Hochkonjunktur im Kummerkasten
Was machen angesichts der Umwälzungen im Bankenmarkt digitale Analphabeten, die das Online-Geschäft überfordert? Viele von ihnen wenden sich Hilfe suchend an das Verbrauchertelefon der BaFin. Dort registrieren die Berater neuerdings Kritik an einem “suggerierten ,Zwang` zum Online-Banking”.Von Bernd Neubacher, FrankfurtIm Zuge der Digitalisierung ist viel davon die Rede, wem das Finanzdienstleistungsgeschäft in der schönen neuen Welt des Banking fortan leichter fallen wird: Eigentlich allen, denen der Umgang mit Smartphone oder Personal Computer vertraut ist. Weitaus weniger, eigentlich gar nicht kommt die Sprache auf die erhebliche Anzahl von Menschen, die sich künftig mit Bankgeschäften deutlich schwerer tun werden: Bankkunden, in der Regel vorgerückten Alters, die der Wandel vom analogen zum Online-Bankgeschäft überfordert und die angesichts immer größerer Löcher im Filialnetz der Bank nicht selten verzweifeln – vulgo: die Gruppe der digitalen Analphabeten.Hält der Trend zur Digitalisierung an, was so sicher scheint wie das Amen in der Kirche, wird die Anzahl derer, die dem neuen Bankgeschäft hilf- und ratlos gegenüberstehen, zumindest auf Sicht noch merklich zunehmen. Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), erklärte im Frühjahr während eines Auftritts vor dem Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten (ICFW), das Phänomen einer alternden Bevölkerung werde in Deutschland, anders als etwa in Japan, noch nicht hinreichend diskutiert. Seiner Meinung nach sei die Demografie “ein unterschätztes Mega-Thema, das wir wegdrücken, weil es unangenehm ist. Wir müssen aber mehr in dieses Thema investieren”, sagte er: “Wenn Sie das einmal durchdeklinieren, dann erschrecken Sie, welche Bedeutung das für die Finanzwirtschaft haben kann.” “Hands-on-Unterstützung”Die Finanzaufseher bekommen die Folgen bereits zu spüren. Denn wer in Sachen digitalem Banking nicht mehr weiter weiß, wendet sich nicht selten ans Verbrauchertelefon der BaFin. Unter der Rufnummer 0800-2-100-500 nehmen dort 15 Beraterinnen und Berater Beschwerden über die Branche entgegen. Ebenso helfen sie aber auch bei Fragen von Bürgern zur Handhabung digitaler Bankgeschäfte.Hufeld: “Das ist richtig Hands-on-Unterstützung. Und was glauben Sie, wer Hauptgruppe für diese Art von Hilfestellung ist? Das sind alte Menschen. Die sind verzweifelt, wollen jetzt modern werden, wollen etwas im Online-Banking machen, weil die Kinder und Enkel sie auslachen, und sitzen da und kommen einfach nicht weiter.” Die Berater der BaFin navigieren zum Beispiel mit Anrufern gemeinsam auf Web-Sites und führen sie durch die Struktur von Sites oder Datenbanken.Der Kummerkasten der BaFin hat Hochkonjunktur, die Zahl der Anrufe beim Verbrauchertelefon ist konstant hoch. 2018 registrierten die Aufseher 18 651 Anfragen, von Januar bis Ende Juni 2019 waren es bereits 9 356, wie die BaFin auf Anfrage berichtet. Im Monatsmittel ist dies ein Anstieg gegenüber 2018 von 2,5 %. Dabei betrafen 46 % der Fälle im ersten Halbjahr Banken, der Rest entfiel auf Versicherer und das Wertpapiergeschäft.Den Leuten geht es dabei freilich nicht nur um praktische Hilfe im Bankgeschäft, sondern auch um allgemeine Themen rund um den Finanzmarkt, um konkrete Fragen in Sachen Verbraucherschutz sowie um Probleme mit Banken, Versicherungsunternehmen oder Finanzdienstleistern – die jeweiligen Anteile schlüsselt die BaFin nicht auf. “Immer mehr gezwungen”Wie aus den Angaben der BaFin hervorgeht, hat sich im bisherigen Jahresverlauf ein interessanter Beratungsschwerpunkt neu ergeben, neben den bekannten Schwierigkeiten bei der Erreichbarkeit von Banken, Fehlern im IT-Ablauf, Zahlungsverzögerungen im Online-Banking, der Provisionspolitik der Banken sowie den Veränderungen durch die Zahlungsdienstrichtlinie PSD2. “Mitte des Jahres haben die Beraterinnen und Berater vermerkt, dass Anrufer Kritik im Zusammenhang mit einem suggerierten ,Zwang` zum Online-Banking äußerten”, berichtet die BaFin.Anrufer kritisierten demnach, dass Banken immer häufiger auf den elektronischen Weg verweisen, zum Beispiel bei Überweisungen oder Aufträgen an die Bank. Kunden hätten dadurch Ausgaben zur Anschaffung eines Computers und würden “immer mehr gezwungen, auf das Online-Banking umzustellen”.Aus der Sicht sich digitalisierender Banken führt im Grunde kein Weg daran vorbei, Kunden mehr oder minder galant in den elektronischen Kanal zu drängen: Wie jeder Berater ihnen vorbeten wird, lassen sich Einsparpotenziale im Zuge der Digitalisierung erst dann optimieren, wenn die Institute bisherige Strukturen minieren oder gar abklemmen können. Doch ist solch rabiates Vorgehen klug, wenn man sich von neuen Wettbewerbern abheben will, die das Digitale ohnehin besser zu beherrschen scheinen als de alteingesessenen Finanzdienstleister mit ihrer Spaghetti-IT? Bietet die Gruppe der von der Digitalisierung abgehängten findigen Anbietern womöglich sogar Ertragspotenzial dank neuer Beratungsdienste? Kaum AnreizAnekdotisch eingeholte Einschätzungen aus der Branche lassen kaum darauf schließen, dass Banken Anreize spüren, sich in diese Richtung zu bewegen. Zum einen bietet die BaFin bereits einen kostenlosen Service, auch wenn dieser für die Bank mit dem Risiko verbunden ist, dass dieser in einer Beschwerde über das Institut mündet. Zum anderen zeichnen Erfahrungsberichte aus einzelnen Instituten ein ernüchterndes Bild: So wird aus einem öffentlich-rechtlichen Institut berichtet, gegen die Schließung einer Filiale hätten jüngst gar nicht einmal so sehr ältere Kunden opponiert, wohl aber deren Angehörigen, womöglich in Sorge darum, den Verwandten künftig stärker zur Hand gehen zu müssen. Entsprechende Schulungsangebote in Sachen Online-Banking seien kaum auf Resonanz gestoßen.9 Argumente ähnlich relativierender Art sind aus der Branche allerdings auch schon zu hören gewesen, wenn der Protest gegen eine Filialschließungen vehementer ausfiel. Dann wurde Kunden dem Vernehmen nach eröffnet: “Wären Sie früher einmal früher so zahlreich in der Filiale erschienen wie heute, dann müssten wir diese jetzt nicht schließen.” Zuletzt erschienen: Gastbeitrag: “Bitte jetzt nicht” ist keine Option (15. Oktober) Digitalbanken erkämpfen sich Marktanteile (10. Oktober)