Harte Kritik an früherer Raiffeisen-Führung
dz Zürich – Sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Morgen in Lugano hätten die Raiffeisen-Delegierten die Initialzündung für die geplante Runderneuerung des Verwaltungsrates geben und dabei die alte Garde von Haftungsansprüchen der Gesellschaft entlasten sollen. Doch dazu dürfte es nun doch nicht kommen. Kaum zufällig veröffentlichte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) unter der Leitung von Mark Branson gestern die wichtigsten Erkenntnisse ihres Enforcement-Verfahrens gegen die drittgrößte Bankengruppe in der Schweiz. Die Behörde spricht von Verstößen und Unterlassungen des Verwaltungsrates, die “in ihrer Gesamtheit eine schwere Verletzung von Aufsichtsrecht” darstellten. Diese Rüge wiegt zu schwer, als dass die Raiffeisen-Delegierten den Beteiligten guten Gewissens die Entlastung erteilen könnten. Der Tatbestand der “schweren Verletzung von Aufsichtsrecht” genügt im Fall einer Einzelperson für ein Berufsverbot. Solche hat die Finma in den vergangenen Jahren einige ausgesprochen. Hintergrund der Enforcement-Untersuchung ist die Vincenz-Affäre. Der frühere Raiffeisen-Chef hatte in der Bank ungewöhnlich viele Freiheiten genossen. Zu viele, meint die Finma. “Der Verwaltungsrat hat die Pflicht zur Oberaufsicht des CEO vernachlässigt, indem er die Einhaltung der internen Regelung nicht durchgesetzt hat”, schreibt die Behörde in der fünfseitigen Zusammenfassung ihrer Untersuchungsergebnisse. “Damit ermöglichte es der Verwaltungsrat dem ehemaligen CEO, zumindest potenziell, eigene finanzielle Vorteile auf Kosten der Bank zu erzielen.” Ob und inwieweit Vincenz diese Möglichkeit tatsächlich genutzt hat, ist seit Februar Gegenstand einer Untersuchung der Zürcher Staatsanwaltschaft. Im Unterschied zu der Strafbehörde, die sich mit Vincenz` Wirken in der ganzen Raiffeisen-Gruppe, einschließlich der auf Zahlungsdienstleistungen spezialisierten Tochterfirma Aduno beschäftigt, konzentrierte sich die Finma allein auf die ihrer Aufsicht unterstellten Gesellschaften, namentlich auf die Bank und ihre in der KMU-Finanzierung tätigen Töchter Investnet und KMU Capital. Raiffeisen hatte KMU Capital 2010 selber gegründet, um dem Mittelstand Eigenmittel-Finanzierungen (Private Equity) anzubieten. 2011 erwarb die Bank zusätzlich 60 % an Investnet, die seit 2009 in der Vermittlung von KMU-Beteiligungen tätig war. Investnet übernahm ihrerseits 40 % von KMU Capital. Die Verbindung der Kapitalgeberfunktion und der Investment-Vermittlung ist aus Governance-Gründen gefährlich. Im Urteil der Finma stellt sie eine “Rollenkumulation mit erheblichen Interessenkonflikten” dar. Dass sich die Bank damit “hohen Risiken” aussetzte, sollte sie bald selber schmerzlich erfahren. Die Finma zeichnet ein erschütterndes Bild vom Zustand des Raiffeisen-Verwaltungsrates. Es ist bezeichnend, dass die Behörde jetzt eine eigentliche Selbstverständlichkeit anordnet: In dem Gremium müssten “mindestens zwei Mitglieder die für die Größe des Instituts erforderliche Erfahrung im Bankwesen haben”. Die Finma verlangt auch in anderen Bereichen mehr Kompetenz im Verwaltungsrat. Sie will die Maßnahmen zur Verbesserung der Governance durch einen Beauftragten überprüfen lassen. Zudem solle Raiffeisen auch prüfen, ob sich die Governance durch eine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft verbessern ließe.