Governance-Aspekte detailliert aufgreifen

Kommunikationsstrategie der Investor-Relations-Abteilung ist jetzt am Zug

Governance-Aspekte detailliert aufgreifen

Der Reflex ist stets derselbe: Jedem Skandal, ob bei Volkswagen, der Deutschen Bank, Siemens oder Thyssenkrupp, folgt der Ruf nach einer verbesserten Corporate Governance, intensiverer Kontrolle und einer kritischen Überprüfung der Strukturen, die die jeweilige Krise möglich gemacht haben. In der Tat hat sich im Bereich der Unternehmensführung in den vergangenen Jahren einiges verbessert, auch wenn an offenen Baustellen kein Mangel herrscht. Aber: Die kommunikativen Anstrengungen, Investoren über den Stand der Corporate Governance zu informieren, haben mit den Verbesserungen nicht Schritt gehalten. Denn mit der zunehmenden Bedeutung von Governance wächst auch die Wichtigkeit, diese Inhalte qualitativ hochwertig zu kommunizieren. Insbesondere institutionelle Investoren, die Aspekte der Unternehmensführung in ihre Analyseraster integriert haben, erwarten, dass Investor Relations (IR) für diesen Bereich sprachfähig ist. Relativ neue EntwicklungZugegebenermaßen ist das eine relativ neue Entwicklung. Aspekte der Unternehmensführung haben in der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Wenn überhaupt kamen diese Aspekte im Rahmen der Hauptversammlung zum Tragen, wenn die Agenda mit den wenigen interessierten Investoren oder den Proxy-Voting-Agenturen abgeklärt werden musste. Alternativ wurde Governance zum Thema, wenn es zu spät war und der Krisenfall, den zu verhindern eine Kernaufgabe guter Unternehmensführung ist, eingetreten war.Dementsprechend dämmerte den Beteiligten, dass Corporate Governance auch unterjährig ein Thema sein sollte. Wie ein börsengelisteter Konzern geführt und kontrolliert wird, muss von den Aktionären permanent beobachtet, begleitet und eingeschätzt werden. Zuerst erkannten dies angelsächsische Investoren, die Unternehmensnachrichten der vergangenen Jahre haben aber dafür gesorgt, dass der Ansatz mittlerweile auch in Deutschland für die institutionellen Anleger zum Allgemeingut geworden ist. Denn Verfehlungen bei der Governance, der Verstoß gegen diesbezügliche “Hygienekriterien” oder die mangelnde Bereitstellung aller relevanten Informationen können dazu führen, dass Unternehmen – trotz eines intakten Geschäftsmodells – als nicht investierbar beurteilt werden. Die Gefahr, dass man sich mit einer Beteiligung ein schwer kalkulierbares Reputationsrisiko ins Portfolio kauft, ist schlicht zu groß.Doch auch in Unternehmen, die alles – oder zumindest vieles – richtig machen, hapert es oft an der Fähigkeit, das zu kommunizieren. Häufig fehlen den Mitarbeitern in der Abteilung Investor Relations zumindest in Teilaspekten die erforderlichen Fachkenntnisse. Erschwerend kommt hinzu, dass wirklich qualifizierte Antworten nur der Aufsichtsrat (oder gar der Aufsichtsratsvorsitzende als höchste Instanz der Governance) liefern kann. Aufsichtsratsvorsitzende wiederum zeichnen sich nicht selten durch eine geringe Investorenaffinität aus, zudem fehlt vielen die Übung in der Kommunikation mit den Anteilseignern. Für die Abteilung Investor Relations hat das nicht unerhebliche Folgen: Zum einen müssen die Mitarbeiter neue Kommunikationskanäle mit für sie oft ungewohnten Themen auf- oder ausbauen, zum anderen müssen sie die Insider- und Ad-hoc-Publizität im Auge behalten. Puzzleteile zusammenfügenDass die Investoren sich für zusätzliche Governance-Kommunikation einsetzen, hat mehrere Gründe. Bislang haben es die Unternehmen ihren Aktionären nicht unbedingt leicht gemacht, sich in der Angelegenheit auf dem neuesten Stand zu halten. Governance-Informationen sind im Geschäftsbericht breit verteilt, und die Darstellungen gehen oft nicht tief genug. Der Corporate-Governance-Bericht selbst ist, gemessen an seiner Bedeutung, meist zu knapp gehalten. Wer sich ein Bild verschaffen will, muss sich die Informationen wie Puzzlestücke aus dem Geschäftsbericht zusammensuchen. Viele Investoren haben ihrer Hoffnung auf eine stärkere Systematisierung der Geschäftsberichte bereits Ausdruck verliehen, und es gibt eine Reihe von Initiativen, etwa bei der Schmalenbach-Gesellschaft, die die Informationsstrukturierung verbessern sollen. Geschulter BlickZudem entdecken Investoren die Notwendigkeit, die Governance-Informationen in den Researchprozess zu integrieren. So ergibt sich sowohl aus der weichen Regulierung beispielsweise der PRI (Principles for Responsible Investment) als auch aus der harten Regulierung etwa im Rahmen der künftigen EU-Aktionärsrechterichtlinie eine stärkere Integration von Governance-Aspekten in die Kapitalanlage institutioneller Investoren.Das ist auch gut so. Denn der geschulte Blick auf die Unternehmensführung wirkt wie ein Frühwarnsystem für Ereignis-, Klage- und Reputationsrisiken. Ziel der Analyse ist es, Adressen mit einer schwachen oder weit unterdurchschnittlichen Governance herauszufiltern, um negativen Überraschungen vorzubeugen. Im Zentrum stehen die drei Säulen der Nachhaltigkeit, die auch unter der englischen Abkürzung ESG firmieren. ESG bezeichnet die drei Themenblöcke Umwelt, Soziales und Governance. Den stärksten Erkenntnisgewinn verspricht dabei die Governance-Komponente, sie wirkt als Werttreiber aller drei Themenblöcke. Thematische GrenzlinieWer sich als Investor wirklich umfassend informieren will, kommt um ein Gespräch mit dem Aufsichtsrat nicht herum. Immerhin: Die Zahl der Fälle, in denen ein Gesprächsgesuch mit Verweis auf das Aktiengesetz abgelehnt wird, ist rückläufig. Das vorgebrachte Argument: Laut Aktiengesetz vertritt insbesondere der Vorstand das Unternehmen nach außen. Aus Sicht der Investoren ist der Vorstand allerdings für manche Aspekte schlicht der falsche Ansprechpartner. Beispielhaft sei das Vergütungssystem genannt. Dass der Vorstand mit Blick auf seine eigene Bezahlung nicht unvoreingenommen ist, versteht sich von selbst.Andere Punkte lassen sich ausschließlich mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden besprechen, beispielsweise die Kompetenzprofile der übrigen Aufsichtsratsmitglieder und die daraus folgenden Besetzungsthemen. Hingegen sollten operative Fragestellungen und weite Teile der Strategie mit den Vorstandsmitgliedern diskutiert werden und nicht mit den Aufsichtsräten. Denn Letztere sollten sich zu Grenzbereichen nur im Rahmen ihrer beratenden und überwachenden Funktion äußern. Deshalb sind die Investoren in der Pflicht, die thematische Grenzlinie zwischen den verschiedenen Inhalten, die mit dem Aufsichtsrat und dem Vorstand zu diskutieren sind, sauber zu ziehen. Richtigen Vertreter wählenEbenso wichtig ist es für institutionelle Investoren, den richtigen Vertreter ins Gespräch zu schicken. In der Regel sind die Sektorspezialisten, die ein Unternehmen im Aktienresearch analysieren, die falschen Ansprechpartner in Governance-Fragen. Denn eine ausgeprägte Analysestärke für einen bestimmten Sektor geht nicht zwangsläufig mit einer hohen Kompetenz in Fragen der Unternehmensführung einher. Aus Sicht des Investors sollten zudem das Abstimmen auf Hauptversammlungen und die Analyse der Governance aus einer Hand erfolgen, um einen einheitlichen Qualitätsstandard zu gewährleisten. Investor Relations sollte sich daher für Gespräche mit Governance-Inhalten nicht automatisch an den Sektoranalysten wenden, sondern an den jeweiligen Kompetenzträger. Um eine klare Linie zwischen Vorstands- und Aufsichtsratsgesprächen zu ziehen, empfiehlt es sich zudem, nicht beide Gesprächspartner in ein Format zu pressen. Der Aufsichtsrat sollte aussagekräftige Inhalte auch ohne das Beisein des Vorstands vermitteln können.Abschließend bleibt festzuhalten: Die Kommunikationsstrategie der Abteilung Investor Relations muss künftig Aspekte der Governance detailliert aufgreifen. Die Aufsichtsratskommunikation sollte ein elementarer Bestandteil der Investor-Relations-Arbeit sein, um dem Investoreninteresse gerecht zu werden. Allerdings sind einige Spielregeln einzuhalten, damit die Aufsichtsratskommunikation nicht zum Stolperstein, sondern zu einer Bereicherung für Investoren- und Unternehmensvertreter wird. Dann steht einer besseren Transparenz in Sachen Corporate Governance, die schließlich auch zu höheren Aktienkursen beiträgt, nichts mehr im Wege.—Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Engagement bei Union Investment