Größere Meinungsvielfalt bei Länderratings

Nationale Behörden haben die Sovereign Ratings positiv aufgenommen

Größere Meinungsvielfalt bei Länderratings

Dr. Benjamin MohrLeiter Sovereign Ratings der Creditreform RatingIm Rahmen der Sovereign Ratings beurteilen Analysten die Fähigkeit und Bereitschaft eines Staates, seine finanziellen Verbindlichkeiten vollständig und fristgerecht zu begleichen. Dabei ist diese Einschätzung der Bonität des Staates als Kreditnehmer nicht mit dem Länderrisiko gleichzusetzen, das sich auf das Geschäftsumfeld und auf den Kreditnehmer innerhalb eines Staates bezieht. Ein Sovereign Rating, das Rating eines staatlichen Emittenten, ist also nicht gleichbedeutend mit dem Risiko eines Unternehmens, in dem jeweiligen Land Geschäfte zu betreiben. Creditreform Rating vergibt zudem Ratings für Schuldtitel oder finanzielle Verbindlichkeiten, die von einem Staat in Landes- oder Fremdwährung emittiert werden. Bei staatlichen Schuldverschreibungen handelt es sich in der Regel um vorrangige, unbesicherte Rückzahlungsansprüche gegenüber einem Staat, so dass die Ratings für von Staaten begebene Finanzinstrumente selten von deren Sovereign Rating abweichen.Der analytische Rahmen für die quantitative und qualitative Analyse der Bonität eines Staates ist durch das von uns entwickelte Sovereign-Rating-Modell gegeben (siehe Abb. 1). Die Basis dieses Modells bilden die vier Risikofaktoren Macroeconomic Performance, Institutional Structure, Fiscal Sustainability und Foreign Exposure. Dabei verwenden die Analysten einen statistischen Ansatz, im Zuge dessen für jeden einzelnen Risikofaktor ein Score bestimmt wird. Hierbei wird eine weite Bandbreite quantitativer und qualitativer Indikatoren herangezogen, die in den einzelnen Risikofaktoren verdichtet werden. In einem zweiten Schritt findet für jeden Risikofaktor ein Anpassungsprozess statt. So bilden die zuvor ermittelten Initial Scores der einzelnen Risikofaktoren eine erste indikative Einschätzung des Risikoprofils und der wesentlichen Stärken und Schwächen eines beurteilten Staates. Um sicherzustellen, dass länderspezifische Einflussfaktoren erfasst werden, berücksichtigen die Analysten bei der Berechnung der Risikofaktoren Anpassungsvariablen, die nicht für alle Staaten gleichermaßen relevant sind. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass länderspezifische Gegebenheiten berücksichtigt werden und im Risikoprofil angemessen abgebildet werden.Zur Beurteilung der Risikosituation stützen sich die Analysten auf historische Daten sowie Prognosen über die zukünftige Entwicklung der herangezogenen Indikatoren. Während der Rückgriff auf gesicherte Zeitreihendaten die Identifizierung von längerfristigen Trends erlaubt, wird durch die Einbeziehung von Prognosewerten der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich bei einem Rating stets um eine in die Zukunft gerichtete Einschätzung handelt und eine reine Fortschreibung vergangener Entwicklungen zu kurz greifen kann. Es wird somit ein Through-the-Cycle-Ansatz verfolgt.Während sich die Analyse der Risikofaktoren überwiegend auf quantitative Indikatoren stützt, kommen auch qualitative Indikatoren zum Tragen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der qualitativen Analyse von Informationen grundsätzlich eine ebenso große Bedeutung zukommt wie der quantitativen Untersuchung – in manchen Fällen können qualitative Faktoren bei der Beurteilung der Bonität eines staatlichen Emittenten eine übergeordnete Rolle spielen. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass ein staatlicher Emittent im Vergleich zu anderen Schuldnern über besondere Befugnisse bzw. Durchgriffsrechte verfügt. So sind bei einem Staat geld- und fiskalpolitische, aber auch regulatorische und politische Handlungsspielräume vorhanden, die durch quantitative Faktoren allein nicht angemessen beurteilt werden können.Indessen zieht Creditreform Rating nach dem ersten halben Jahr eine positive Bilanz. Seit Juli des letzten Jahres hat die Ratingagentur aus Deutschland nunmehr 18 Staaten beurteilt, die allesamt aus dem Euroraum stammen (siehe Abb. 2). Die nationalen Behörden haben die Sovereign Ratings positiv aufgenommen – auch wenn die Reaktionen dabei sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Während manche Finanzministerien lediglich den Erhalt des Ratingreports bzw. die Kenntnisnahme des Ratingurteils bestätigten, suchten andere Behörden wie die Agence France Trésor (AFT) aus Frankreich, das slowenische Finanzministerium oder die maltesische Finanzregulierungsbehörde Malta Financial Services Authority (MFSA) den fachlichen Austausch. Vertreter des spanischen Finanzministeriums begrüßten es grundsätzlich, dass sich eine europäische Ratingagentur auf dem bislang von den vier nordamerikanischen Ratingagenturen dominierten Gebiet der Sovereign Ratings vorwagt und auf den Finanzmärkten mit ihren Länderurteilen zu einer größeren Meinungsvielfalt beiträgt.