Gratwanderung zwischen Unternehmens- und Individualinteressen

Unternehmensinterne Ermittlungen berühren viele Rechtsgebiete

Gratwanderung zwischen Unternehmens- und Individualinteressen

Schlagzeilen wie “Anklage gegen ehemalige Manager im Schienenkartell” zeigen, dass Rechtsverstöße im Unternehmen gegenüber den handelnden Personen scharf geahndet werden. Liefern also aufklärungswillige Unternehmen ihre eigenen Mitarbeiter ans Messer, wenn sie intern Sachverhalte aufklären, die den Verdacht von Gesetzesverstößen oder der Missachtung unternehmenseigener Regeln begründen? Widerstreitende Unternehmens- und Individualinteressen bereiten in der Compliance-Praxis häufig erhebliche Schwierigkeiten.Unternehmen haben ein vitales Interesse daran, Sachverhalte, die kartell- oder strafrechtlich heikel sein können, im Rahmen interner Compliance-Untersuchungen aufzuklären. Bei einem Kartellverdacht etwa muss der Sachverhalt zunächst intern ermittelt werden, um entscheiden zu können, ob das Unternehmen überhaupt auf die Kartellbehörden zugehen soll. Nur wer sein Risiko kennt und Beweismittel zutage gefördert hat, kann durch freiwillige Offenbarung die Vorteile einer Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen.Im Bankaufsichtsrecht ist die Erforschung von verdächtigen Sachverhalten, die strafrechtlich relevant sein und zu einem Schaden für das Institut oder zur Geldwäsche führen können, sogar gesetzlich vorgeschrieben.Dem Verschweigen rechtswidriger Vorfälle im Unternehmen setzt die Rechtsprechung enge Grenzen: Vorstände können sich schadenersatzpflichtig machen und eine strafbare Untreue begehen, wenn sie auf die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen intern identifizierte Täter verzichten oder im Unternehmen kein angemessenes Compliance-System vorhalten, das Rechtsverstöße aufdecken kann.Doch nicht immer deckt sich in solchen internen Ermittlungen das Interesse des Unternehmens an Aufklärung einerseits mit den persönlichen Interessen der betroffenen Mitarbeiter andererseits. Kann das Unternehmen eine Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen, etwa weil es vor Entdeckung eines Kartells freiwillig auf die Behörden zugegangen ist, muss der Mitarbeiter, der die verbotenen Submissionsabsprachen getätigt hat, dennoch fürchten, dass er sich persönlich der Strafverfolgung aussetzt. Während dem Unternehmen regelmäßig daran gelegen ist, jedes Fehlverhalten vollständig aufzudecken, um sich nicht dem Vorwurf mangelhafter Organisation oder Aufsicht auszusetzen, geht es für den Mitarbeiter darum, persönlich straffrei zu bleiben.Die Lage wird unübersichtlicher dadurch, dass bei internen Ermittlungen unterschiedliche Rechtsmaterien aufeinandertreffen: Während im Arbeitsrecht der Grundsatz gilt, dass der betroffene Mitarbeiter dem Unternehmen Auskunft und Aufklärung schuldet, darf er im Strafverfahren als Beschuldigter schweigen. Er darf bisweilen sogar lügen, um sich zu verteidigen. An der kartell- oder strafrechtlichen Sachverhaltsaufklärung muss ein Beschuldigter sich nicht aktiv beteiligen. Dem Arbeitgeber hingegen schuldet er die Herausgabe aller relevanten Unterlagen, die seine Tat belegen könnten.Im Datenschutzrecht ist geregelt, dass auf Mitarbeiterdaten in unternehmensinternen Untersuchungen nur zurückgegriffen werden darf, wenn ein strafrechtlicher Anfangsverdacht vorliegt und schriftlich dokumentiert ist. Ob der Mitarbeiter, gegen den intern ermittelt wird, dann das Recht hat, einen Verteidiger beizuziehen, ist jedoch weitgehend ungeklärt.Während sich die Anwaltschaft einig ist, dass auch bei unternehmensinternen Ermittlungen grundlegende Verfahrensrechte eines verdächtigen Mitarbeiters zu wahren sind, er zum Beispiel keinen unerlaubten Verhörmethoden ausgesetzt werden darf und der Arbeitgeber auch in dieser Situation Fürsorgepflichten hat, sind viele Einzelheiten der gerichtlichen Verwertung der Ermittlungsergebnisse umstritten. Wenn beispielsweise das Unternehmen einem Mitarbeiter intern Vertraulichkeit seiner Aussagen zugesichert hat, darf die Staatsanwaltschaft die Protokolle der Mitarbeitergespräche dann beschlagnahmen und im Strafverfahren gegen den Mitarbeiter verwenden?Das Landgericht Hamburg hat das bejaht und den Zugriff sogar auf die Protokolle anwaltlich durchgeführter Befragungen erstreckt. Der Gesetzgeber hat hingegen jüngst die Verschwiegenheitsrechte der Anwälte und anderer Berufsgeheimnisträger in der Strafprozessordnung gestärkt und konkretisiert. Syndikus-Anwälte und unternehmensinterne Ermittler, wie die Revision oder eine Compliance-Stelle, können sich indessen weiterhin nicht auf ein Verschwiegenheitsrecht berufen. Umstritten ist auch, wie sich Zusagen des Unternehmens, wie etwa der Verzicht auf Schadenersatz oder gar Bonuszahlungen für die Preisgabe des Wissens, in den Verfahren gegen jene Mitarbeiter auswirken, die der Kooperationswillige belastet hat.Die Beispiele zeigen, dass die unterschiedlichen Rechtsmaterien unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Gesellschaftsrechtliche und kartellrechtliche Aufklärungserfordernisse stehen im Konflikt zu individuellen Verteidigungsrechten im Strafverfahren. Der Ausgleich der widerstreitenden Interessen wird in verschiedenen Rechtsgebieten höchst unterschiedlich geregelt.Dabei stellen sich weitere komplexe Fragen: Ist eine Strafanzeige, nachdem die Tat schon aufgeklärt wurde, überhaupt im Interesse des Unternehmens? Soll sich das Unternehmen vorrangig bemühen, Schadenersatz von den Tätern zu erlangen? Kann die Anonymität eines Whistleblowers geschützt werden, wenn die Ermittlungsbehörden ihn als Zeugen dringend benötigen? Darf das Unternehmen im Rahmen einer unternehmensinternen Amnestie Geldbußen oder -strafen übernehmen, wenn der Mitarbeiter vollumfänglich bei der Aufklärung der Tat kooperiert oder die Tat im vermeintlichen Interesse des Unternehmens begangen hat? In allen diesen Fällen stehen Anwälte und Compliance-Beauftragte vor der Herausforderung, zwischen Unternehmensinteresse und Individualinteressen der Beteiligten abzuwägen.Sollte das geplante Unternehmensstrafrecht in Kraft treten, müssen auf Fragen wie diese neue Antworten gefunden werden. Denn dann wird das Unternehmen selbst zum Beschuldigten im Strafverfahren. Die Zielkonflikte zu den Individualinteressen betroffener Mitarbeiter würden deutlich erweitert.Die Risiken für einen Unternehmensvorstand nehmen also weiter zu. Interne Untersuchungen werden immer komplexer und können kaum mehr nur “intern” mit eigenen Kräften gestemmt werden. Damit erhöht sich auch noch einmal der Druck, Compliance-Programme zu etablieren, die Fehlentwicklungen im Unternehmen bestenfalls entdecken, bevor sie ermittlungsrelevant werden.——Dr. Christian Steinle, Partner, Gleiss LutzDr. Dirk Scherp, Of Counsel, Gleiss Lutz