen aus EU-Staaten nicht mit Eigenkapital unterlegen müssen, haben es damit in der Hand, ob sich in diesem Punkt gemäß Thukydides Geschichte ewig wiederholen soll.——Von Bernd NeubacherDer Bankensektor erlebt eine Neuauflage der Verhältnisse zur Finanzkrise – das Investment Banking boomt, das Massengeschäft lahmt. ——