GASTBEITRAG

Gibt es eigentlich noch Chancen im Anleihemarkt?

Börsen-Zeitung, 15.9.2016 Konservative Investoren bevorzugen Anleihen. Dies gilt besonders für Anleger aus der Versicherungswirtschaft. Sie haben langlaufende Zahlungsverbindlichkeiten im Kerngeschäft mit Anlagen entsprechender Fristigkeit zu...

Gibt es eigentlich noch Chancen im Anleihemarkt?

Konservative Investoren bevorzugen Anleihen. Dies gilt besonders für Anleger aus der Versicherungswirtschaft. Sie haben langlaufende Zahlungsverbindlichkeiten im Kerngeschäft mit Anlagen entsprechender Fristigkeit zu unterlegen. Und dafür kommen in dieser Größenordnung nur Anleiheprodukte in Betracht.Dem Investor in Euro-Anleihen gehen die Alternativen aus. Weltweit liegen die Renditen auf Tiefständen, und von vereinzelten Korrekturen abgesehen werden sie dort auch bleiben. Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft Staatsanleihen auf, bis sie negativ handeln, und drückt nunmehr auch die Renditen der Corporate-Anleihen auf ein Minimum.Wer positive Renditen erzielen möchte, müsste die Laufzeiten nochmals verlängern und setzt sich damit hohen Marktpreisrisiken aus. Auch geringe Zinskorrekturen lösen dann schmerzhafte Kursverluste aus. Oder der Investor folgt der Herde und kauft breit gestreut Corporate-Anleihen, ohne die Bonitätsrisiken verlässlich einschätzen zu können. Neben den makroökonomischen Zyklen gilt es, sich auf schwebende politische Strukturbrüche einzustellen und schlussendlich auch auf die latente Möglichkeit, einmal erworbene Papiere angesichts illiquider Sekundärmärkte nicht veräußern zu können. Schwierige SituationDie Lage ist in der Tat schwierig, aber es gibt auch Lösungsansätze. Klassische Euro-Anleihen bilden nach wie vor den Anlageschwerpunkt von Versicherungen mit Geschäftsschwerpunkt in Euroland. Nun gibt es die Notwendigkeit der renditeorientierten Ergänzung und risikodiversifizierenden Abrundung. Die Lösung verlangt, wohl dosiert und sehr bewusst ins Risiko zu gehen. Voraussetzung dafür ist, sich mit den Risiken intensiv zu beschäftigen, diese zu verstehen und vor allem mit Blick auf deren Tragfähigkeit einschätzen zu können. Verzerrte RisikoprämienLösung 1: in Euro denominierte High-Yield-Anleihen, die nicht auf der Kaufliste der EZB stehen. Die Kaufprogramme verzerren die Preissignale, mit der Folge, dass die sichtbaren Risikoprämien kein verlässlicher Indikator für das Risiko mehr sind. Denn die EZB kauft unabhängig vom Risiko. In den nicht von den Zentralbanken dominierten Märkten reflektieren die Renditen noch eher das Risiko entsprechend der Einschätzung der Marktteilnehmer. Natürlich beeinträchtigen auch hier Substitutionseffekte das Bild.High-Yield-Anleihen mit kurzer Duration können nach sorgfältiger Selektion ein diversifiziertes “Buy & Hold”-Portfolio bilden. Die laufende Rendite wird durch den Credit-Spread bestimmt. Marktverzerrungen schlagen auf das Portfolio weniger durch, da Mark-to-Market-Verluste aufgrund der kurzen Laufzeit begrenzt werden. Die Abhängigkeit vom Sekundärmarkt wird hierbei gebrochen. Auf den Aufbau eines diversifizierten Portfolios und die richtige Analyse der Kreditfähigkeit des Assetmanagers kommt es letztlich an.Auf Investorenseite weiter zu berücksichtigen ist, dass Einschränkungen in der Liquidität zwingend hinzunehmen sind. Ein breit diversifiziertes Portfolio bietet allerdings laufende Rückflüsse aufgrund von Tilgungen bei Endfälligkeit, die Flexibilität mit Blick auf eine ständige Verfügbarkeit ist jedoch deutlich eingeschränkt. Anleger sollten angesichts der eingeschränkten Liquidität und der Kursschwankungen einen längeren Anlagehorizont mitbringen. So lassen sich adverse Marktsituationen aussitzen und es lässt sich eine ordentliche Rendite erzielen.Lösung 2: Neben höherverzinslichen Anleihen können auch ABS-Papiere einen attraktiven Mehrertrag bieten. Im Zuge der Finanzkrise sind Verbriefungen vor allem bei konservativen Investoren zu Unrecht in Verruf geraten. Sie hatten an Wert verloren, weil sie unbegründet in Sippenhaft mit den US-Subprimes genommen worden waren. Ausfälle in Europa hat es schlussendlich aber so gut wie keine gegeben. Bei gründlicher und sorgfältiger Kreditanalyse – das ist die Gemeinsamkeit mit höher verzinslichen Anleihen – lassen sich auskömmliche Renditen erzielen.Die Finanzierung für Emittenten über ABS ist aufgrund der extrem vorteilhaften Liquiditätsbereitstellung der EZB gegenwärtig vergleichsweise weniger attraktiv, weswegen das Angebot an Neuemissionen dünn ist. Auf der Nachfrageseite sind die meisten Investoren aufgrund der restriktiven Eigenkapitalunterlegung weiterhin benachteiligt, teilweise rücken die hohen Anforderungen jedoch in den Hintergrund, wenn alternative Anlagemöglichkeiten negativ rentieren. Die Nachfrage nach Rendite mit geringem Risiko erweitert daher kontinuierlich die Investorenbasis für ABS. Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage unterstützt die Preise der Anleihen, allerdings benötigt ein Portfolioaufbau aufgrund des eingeschränkten Angebots auch eine gewisse Zeit, denn auf eine hinreichende Diversifikation ist zu achten. ABS vergleichsweise attraktivVerbriefungen stehen auch aufgrund der hohen Anforderungen an die Kreditanalysefähigkeit im Schatten vieler Investoren – das macht sie aber gerade attraktiv. Die hohe Ausfallsicherheit der ABS während der Finanzkrise könnte auch weiterhin ein maßgeblicher Vorteil in der Zukunft sein. Dabei sind mit ABS bei gleich gutem Rating deutlich höhere Erträge als beispielsweise mit Unternehmensanleihen zu erzielen.Über die Hälfte der in Euro denominierten Investment-Grade-Unternehmensanleihen mit einer Laufzeit von ein bis fünf Jahren rentieren mittlerweile negativ, nachdem die EZB auch diese Anleihen in das Kaufprogramm aufgenommen hat. Bei ABS-Investments ergibt sich ein wesentlicher Renditevorteil, im positiven Bereich, bei einem niedrigeren Kreditrisiko. Besonders für Investoren, die nicht den strikten Kapitalanforderungen unterliegen, bieten ABS daher derzeit ein attraktives Risiko-Rendite-Profil. So rentieren Verbriefungen von Unternehmensanleihen mit einem “AAA”-Rating gegenwärtig mit einem Renditeaufschlag von circa 100 BPS gegenüber mit “BBB” bewerteten Unternehmensanleihen mit vergleichbarer Laufzeit.Angesichts der Kaufprogramme der EZB haben ABS in den vergangenen Monaten deutlich an relativer Attraktivität gewonnen. Mit Blick auf die Fortsetzung dieser Programme dürfte diese Entwicklung anhalten. Eine Ausweitung des ABS-Kaufprogramms hingegen erscheint aufgrund des knappen Angebots unwahrscheinlich.Lösung 3: Eine weitere Möglichkeit stellen Infrastrukturkredite dar. Das politische Umfeld dafür ist in Europa grundsätzlich günstig. Der sogenannte Juncker-Plan hat zum Ziel, mit überschaubaren Mitteln Investitionen von insgesamt über 300 Mrd. Euro in der EU anzustoßen. Auch in der Solvency-II-Regulierung ist dieser Punkt berücksichtigt, Investitionen sollen nicht behindert werden. Aufmerksam beobachtet wird von privaten Investoren, ob und inwieweit die Europäische Investitionsbank private Folgeinvestitionen auslöst oder private Investitionen verdrängt, was dem Geist des Juncker-Plans widersprechen würde.Infrastrukturkredite erfordern von den Investoren eine hohe Expertise. Auf den ersten Blick hängen Chancen und Risiken solcher Investitionen von ähnlichen Faktoren ab, die auch bei traditionellen Corporate-Anleihen auftauchen. Wer näher hinschaut, sieht allerdings beträchtliche Unterschiede.Neben der Struktur gilt es, die wirtschaftliche Basis im Detail zu verstehen. Beispielhaft seien hier nur das Verkehrsaufkommen bei der Finanzierung eines Autobahnabschnitts oder der Frachtumschlag bei einem Seehafen genannt. Da diese Risiken aufgrund der Langfristigkeit des Investments meist über Jahrzehnte eine entscheidende Rolle spielen können, muss eine tiefgreifende Analyse durchgeführt werden. In Summe gilt: Kaufe nur, was Du auch verstehst. Infrastrukturkredite sind von Haus aus illiquide und müssen auf die Risikotragfähigkeit und den Anlagehorizont des Anlegers abgestimmt sein. Bezüglich der technischen Risiken haben Anleger von Versicherungen einen großen Vorteil, da sie die technische Kompetenz der Versicherung in der Due Diligence nutzen können.Fazit: Klassische Anleihen bleiben weiterhin eine Säule in der Kapitalanlage von Versicherungen, reichen aber nicht aus, um den Renditeerfordernissen zu genügen. Die Kapitalanleger sind schon seit langem abseits der großen Märkte auf der Suche nach Nischen und Segmenten zur Ergänzung der traditionellen Anlage. Sie setzen jedoch eine hohe und umfassende Kreditanalysefähigkeit voraus. Assetmanager sehen dies als Chance und stellen diese Risikokompetenz ihren Investoren zur Verfügung. Für die Kapitalanleger von Versicherungen mit ihrer hohen Risikokompetenz im Kerngeschäft gilt dies im Besonderen. Per aspera ad astra – der Weg ist schwierig, das Ziel aber lohnend.—-Philipp Waldstein, Geschäftsführer der MEAG