INTERVIEW ZUR SERIE NACHHALTIGKEIT IM FINANZSEKTOR (35) - DER FINANZSEKTOR WIRD GRÜNER: ANDREW WILSON, GOLDMAN SACHS ASSET MANAGEMENT

"Governance war immer entscheidend"

Der Co-Head für Europa, Afrika und Nahost über die wachsende Bedeutung von ESG-Kriterien, neue Technologien und flache Zinskurven

"Governance war immer entscheidend"

Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt Andrew Wilson, Co-Head von Goldman Sachs Asset Management, wie der Vermögensverwalter die wachsende Bedeutung von Kriterien der Nachhaltigkeit beurteilt und wie er neue Technologien sowie die Aussichten auf eine Normalisierung der Zinsstrukturkurve einschätzt. – Herr Wilson, ist die Bedeutung von umweltpolitischen, sozialen und Governance-Kriterien gewachsen? Da gibt es zwei Blickwinkel. Von der Anlageseite her machen diese Attribute wirklich einen Unterschied. In der Welt der Aktien kann man mit dem Unternehmen in Kontakt treten und sich über Dinge abstimmen. Vielleicht hat man einen direkteren Einfluss. – Und bei Bonds?In der Anleihenwelt haben Sie keine Stimmrechte oder irgendetwas dergleichen. Sie können sich nur für oder gegen ein Investment entscheiden, was aber immer noch eine wichtige Entscheidung ist. Sie können versuchen, einen Dialog mit dem Management anzustoßen, aber das ist in der Regel mehr an einem Dialog mit seinen Aktionären interessiert. – Es gibt Green Bonds, aber das ist ein kleiner Markt.Ein sehr kleiner Markt. Es gibt also von der Anlageseite her betrachtet Unterschiede. Für uns sind umweltpolitische, soziale und Governance-Gesichtspunkte Schlüsselbestandteile jeder Anlageentscheidung. Keiner will sein Geld in ein Unternehmen mit schlechter Governance stecken. In letzter Zeit ist das zu einem eigenen Thema geworden. Ich würde sagen, dass wir uns unsere Investments immer unter diesen Gesichtspunkten angesehen haben. – Inwiefern?Governance war immer entscheidend, wenn es um Anlageentscheidungen ging. Das Thema ist jetzt etwas in den Vordergrund gerückt. Die Kunden fangen damit an, diese Themen aufzuwerfen. Aber wenn man Bonds von Firmen kauft, die in Bereichen tätig sind, in denen es Umweltprobleme geben kann, muss man stets Fragen stellen wie: Wie sehen die Sicherheitsvorkehrungen aus? Welche Abläufe gibt es? – Wie wurde ESG also zu einem so großen Thema?Es ist zum Thema geworden, weil Kunden uns immer häufiger fragen: Wie denken Sie über ESG? Die Antwort ist: Wir hatten das immer im Kopf, auch wenn wir vor zehn Jahren noch kein spezialisiertes Team für das Thema hatten. ESG-Faktoren bestimmen den Wert eines Unternehmens in der Zukunft. Kunden sehen sich das jetzt an. Dadurch gewinnt das Thema in bestimmten Regionen und Sektoren mehr an Prominenz als in anderen. Es ist zum Beispiel in den USA und bei den öffentlichen Pensionskassen ein großes Thema. – Wie sieht es im Nahen Osten aus?Prioritäten können manchmal sehr speziell sein oder nur für eine bestimmte Region gelten. Für Investoren im Nahen Osten gibt es bestimmte Themen, die besonders wichtig sind. Insgesamt betrachtet habe ich den Eindruck, dass das Thema eine wichtige Rolle spielt. Wir sprechen viel mit unseren Kunden darüber, wie wir über ESG denken und wie wir diese Faktoren gewichten und bei der Anlageentscheidung berücksichtigen. Wir setzen auch viele ESG-Screening-Prozesse für sie um.- Wie würde das aussehen?Da gibt es je nach Anleger sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Manche Investoren sagen uns, sie wollen bestimmte Produkte oder Namen nicht in ihren Portfolios. Das kann zu interessanten Diskussionen führen. Zum Beispiel: Ein Kunde möchte keinen Alkoholhersteller. Aber was ist mit Unternehmen, die ein Zehntel ihres Geschäfts mit Alkohol machen? Was ist mit Unternehmen, die Teil der Beschaffungskette sind? Sollen wir die ausschließen oder nicht? – Was machen Sie also?Wenn Anleger also ein ganz besonderes Themenfeld haben, in das sie nicht investieren wollen, bitten wir sie, uns die Firmen zu nennen, die wir ausschließen sollen. – Gibt es große regionale Unterschiede?In Australien und Neuseeland wird aus meiner Sicht sehr viel Gewicht auf Umweltthemen gelegt. In Teilen Europas spielen soziale Fragen und Governance eine größere Rolle. Die Schwerpunkte sind unterschiedlich. Aber in den vergangenen Jahren hat der Dialog darüber auf jeden Fall zugenommen. – Was bedeutet das für die Rendite?Aus meiner Sicht sagen die meisten Anleger, dass diese Prinzipien für sie wichtig sind, aber dass sie am Ende trotzdem die bestmögliche Rendite erzielen wollen. Wir versuchen da ein Gleichgewicht zu finden, und wir denken nicht, dass sich das gegenseitig ausschließt. – UBS hat sich gerade zum grünen Vermögensverwalter gewandelt. Geht es in der Branche in diese Richtung?Wenn man heute mit Uniabsolventen oder Bewerbern spricht, ist für sie viel wichtiger, welche soziale Funktion unsere Tätigkeit hat. Das interessiert sie einfach mehr. Für einen Vermögensverwalter ist es einfach, das darzustellen: Wir helfen Menschen, damit sie finanziell besser dastehen, wenn sie in Rente gehen. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, geht es unseren Kunden im Alter besser. Unsere Firma hat also einen sozialen Zweck. Viele Anleger sehen das ähnlich. – Sind grüne Themen auch wichtig geworden, um die besten Bewerber anzulocken?Früher war eine der häufigsten Fragen: Wie viel bekomme ich bezahlt? Nicht dass die Höhe der Bezahlung heute keine Rolle mehr spielen würde, aber es kommen jetzt auch Fragen wie: Welchen sozialen Nutzen bringt unsere Arbeit? Mehr als zuvor fragen Bewerber sich, ob sie die Welt durch ihre Arbeit ein bisschen besser machen.- Liefern Firmen, die bei ESG gut abschneiden, eine bessere Rendite?Man muss sehr vorsichtig sein, wie man das analysiert, aber es gibt Hinweise dafür, dass Unternehmen, die sich mehr auf solche Faktoren konzentrieren, langfristig besser abschneiden. Um auf mein Eingangsstatement zurückzukommen: Wenn es bei einem Unternehmen schlechte Arbeitspraktiken gibt, es sich womöglich unverantwortlich gegenüber der Umwelt verhält oder schlechte Governance aufweist, wirkt sich das langfristig auf die Performance aus.- Behandeln einen die Märkte schlechter, wenn man in dieser Hinsicht Defizite aufweist? Manche Daten deuten darauf hin. Es hängt aber von der Perspektive ab und wo man die Grenze zieht. Amazon zum Beispiel macht unser Leben besser und billiger, aber dafür müssen dauernd Lieferwagen unterwegs sein. Wie quantifiziert man so etwas? – Wird sich der Vertrieb von Anlageprodukten durch neue Technologien verändern? Es scheint unvermeidlich zu sein, wenn man überlegt, wie wir heutzutage Dinge kaufen. Man benutzt einfach eine App auf dem Smartphone. Meine Tochter hat sich auf diese Weise eine Armbanduhr bestellt, ohne vom Küchentisch aufzustehen. Mit Anlageprodukten ist es natürlich komplizierter als mit einer Uhr, da mein finanzielles Wohlergehen hiervon abhängt. Der Vertrieb wird sich ändern, aber ich bin mir nicht sicher, wie weit es gehen wird. – Wo liegen die Probleme?Wenn Kunden ein sehr standardisiertes Aktien- oder Anleihenprodukt kaufen wollen, möchten sie sich vielleicht eine App holen und durch sie investieren. Aber was ist mit Produkten, die viel schwerer zu verstehen sind? Wenn das Risiko hoch und Leverage mit im Spiel ist? So ein Produkt könnte für einen erfahrenen vermögenden Investor durchaus geeignet sein, aber was passiert, wenn Personen, die so ein Produkt nicht in Gänze verstehen, es am Ende aus Versehen erwerben? Wenn alles auf einen Klick auf Online-Plattformen zu haben wäre, hätten eine Menge Leute womöglich Produkte im Portfolio, die für ihre Risikotoleranz oder ESG-Kriterien völlig ungeeignet wären.- Wie wäre das zu lösen?Wir verbringen eine Menge Zeit mit der Due Diligence für unsere Vertriebspartner. Wenn jemand unsere Produkte verkaufen will, nehmen wir ihn unter die Lupe. Zudem sind die regulatorischen Hürden höher geworden, wenn man an Mifid II und so weiter denkt. Früher durften Assetmanager sich als Hersteller darauf verlassen, dass der Vertriebspartner an geeignete Personen verkaufen wird. Unter Mifid II haben wir eine gewisse Verpflichtung, sicherzustellen, dass unsere Vertriebspartner in den richtigen Zielmarkt verkaufen. Diese regulatorischen Hürden erschweren den Vertrieb über Finanz-Apps. Denn Hersteller eines Produkts würden vollständig die Kontrolle darüber verlieren, wer Produktangebote erhält.- Innovation findet also anderswo statt?Die Frage ist, was gute Innovationen sind. Es birgt Risiken, alle seine Produkte per App für jedermann verfügbar zu machen.- Wenn man sieht, welche Daten chinesische Finanz-Apps sammeln . . .Und wie viel davon dürften sie überhaupt herausgeben, was wollen Sie herausgeben?- Nach der neuen Datenschutzdirektive . . .GDPR und das regulatorische Umfeld erschweren es, solche Innovationen in Europa zu entwickeln und zu nutzen. Ob das gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen. Es könnte eine gute Sache sein. – Sie machen sich also keine großen Sorgen wegen dieser neuen Technologien?Nicht unter Vertriebsgesichtspunkten, darüber machen wir uns keine Sorgen. Viele dieser Technologien sind eine gute Sache. Wir sind selbst ein großer Hersteller quantitativer Investmentprodukte. Wir nutzen Big Data, um bessere Anlageentscheidungen treffen zu können. Mir geht es darum, diese Technologien so gut wie möglich dafür zu nutzen, die besten Entscheidungen zu treffen. Der Vertrieb ist ein wichtiger Teil unseres Geschäfts. Aber wir sind vorrangig Hersteller. Wir stellen Portfolios her. – Wie funktioniert der Vertrieb?Wir arbeiten eng mit Partnerbanken zusammen, insbesondere im Geschäft mit Privatanlegern. Wir haben Vertriebsvereinbarungen mit diesen Banken, da wir nicht in jeder europäischen Stadt eine Niederlassung haben. – Ändert sich durch den Brexit etwas an Ihrer Haltung zum Standort London?Die Verhandlungen laufen noch. Wir haben noch etwas mehr als ein Jahr vor uns.- Sie könnten auch noch Jahre weitergehen . . .Auf Grundlage der Informationen, die wir heute besitzen, würde ich sagen, dass London für uns mit Sicherheit ein Finanzzentrum bleiben wird. Aber wir werden zweifellos mehr Leute über Europa hinweg haben, um näher an unseren Kunden zu sein. Wir haben Büros in Paris, Amsterdam, Mailand, Stockholm – und natürlich in Frankfurt. Diese Niederlassungen werden in Zukunft größer sein. – Um wie viel größer?Das hängt in hohem Maße davon ab, worauf man sich in den Verhandlungen einigt, wie die Übergangsperiode aussehen wird. Aber da wir unseren regionalen Fußabdruck in Europa vergrößern, werden wir mehr Leute auf dem Kontinent haben als zuvor. Die große Mehrheit wird trotzdem weiterhin in London sitzen. Wir bauen hier ein neues Gebäude, in das wir in etwas mehr als einem Jahr einziehen werden. – Halten Sie die bisherigen Delegationsrechte für gefährdet?Das ist Teil des Verhandlungsprozesses. Es erscheint unwahrscheinlich.- Es würde auch viele Leute außerhalb Großbritanniens betreffen.Natürlich. Diese Delegationsrechte gibt es bereits in anderen Ländern. Wenn wir sie nicht bekommen sollten, bedeutet das nicht, dass all die Jobs nach Europa abwandern. Wir könnten unsere Leute in die Vereinigten Staaten oder Asien versetzen, wo es Delegationsrechte gibt. Wir halten das Risiko zu diesem Zeitpunkt aber für niedrig. – Sind es nicht ziemlich schwierige Zeiten für Fixed-Income-Investoren?Ich fand letztes Jahr ziemlich schwierig in dieser Welt der niedrigen Renditen über alle Assetklassen hinweg. Wir sind ein bisschen optimistischer, wenn wir an 2018 und 2019 denken, weil wir eine Normalisierung beobachten. Ich glaube, wenn wir in zehn Jahren zurückschauen, werden wir uns fragen, wie um alles in der Welt wir bei negativen Zinsen gelandet sind. Zu dieser Normalisierung kommt steigende Volatilität. – Was heißt das?Für Anleger ist es hart, wenn alles jeden Tag ein bisschen teurer wird. In einem solchen Umfeld stehen wir als Assetmanager beratend zur Seite.- Und man zahlt negative Zinsen auf Unternehmensanleihen. Das ist doch ein Witz.Das ganze Konzept negativer Zinsen, jemanden zum Beispiel dafür zu bezahlen, dass er auf Ihr Geld aufpasst, ist in einem Normalisierungsprozess. Es wird Volatilität geben. Es wird Chancen geben. Wir sind optimistisch, dass die Abwicklung des Quantitative Easing (QE) zum Jahresende im Großen und Ganzen beendet sein wird. Notenbanken erhöhen die Zinsen, vielleicht nicht die EZB, aber offenkundig die Fed, vielleicht auch die Bank of England.- Warum ist aus Ihrer Sicht die Zinskurve in den USA so flach? Glaubt man am Markt, dass die Zinsen nicht weiter steigen?Aus unserer Sicht steigen die Renditen, insbesondere in den USA. Aber viele Leute glauben offenbar nicht, dass es Inflation geben kann.- Der Dollar ist auch merkwürdig schwach.An den Märkten erwartet man nicht, dass es starkes Wachstum geben oder der Preisauftrieb Fahrt aufnehmen könnte. Wir würden sagen, dass das Wachstum in den vergangenen Jahren sehr solide gewesen ist. Es sieht so aus, dass es auch so bleiben wird. Es ist breit angelegt, sowohl geografisch als auch über die Volkswirtschaft hinweg, wenn man sich Verbraucherausgaben, Investitionen oder den Außenhandel ansieht. Und rund um den Globus gibt es ein sehr gutes Wachstumsumfeld. Ein Teil der überschüssigen Kapazität ist bereits abgeschmolzen. Das stimmt insbesondere für die USA und den dortigen Arbeitsmarkt. Das Problem, das auch Janet Yellen angesprochen hat, ist, dass sich die Löhne nicht in dem Maße erholt haben, wie man erwartet hätte.- In Großbritannien auch?Ja, aber ich denke, der Druck baut sich auf. Die durchschnittlichen Stundenlöhne sind gestiegen. In den USA verschwinden der schwächere Dollar, die anziehenden Ölpreise und eine Reihe von Einmaleffekten, die im vergangenen Jahr die Inflation niedrig gehalten haben, aus den Daten. Das größte Risiko aus unserer Sicht ist, dass es bei der Inflation zu einer Überraschung nach oben kommt. Aus unserer Sicht ist in der Zinskurve keine Inflationsprämie enthalten. Die Kurve ist also nicht so steil, wie sie normalerweise wäre, aber wir halten sie trotzdem für zu flach und auch für zu niedrig. – Und in Europa?Wir haben dort eine Außenseiterposition, weil wir glauben, dass die Inflation dort niedrig bleiben wird und, offen gesagt, sogar noch sinken könnte. Sie hat ihren Gipfel vielleicht schon überschritten und dürfte von hier aus sinken. Es wäre vor diesem Hintergrund sehr schwierig für die EZB, die Zinsen zu erhöhen. Ihre eigene Sichtweise ist, dass sie das nicht vor Mitte kommenden Jahres tun könnte. – Vielleicht muss die EZB ja schon den Ausstieg aus QE hinauszögern.Es wäre schwer, dafür eine Rechtfertigung zu finden. Wir wären aber offen gesagt nicht überrascht, wenn das QE der EZB über September hinaus verlängert würde – mit kleineren Summen. Wir glauben, dass die Teuerungsrate sehr niedrig bleiben wird. —-Das Interview führte Andreas Hippin. —-Zuletzt erschienen:- ISS übernimmt Oekom Research (16. März)