FINANZEN UND TECHNIK - IM GESPRÄCH: JP RANGASWAMI

"Heute muss die Bank zum Kunden"

Der Weg führt auch für die Finanzindustrie über die Cloud, sagt der Chief Scientist von Salesforce

"Heute muss die Bank zum Kunden"

“Digital Natives” wollen auf ihrem Smartphone nicht nur Tetris spielen, sondern auch die Leistungen ihrer Bank immer und überall abrufen können. Ohne Cloud Computing ist das für die Banken-IT schwer zu leisten, sagt der Chief Scientist des Softwarekonzerns Salesforce. Der Spezialist für Software aus der Cloud rechnet sich auch bei deutschen Instituten Chancen aus.Von Stefan Paravicini, FrankfurtViele Banken gehen wegen ihrer komplexen IT-Architektur auch als Rechenzentrum mit angeschlossener Schalterhalle durch. Da wundert es kaum, dass die Möglichkeiten von Cloud Computing, also etwa der Bezug von Rechenleistung aus zentralen Serverfarmen über das Internet, in der Branche auf große Aufmerksamkeit stoßen. Nach der Einschätzung des Marktforschers Gartner werden Banken bis 2016 weltweit bereits drei Fünftel ihrer Transaktionen über die Cloud abwickeln. Nach einer Umfrage des Schweizer Softwareherstellers Temenos, der im Herbst bereits zum sechsten Mal rund 200 IT-Experten aus verschiedenen Instituten unter anderem zum Thema Cloud befragt hat, sind Mängel bei der Sicherheit und Vertraulichkeit von Daten in der Rechnerwolke zuletzt zwar wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Und doch nutzen mittlerweile bald neun von zehn Banken eine oder mehrere Applikationen in Verbindung mit der Cloud (siehe Grafik). Ohne Brüche auf das TabletFür JP Rangaswami, seit vier Jahren Chief Scientist des Softwareanbieters Salesforce, ist das keine Überraschung. “Wie will eine Bank ihre Dienstleistungen ohne Brüche auf einem mobilen Endgerät zur Verfügung stellen, ohne dabei die Cloud zu nutzen?”, fragt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Und es ist schnell klar, dass die Frage rhetorisch gestellt ist. Denn auch zur Präsenz auf Mobiltelefon, Tablet, Smartwatch und anderen “Wearables” der Zukunft gibt es für die Finanzbranche nach Einschätzung von Rangaswami, der mehr als zehn Jahre lang die IT von Dresdner Kleinwort Wasserstein verantwortete, keine Alternative.Die Zeiten, in denen die Kunden in die Filiale kamen, sind vorbei. “Heute muss die Bank zum Kunden kommen.” Und Salesforce, ein Spezialist für Software aus der Cloud, der im Geschäft mit Banken und Versicherungen unter anderem mit der Walldorfer SAP, aber auch mit Spezialisten wie Temenos, Misys oder FIS im Wettbewerb steht, hilft dabei. “Wir reduzieren Friktionen an den Schnittstellen zwischen Bank und Kunde”, beschreibt Rangaswami das Angebot von Salesforce. Dazu gehöre auch, die Sauberkeit von Datenbeständen sicherzustellen und den Banken mit Business Intelligence und Analytics neue Einsichten zu ermöglichen, mit denen sie das Angebot für ihre Kunden stärken können. Lehren aus dem BuchhandelDie Schnittstellen zum Bankkunden sind zunehmend mobil und vernetzt. Wer ihm keine benutzerfreundlichen Services anbietet, die jederzeit und überall mit Unterstützung aus der Cloud auf einer konsistenten Datenbasis aufbauen, wird es im Wettbewerb schwer haben. Wie schwer, macht Rangaswami an einem gerade in Deutschland viel diskutierten Beispiel deutlich. “Natürlich kann ich als Buchhändler auch sagen, dass Amazon die Cloud-basierte Art ist, das Geschäft zu machen, und mich wieder umdrehen.” Wer seine Buchhandlung wie gewohnt weiterführe, müsse sich aber fragen lassen, ob er die nötigen Skalen erreichen und zu einem wettbewerbsfähigen Preis anbieten kann.In der Finanzindustrie erkennt Rangaswami zunehmend Bereitschaft, in die kundennahe IT zu investieren. Lange habe die Branche vor allem in die Optimierung der Backend-Systeme investiert, um Komplexität und Kosten zu reduzieren. Da die Besuche in der Bankfiliale parallel zum Siegeszug von iPhone & Co. zurückgingen, müssten die Institute jetzt am Frontend den Einsatz erhöhen, um die Kunden zu erreichen und zu halten. Die Cloud spiele dabei eine wichtige Rolle. Spätestens im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise hätten auch die deutschen Banken ihre lange konservative Haltung mit Blick auf das Thema Cloud Computing geändert.Davon profitiert auch Salesforce, derzeit Marktführer bei Software aus der Cloud, der in Deutschland unter anderem mit der Commerzbank und der Allianz im Geschäft ist. Im vergangenen Jahr hat der Konzern seinen Umsatz in Europa um mehr als zwei Fünftel gesteigert. Hierzulande will CEO Marc Benioff in den nächsten Jahren die Umsatzschwelle von 1 Mrd. Euro knacken und mit Hilfe einer vor wenigen Wochen verkündeten Kooperation mit der Deutschen Telekom auch dem europäischen Branchenprimus SAP auf die Pelle rücken. Beim Konkurrenten aus Walldorf, dessen Software für Banken etwa die Zuweisung von Bargeld an die Filialen unterstützt, die Entdeckung von Versicherungsbetrug erleichtert und im Risikomanagement zum Einsatz kommt, gehörte die Finanzindustrie in den vergangenen Jahren ebenfalls zu den wachstumsstärksten Sektoren. Genaue Zahlen zum Umsatz mit der Branche werden nicht veröffentlicht. Lochkarten in der Fleet StreetRangaswami spricht bei seinem Besuch in Frankfurt – die Stadt fühlt sich für ihn auch acht Jahre nach dem Wechsel von Dresdner Kleinwort Wasserstein zu British Telecom “wie zu Hause” an – über “Vertrauen in der digitalen Welt”. Aber sollte man gerade Bankkunden im Internet nicht zu mehr Misstrauen raten? Ihr Umgang mit Kontodaten und Bankverbindungen scheint sie häufig zu leichten Zielen für Internetkriminelle zu machen. Der Chef-Vordenker von Salesforce, der in den achtziger Jahren nach London kam, um als Journalist in der Fleet Street anzuheuern, statt Zeitungsartikeln aber bald Lochkarten für Computerprogramme stanzte, ist anderer Meinung.Seine Generation – Rangaswami wurde 1957 in Kalkutta geboren – sei manchmal zwar etwas blauäugig in der digitalen Welt unterwegs. Die “Digital Natives”, seine drei Kinder machen es ihm vor, brächten dagegen ein gesundes Misstrauen mit. Sie wüssten genau, wann etwa eine verschlüsselte Verbindung angezeigt sei, und würden auch Privacy-Settings viel bewusster festlegen, als das die Generation Ü30 tue, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sei.Salesforce baut freilich nicht nur auf das gesunde Misstrauen der jungen Generation, sondern will das Vertrauen in Cloud-basierte Angebote stärken. Um die seit Edward Snowden besonders ausgeprägten Sicherheitsbedenken gegenüber Cloud-Diensten aus Amerika zu zerstreuen, plant der Konzern bereits ein eigenes Rechenzentrum in Deutschland.