Hier schlägt unser Herz

Automobilproduktion in Deutschland muss in puncto Innovation, Qualität und Effizienz beispielhaft sein - Flexibilität der Werke erhöhen

Hier schlägt unser Herz

Vor kurzem ist mir eine Broschüre in die Hände gefallen, die das baden-württembergische Wirtschafts- und Finanzministerium herausgegeben hat: “Elf Gründe für Fachkräfte, nach Baden-Württemberg zu kommen.” Es überrascht nicht, dass ein Großteil dieser Gründe direkt oder indirekt mit der Automobilindustrie zusammenhängt: von der niedrigsten Arbeitslosenquote in Europa über die größte Anzahl von Wachstumsunternehmen bis hin zu der Tatsache, dass nirgendwo sonst so viele Patente pro Einwohner angemeldet werden. Schlüsselindustrie im LändleWer an Baden-Württemberg denkt, denkt fast automatisch auch an Autos. Und zwar an erstklassige. Die Automobilindustrie ist die Schlüsselindustrie im “Ländle”. Umgekehrt ist die Region gerade für uns bei Daimler sicherlich kein Standort wie jeder andere. Schließlich liegen hier nicht nur die Wurzeln unseres Unternehmens, sondern auch die der gesamten Branche. Carl Benz und Gottlieb Daimler konstruierten in Mannheim und Stuttgart die ersten Autos, den ersten Bus und den ersten Lkw der Welt. Bertha Benz verhalf mit ihrer ersten Fernfahrt von Mannheim nach Pforzheim vor 125 Jahren dem Automobil zum Durchbruch.Und bis heute ist der Südwesten Deutschlands das Herzstück unseres Unternehmens geblieben – auch und gerade in der Produktion. Grob gerechnet arbeiten von unseren 275 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwa 170 000 in Deutschland, davon wiederum rund 100 000 in Baden-Württemberg. Viele Familien sind dem Unternehmen seit Generationen verbunden. Entsprechend viel Herzblut fließt in unsere Produkte – das spürt jeder, der sich in einen Mercedes setzt. Unsere neue S-Klasse ist das beste Beispiel: Mit ihrer völlig neuen Fahrwerkstechnologie, die über unebene Wegstrecken quasi hinwegschwebt, der Fähigkeit zum teilautonomen Fahren und einem Verbrauch von gerade mal 3 Litern beim S 500 Plug-in Hybrid setzen wir bei Komfort, Sicherheit und Effizienz einmal mehr Maßstäbe in der Luxusklasse.Gebaut wird unser Flaggschiff im weltweit größten Mercedes-Pkw-Werk in Sindelfingen, unserem Kompetenzzentrum für Fahrzeuge der Ober- und Luxusklasse sowie für alternative Antriebe. Es gab Zeiten, da überstieg die Zahl der “Schaffer” im Werk sogar die der Einwohner Sindelfingens. Mit über 17 800 Mitarbeitern entspricht die Belegschaft unseres Stammwerks in Stuttgart-Untertürkheim den Bewohnern einer Kleinstadt. Dort produzieren wir Motoren, Getriebe und Achsen für unsere Pkw. Und im badischen Rastatt laufen unsere äußerst erfolgreichen neuen Kompaktmodelle vom Band.Nun gibt es kaum eine Frage, die einem Produktionsvorstand so häufig gestellt wird, wie die nach der Zukunftsfähigkeit der Standorte hierzulande. Schließlich bedarf es keiner langen Recherche, um festzustellen, dass die deutschen Hersteller mehr und mehr Fahrzeuge im Ausland bauen – seit 2010 ist es mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion. Gelegentlich wird deshalb proklamiert, “made in Germany” habe auf lange Sicht keine Chance mehr. Dabei wird eines gern übersehen: dass die Nachfrage auf den Wachstumsmärkten und damit die Auslandsproduktion steigt, bedeutet nicht zwingend, dass die Produktionszahlen in Deutschland zurückgehen.Bei Mercedes-Benz beispielsweise fertigen wir nach wie vor zwei Drittel unserer Pkw in Deutschland, dabei machen wir 80 % unseres Absatzes im Ausland. Ein wichtiger Grund, warum Baden-Württemberg nach Hamburg und Bremen die höchste Exportrate unter den deutschen Bundesländern aufweist – schließlich sind Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile hierzulande Exportgut Nummer 1. Wenn nun im Jahr 2020 jeder zweite Mercedes außerhalb Europas vom Band laufen soll, dann liegt das in erster Linie daran, dass wir insgesamt mehr Fahrzeuge bauen werden. Denn die Automobilindustrie ist und bleibt eine Wachstumsbranche. Allein 2013 geht der Weltmarkt für Pkw erneut um 2 bis 4 % nach oben, noch besser sieht es im Premiumsegment aus. Ein Großteil dieses Zuwachses kommt allerdings aus den aufstrebenden Märkten in Asien und Südamerika. Das bedeutet: Unsere zentrale Herausforderung ist aktuell, die große Nachfrage zu bedienen. Und zwar in Top-Qualität, denn die ist der Kern unseres Markenversprechens. Dabei fahren wir einen zweifachen Ansatz. Stammwerke stärkenZunächst investieren wir massiv in unsere heimischen Werke – allein in Sindelfingen rund 1 Mrd. Euro in diesem Jahr. Dort ist im Juni nicht nur die Produktion der neuen S-Klasse angelaufen, sondern mit ihr auch erstklassige Innovationen in der Produktion – vom automatisierten Fahrwerksprüfstand bis zu neuesten Schweiß- und Fügetechnologien. In Untertürkheim fließen 2012 und 2013 rund 1,7 Mrd. Euro in den Ausbau der Produktion und den Anlauf neuer Produkte. Dabei entstehen im gleichen Zeitraum rund 550 neue unbefristete Stellen. Auch die Belegschaft in Rastatt wächst: Im Zuge der großen Nachfrage nach unseren Kompaktmodellen – A- und B-Klasse sowie das viertürige Coupé CLA – haben wir dort seit 2010 rund 900 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.Übrigens wurde das Werk in Rastatt erst 1992 gegründet – also in einer Zeit, in der längst die ersten Unkenrufe zum Standort Deutschland zu hören waren. Im Produktionsverbund mit unserem ungarischen Werk in Kecskemét beweist Rastatt heute, wie effizient hierzulande produziert werden kann. Wahr ist aber auch: Die Produktion in Deutschland gibt es nicht zum Schnäppchenpreis – deshalb muss sie in puncto Innovation, Qualität und Effizienz beispielhaft sein. In den nächsten Jahren wird es vor allem darauf ankommen, die Flexibilität unserer deutschen Werke weiter zu erhöhen. Nur so können wir bei den zunehmend volatilen Märkten weiterhin die Spitzenprodukte liefern, die unsere Kunden zu Recht von uns erwarten. Weltweit Chancen nutzenUnser zweiter Ansatz für eine zukunftsweisende Pkw-Fertigung ist der gezielte Ausbau unseres weltweiten Produktionsnetzes. Denn um vom Anstieg der globalen Nachfrage zu profitieren, müssen wir gerade in den Wachstumsregionen noch stärker markt- und kundennah produzieren. In China investieren wir gemeinsam mit unserem chinesischen Partner BAIC über mehrere Jahre rund 2 Mrd. Euro in die Erweiterung der lokalen Pkw-Fertigung und in den Bau eines neuen Motorenwerks. Ähnliche Beträge fließen in unser US-amerikanisches Werk in Tuscaloosa, wo wir außer unseren Geländewagen ab 2014 auch unser Mittelklasse-Modell, die C-Klasse, produzieren. Und in einem neuen Montagewerk bei Sao Paulo in Brasilien werden 2016 die ersten Fahrzeuge vom Band laufen.Wird die Bedeutung unserer deutschen Werke deshalb abnehmen? Im Gegenteil: Als Kompetenzzentren übernehmen sie in unserem Produktionsnetzwerk eine Patenrolle. In Deutschland sitzt der Großteil unserer Forschung und Entwicklung. Deshalb binden wir das Know-how der hiesigen Kollegen weltweit ein – etwa indem wir internationale Kollegen in Deutschland qualifizieren oder ein Sindelfinger Experten-Team Anläufe neuer Modelle in den Auslandswerken unterstützt. Globale AusnahmestellungInsgesamt stehen die Chancen gut, dass Baden-Württemberg seine globale Ausnahmestellung im Automobilbau behalten wird. Schließlich hat sich hier im Laufe der Zeit ein Cluster aus Herstellern, Zulieferern und Wissenschaft gebildet, das weltweit seinesgleichen sucht. Auch die Zusammenarbeit mit der Politik funktioniert gut. So begrüßen wir Koordinationsstellen wie die Landesagentur für Elektromobilität und die neu gegründete Landesagentur für Leichtbau, die dafür sorgen, die verschiedenen Akteure bei diesen Themen an einen Tisch zu bringen und die Aktivitäten in Baden-Württemberg effizient zu bündeln.In Zukunft wird es außerdem darauf ankommen, dass der Nachschub an unserer wichtigsten “Ressource” nicht abreißt: gut ausgebildeten Fachkräften. Heute entscheidet sich etwa ein Fünftel der Studierenden in Baden-Württemberg für ein ingenieurwissenschaftliches Fach. Und nach wie vor ist Kfz-Mechatroniker in Deutschland der beliebteste Beruf bei männlichen Auszubildenden. Wir setzen uns zum Beispiel durch die Beteiligung am “Girls’ Day” dafür ein, mehr Mädchen für technische Berufe zu begeistern. Und mit werkseigenen Kitas sorgen wir dafür, dass sich Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen lassen. Wir brauchen die besten Köpfe, männlich wie weiblich. Denn wir haben noch viel vor – gerade hier in Baden-Württemberg. Und ich habe keine Zweifel: Das Herz von Daimler wird auch weiterhin hier schlagen!—Andreas Renschler, Vorstand der Daimler AG für Produktion und Einkauf Mercedes-Benz Cars & Mercedes-Benz Vans