Gleiches Drehbuch, anderer Ort: Frankfurt
Wenn Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Börse am Montag zur traditionellen Jahreseröffnung bitten, wird die Erwartung der Financial Community groß sein, am Börsen-Sitz in Eschborn nicht nur Wein, sondern vor allem reinen Wein eingeschenkt zu bekommen. Denn zu widersprüchlich war das, was seit dem Start des Fusionsprojektes zwischen Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) vor knapp einem Jahr von beiden Börsenbetreibern, von ihren Organmitgliedern oder Beauftragten offiziell mitgeteilt, beschlossen, gesagt, angedeutet oder auch als Hintergrundinformation verbreitet wurde. Gab es die behauptete Bedingung der britischen Regierung nach dem Sitz in London überhaupt? Was ist noch verhandelbar, was nicht? Können Deutsche Börse und LSE ohne Einberufung neuer Hauptversammlungen Modifikationen an ihrem Fusionsvertrag vornehmen? Wie steht es um die Kompetenzen des Referendumsausschusses, der sich mit den Brexit-Folgen für die Fusion beschäftigen soll: Kann er nur nachträglich empfehlen oder auch entscheiden? Und wie sieht Plan B aus, wenn die hessische Börsenaufsicht die Fusion untersagt? Knackpunkt HoldingsitzNachdem die betriebswirtschaftliche Logik einer Fusion im vergangenen Sommer die große Mehrheit der Aktionäre überzeugte und inzwischen auch von den meisten anderen Stakeholdern nicht in Frage gestellt wird, konzentriert sich die Diskussion auf die nicht weniger entscheidenden Fragen des Wettbewerbsrechts, der Aufsicht und der standortpolitischen Fragen. Die Fusionskandidaten hatten sich geschmeidig genug gezeigt, drohenden wettbewerbsrechtlichen Einwänden im Clearing vorauseilend zu begegnen, und sie geben sich gesprächsbereit hinsichtlich möglicher Brüsseler Bedenken – und sei es unter Preisgabe mancher erhoffter Synergieeffekte im Clearing. Dafür kristallisiert sich die Sitzfrage der Börsenholding immer mehr zum eigentlichen Knackpunkt des Mergers. Denn die Frage, ob die rechtliche Obergesellschaft als Kapitalgesellschaft (plc) in London ihren Sitz haben kann und darf, wenn Großbritannien wie geplant aus der EU austritt, ist nicht nur aufsichtsrechtlich und damit juristisch, sondern auch politisch heikel. Signal gegen statt für EuropaWie kann es sein, dass sich Frankfurt und Hessen als Standort für all jene Finanzdienstleister in London empfehlen, die weiterhin Zugang zum EU-Finanzmarkt haben wollen, zur selben Zeit aber der Frankfurter Marktbetreiber in eine Fusion einwilligt, bei der die Holding nach dem Brexit ihren Sitz außerhalb der EU hätte? Antieuropäischer geht es ja wohl kaum, aller gegenteiligen Propaganda zum Trotz. Die Reaktion der Deutschen Börse auf das Brexit-Votum hätte nicht im Versuch des Durchwurstelns via Referendumsausschuss enden dürfen, sondern Abbruch und Neuverhandlung verlangt. Zwar hatte Börse-Aufsichtsratsvorsitzender Joachim Faber öffentlich versichert, dass zwischen den Fusionspartnern fest verabredet sei, im Brexit-Fall alles noch einmal zu überdenken, einschließlich der Sitzfrage. Doch das war ausweislich des Fusionsvertrages ebenso eine Schutzbehauptung wie die Aussage Fabers, dass London als Sitz der Holding “die klare politische Vorgabe der Regierung Cameron war”. Dieser Einflüsterung der LSE ist die Deutsche Börse fahrlässig oder gar bereitwillig auf den Leim gegangen, denn die Gegenleistung waren der CEO-Posten und die Aussicht auf den Chairman nach drei Jahren. LSE ohne echte AlternativeNach dem Brexit-Votum ist für die LSE der Schulterschluss mit einem starken Börsenbetreiber in der EU von vitalem Interesse. Nur in einer solchen europäischen Verbindung wird sie als ebenbürtiger Partner gesehen, erhält sie sich den ungehinderten Zugang zum EU-Markt und die Chance zur Teilhabe an der europäischen Kapitalmarktunion und den von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigten Geschäften. Angesichts der Größe des heimischen Finanzplatzes tritt aus Londoner Sicht die Sitzfrage der Holding in den Hintergrund. Für die Aktionäre der LSE spielt sie ohnehin eine nachgeordnete Rolle. Welche Alternative zur Fusion mit der Deutschen Börse hat die LSE? Im Alleingang nach dem Brexit an Gewicht zu verlieren und früher oder später von den US-Konkurrenten CME oder ICE geschluckt zu werden.Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat schon frühzeitig signalisiert, dass die Frage des Hauptsitzes “allergrößten Einfluss” auf die Entscheidung der Börsenaufsicht haben werde. Warum das so ist, hat beispielsweise der Präsident der IHK Frankfurt, Mathias Müller, in diesen Tagen noch einmal erläutert. Die Durchgriffsmöglichkeiten der Landesregierung als Börsenaufsicht auf eine Gesellschaft in London, und damit außerhalb des EU-Rechts, würden zum stumpfen Schwert (vgl. BZ vom 12. Januar). Über aufsichtsrechtliche Aspekte hinaus muss sich die hessische Landesregierung fragen, mit welcher Glaubwürdigkeit sie für den Finanzstandort Frankfurt werben kann, wenn sie einer Börsenfusion mit Sitz der Holding in London zustimmt. Bouffier wird wenig Interesse daran haben, als jener Ministerpräsident in die Geschichte einzugehen, der den Finanzplatz Frankfurt nach London verkauft hat. Neuauflage mit Sitz FrankfurtVorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Börse wären gut beraten, sich nicht länger für eine Fusion zu verkämpfen, die am Ende wenig Chancen auf Genehmigung hat. Leider wird diesen Rat keiner der zahlreich engagierten juristischen, finanziellen und sonstigen Berater geben, die das Fell ihres Wirtes bekanntlich erst verlassen, wenn sie sich vollgesogen haben. Besser wäre es, jetzt schon die Neuauflage des Fusionsprojektes vorzubereiten, um dann nicht noch mehr Zeit als bisher schon zu verlieren. Sie könnte mit geringfügigen Änderungen in der Besetzung, aber nach dem gleichen Drehbuch geplant werden. Es müsste nur eine Ortsänderung geben: Sitz der Holding in Frankfurt.c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringDie Deutsche Börse wäre gut beraten, schon mal an Plan B für das Fusionsprojekt mit London zu arbeiten.——-