GASTBEITRAG

Handelsüberwachung muss internationale Interdependenzen berücksichtigen

Von Michael Zollweg und Carl-Frederik Scharrfenorth *) Börsen-Zeitung, 4.4.2012 Es schien wie ein spektakulärer Fall von internationalem Insiderhandel: Ein europäischer Finanzdienstleister hat Kenntnis eines großen Kundenkaufauftrags in einer Aktie...

Handelsüberwachung muss internationale Interdependenzen berücksichtigen

Von Michael Zollweg und Carl-Frederik Scharrfenorth *)Es schien wie ein spektakulärer Fall von internationalem Insiderhandel: Ein europäischer Finanzdienstleister hat Kenntnis eines großen Kundenkaufauftrags in einer Aktie und erwirbt daraufhin eine Position für den Eigenhandel. Der Kundenkauf erfolgt im Land A, der Kauf für das eigene Buch erfolgt im Land B. Nachdem der Preis gestiegen ist, verkauft der Eigenhandel umgehend die zuvor eingegangene Position gewinnbringend wieder.Bei einem Treffen internationaler Aufsichtsbehörden kam dieser grenzüberschreitende Fall zur Sprache. Präsentiert wurde er von einem Systemanbieter für sogenannte Cross-Market-fähige Überwachungssoftware. Eine automatische Analyse der Daten, die von unterschiedlichen europäischen Handelsplattformen stammten und die das System des Herstellers verarbeitete, hatte diesen Fall aufgedeckt. Teufel steckt im DetailDer Teufel steckt jedoch im Detail. Die Falluntersuchung durch eine Instanz mit aufsichtsrechtlichen Befugnissen, einschließlich einer Befragung des Finanzunternehmens, ergab, dass das Überwachungssystem das Handelsgeschehen nicht korrekt wiedergeben konnte. Die eingespeisten Daten im Hinblick auf das vermeintliche Eigenhandelsgeschäft im Vorfeld und in Kenntnis der Kundenorder erwiesen sich als falsch. Tatsächlich handelte es sich um zwei unabhängig voneinander ausgeführte Kundentransaktionen. Was war passiert? Die automatische Kennzeichnung der elektronischen Order als Kunden- oder Eigenhandel war nicht richtig. Außerdem stimmte die zeitliche Reihenfolge der Ordereingaben nicht mit den Einstellzeiten in den beiden Handelssystemen überein.Zugegeben, es handelte sich bei verwendeten Datenströmen nur z. T. um die originären Daten aus den Handelssystemen. Dennoch zeigt der Fall die Schwierigkeiten auf, die zu erwarten wären, wenn Handelsdaten aller Handelssysteme in ein zentrales Überwachungssystem eingespeist werden müssten, um sich ein Gesamtbild des Handels machen zu können.Einige Aufsichtsbehörden und europäische Gremien vertreten folgende Thesen:- Ohne überwachungstechnische Zentralisierung aller Handelsdaten fehle das Gesamtbild und marktfragmentierungsbedingter Missbrauch bliebe unentdeckt.- Mit zentral vorliegenden Handelsdaten ließe sich so “spielen”, dass neuartiges Verhalten aufgespürt werden kann, das auf “grenzüberschreitende” Marktmanipulation hinweist (unterschiedliche Jurisdiktionen undMärkte).Es bedürfe der zentralen Datenhaltung und -analyse, um den zunehmenden Herausforderungen der Marktaufseher, etwa durch die Zunahme des computergenerierten Handels, Herr werden zu können.”Einer sieht und kann daher alles”: Dieses Argument leuchtet zumindest im ersten Gedankengang ein und könnte Vorteile bringen.Es gibt jedoch neben sachlicher Kritik auch erhebliche wirtschaftliche und rechtliche Unwägbarkeiten (Zuständigkeit, Datenschutz, unterschiedliche Rechtssysteme, Kosten) und es stellt sich die Frage, ob die theoretischen Vorteile einer zentralen Überwachung die Unwägbarkeiten bei der technischen Umsetzung und die zu erwartenden Auswirkungen auf die betroffenen Handelsplattformen rechtfertigen.Eine idealtypische Überwachung benötigt zunächst die Daten, die heute schon für Untersuchungen genutzt werden (Transaktionen, Aufträge und Quotes, Daten über den einstellenden Handelsteilnehmer/Händler inklusive individueller Identifikationsnummern sowie entsprechend granulare “Zeitstempel” über den Zeitpunkt der Einstellungen, Löschung und Änderungen von Ereignissen im Handelssystem). Um eine Überwachung mittelfristig gewährleisten zu können, muss zusätzlich aber noch einiges mehr an Information hinzukommen, wie etwa die verschlüsselten Angaben pro Order/Quote über den ursprünglichen Ordererteiler (Mensch) oder “Originator” (Maschine). Wo sind die Grenzen?Wo aber liegen die Grenzen einer “Big Picture”-Lösung. Alle Märkte? Inklusive aller OTC-Transaktionen? Falls Fragmentierung die Überwachung so gefährdet, wäre es – ketzerisch gefragt – dann nicht gleich besser, ein einziges, europäisches Orderbuch zu schaffen?Die technische Implementierung eines zentralen Überwachungssystems wäre außerdem vom kleinsten gemeinsamer Nenner im Hinblick auf die Konsistenz, Granularität und Ausgestaltung der Daten bestimmt. Das Handelssystem mit den aufsichtsrechtlich schwächsten Grundparametern würde somit die Überwachung bestimmen. Eine Alternative dazu wären zentrale aufsichtsrechtliche Vorgaben an die Art der Datenqualität in Handelssystemen, was zur Folge hätte, dass die Betreiber bei der Einführung neuer Versionen ihrer Systeme an die technischen und zeitlichen Vorgaben der Aufsicht gebunden wären. Das zentrale Überwachungssystem müsste bei der Modifikation eines jeden Handelssystems den neuen Anforderungen angepasst werden. Andernfalls könnte ja keine zentrale Überwachung gewährleistet werden. Die Einführung einer neuen Version des Handelssystems müsste zurückgestellt werden – ein Horrorszenario für alle Betreiber von Börsen und Handelsplattformen.Eine Zentrallösung würde außerdem hohe Kosten verursachen. Unabhängig von der immensen Speicherkapazität werden aufwendige Adapter benötigt, um alle Daten lesen und die unterschiedlichen Marktmodelle abbilden zu können. Hierbei wäre die Fragmentierung der “Akteure” (fehlende eindeutige Identifizierung der natürlichen und juristischen Personen) noch nicht geheilt.Es sollte zunächst akribisch hinterfragt werden, was denn beim zentralen “Spielen mit allen Handelsdaten” überhaupt herauskommen soll. Einer sieht alles. Es fragt sich nur: Was? Ein Erkenntnisgewinn ist bedingt durch eine adäquate Fragestellung, und nicht durch die zentrale Verfügbarkeit von Daten. Technische HerausforderungUntersuchen wir die These, wonach der “moderne” schnelle Handel nur zentral adäquat überwacht werden kann. Bei der Überwachung stellt die Geschwindigkeit in den heutigen Systemen letztendlich “nur” eine technische Herausforderung dar. Alle Ereignisse der Handelssysteme müssen in den Überwachungssystemen ebenso abgebildet und nachvollzogen werden können. Zweifellos hat der automatisierte Handel den Markt verändert. Tagesvolatilität kann im Markt zunehmen und die Reaktionszeiten auf preisrelevante Ereignisse entsprechend abnehmen. Wenn Volatilität aus ordnungspolitischen Gründen in Grenzen gehalten werden soll, können Marktmodelle analysiert und durch europaweite Vorgaben geändert werden (z. B. Mikro-Auktionshandel). Mit der Handelsüberwachung hat dies nichts zu tun.Grundprinzip einer Handelsüberwachung ist es, den Zusammenhang von Ursache und Wirkung im Handel nachzuvollziehen. Dazu muss das Handelsgeschehen so erfasst werden, dass möglichst engmaschig die bestimmenden Komponenten (Akteure) standardisiert für die einzelnen Märkte vorliegen.Hier ist anzusetzen, bevor die europaweite Überwachungszentraleinheit gebastelt wird:- Entwicklung einheitlicher Standards (funktional/technisch), die typisierte Überwachungsanfragen/-antworten ermöglichen (dezentral, aber automatisierte Cross-Market-Überwachung).Obligatorische elektronische Identifikation des ursprünglichen Ordererzeugers (Mensch, Computer, Strategie) pro Order/Quote, ohne personenbezogene Daten zu offenbaren. Dies soll neben juristischen Personen auch für natürliche Personen gelten.Bei automatisierten Handelsstrategien muss gelten, dass die Algorithmen, deren Historie und deren Wirkung im Markt auch nachträglich identifizierbar bleiben.Regulatorisch abzustimmen sind die Analysemethoden, die missbräuchliche Handelsszenarien aufdecken sollen.Es ist Zeit, dass die Überwachung die internationalen Interdependenzen der Märkte und Produkte berücksichtigt. Anzunehmen, dass aufgrund fragmentierter Daten (und Märkte) ein Erkenntnisgewinn nur möglich sei, wenn alles in einen Topf geworfen wird, ist falsch und auch wirtschaftlich nicht zu vertreten. Auf den Eintopf kann verzichtet werden, wenn die Überwachungssysteme genauso vernetzt sind wie die zu überwachenden Marktplätze.—-*) Michael Zollweg ist Head of Trading Surveillance Office an der Frankfurt Stock Exchange sowie Eurex Deutschland. Carl-Frederik Scharrfenorth ist Experte bei der Deutschen Börse.