IM INTERVIEW: SVEN KORSCHINOWSKI UND ULRICH KEUNECKE, KPMG

"Hoffnung lässt sich gut verkaufen"

Bei ICOs und Token-Handel tut mehr Transparenz not - IOTA besitzt "enormes Potenzial" - Nationale Regulierung kann nur begrenzt wirksames Regelwerk sein

"Hoffnung lässt sich gut verkaufen"

Obwohl viele Emissionen scheitern, haben Initial Coin Offerings (ICOs) im ersten Quartal 2018 rund 3,5 Mrd. Dollar eingespielt. Das nutzen die Start-ups, um mit Hilfe von Blockchain-Modellen eine eigene Infrastruktur aufzubauen, die dann über Apps ein umsatzgenerierendes Ökosystem entwickeln soll. Inzwischen rüsten sich auch traditionelle Venture-Capital-Fonds, um emittierte Token zu kaufen. Und Deutschland ist dank der Berliner und Frankfurter Szene sogar ein Vorreiter, meinen die beiden KPMG-Experten Sven Korschinowski und Ulrich Keunecke.- Wie sollte die Regulierung von Initial Coin Offerings (ICO) grundsätzlich aussehen?Keunecke: Wenn es um ICOs oder Bitcoins geht, wird die Debatte häufig sehr einseitig geführt. Oft ist von Rechtsfreiheit, sogar vom “Wilden Westen” die Rede. Das stimmt so nicht. In Deutschland gibt es umfassende Regularien. So gibt es etwa auf den Aktienmärkten keine Handlung, die nicht in entsprechenden gesetzlichen Regeln berücksichtigt worden ist. Für die “analoge Welt” hat die BaFin schon in der Vergangenheit klare Regeln ausgesprochen. Möchte ein Unternehmen beispielsweise Aktien ausgeben, muss es zur Information der Anleger einen Prospekt erstellen. Für Equity-Token, also solche, die für einen Unternehmensanteil stehen, sollte diese Regel folglich ebenfalls Anwendung finden. Die Regeln gibt es also bereits, hier sehen wir eine klare “Anwendungslücke”. Möglicherweise könnte es für den einen oder anderen hilfreich sein, wenn der Gesetzgeber mit klärenden Worten ausdrücklich auf die Anwendbarkeit hinweisen würde. – Ist die Unterscheidung zwischen Equity und Utility Token hilfreich – und eine Abgrenzung hinreichend klar und konsistent möglich?Keunecke: Ja, diese Unterscheidung ist gut. Aus Sicht der deutschen Aufsicht wird insoweit seit jüngstem differenziert zwischen Security Token und Utility Token. Unabhängig von diesen Wortfindungen dürfen Sie nicht vergessen, dass der Token an sich ja wertfrei ist – ein unbeschriebenes Blatt sozusagen. Ein Token ist ein Träger von Rechten und Pflichten. Je nachdem, wie er programmiert wird, hat er eine andere Funktion und ist rechtlich anders zu behandeln. Ein Security-Token ist eben quasi ein Unternehmensanteil und ein Wertpapier und als solcher zu behandeln. Der Utility-Token hingegen kann etwas Neues darstellen, beispielsweise eine Art Treibstoff oder Zugangsberechtigung für Aktionen im Netzwerk. Korschinowski: Ich habe da zwei Blickwinkel: Auf der einen Seite geht es doch um die grundsätzliche Frage “Was ist Geld?”. Letztendlich ist das unser Vertrauen in ein Versprechen und eine Wertzuschreibung. Und genauso ist das auch beim Token. Auf der anderen Seite ist die Unterscheidung oder Abgrenzung theoretisch schon sehr hilfreich. In der Praxis hingegen will man die dann manchmal doch nicht haben – und das meine ich nicht im Sinn, Regulatorik umgehen zu wollen. Vielmehr wollen manche Token-Emittenten einerseits die Vorteile aus dem versprochenen Wertzuwachs des Token im Rahmen eines ICO, damit sind wir bei einer Beteiligung an einem Unternehmen. Andererseits wollen sie die damit einhergehende Regulatorik aber nicht als Bürde haben. Deshalb müssen Token-Emittenten zunächst strategisch entscheiden, was sie wollen und somit auch was der Token darstellen soll. – Zu welcher Auffassung neigen Sie: Kann ein Token-Verkauf als Teil der Unternehmensfinanzierung durch Venture Capital komplett von der Wertpapierregulierung ausgenommen werden? Die ESMA scheint das ja als Finanzmarktprodukt zu betrachten, inklusive Prospektpflicht . . .Keunecke: Wir erleben hier schon eine rege Diskussion, welchen Token Unternehmen ausgeben sollten. Ein nicht als Security-Token qualifizierender Utility-Token kann gerade für Start-ups interessant sein, die für ihre weitere Finanzierung schnell und unkompliziert Geld benötigen. Mit ihm verkaufen Emittenten “die Hoffnung” auf Erfolg, ohne den Käufer direkt am Unternehmen zu beteiligen. Das ist natürlich ein zusätzliches Risiko. Viele Start-ups wollen auch keine Equity-Token ausgeben, damit ihnen keiner reinredet. Die Anleger reagieren sehr gut auf die vielseitigen Möglichkeiten, die ICOs ihnen bieten. Nach wie vor gibt es eine hohe Liquidität auf dem Markt, und die niedrigen Zinsen sorgen dafür, dass sich viele nach alternativen Investments umschauen. Das lockt auch viele Privatanleger. – Woran erkennt man denn, ob ein ICO-Geschäftsmodell tragfähig sein kann?Keunecke: Meistens werden ICO-Geschäftsmodelle positiv aufgefasst. Was beachtet wird, ist ja die Idee. Tokens sind in aller Munde, und Hoffnung lässt sich gut verkaufen – und das manchmal auch unabhängig vom konkreten Geschäftsmodell. Im Prinzip läuft es aber genauso wie bei IPOs auch. Hier geht es um eine genaue Einschätzung – eine Due Diligence sozusagen mit den üblichen Fragen: Was macht das Unternehmen? Ist es gut aufgestellt? Und so weiter. Bei ICOs ist das natürlich etwas schwierig, da hier oftmals innerhalb von ein paar Minuten entschieden wird, ohne dass der Anleger sich tatsächlich näher mit dem Unternehmen befasst hätte. Das Risiko ist entsprechend hoch, dessen muss man sich als Anleger natürlich bewusst sein. Korschinowski: Was Venture Capital betrifft: Sie geben in der Frühphase Geld in Start-ups, und das ist ja auch ihr Geschäftsmodell. Hier unterscheidet es sich nicht strukturell, ob sie in ein Fintech, in ein Adtech oder in ein ICO-Start-up investieren. Was dann aber zählt, ist auch das Verständnis von Technik. Hier sehen wir noch viel Unsicherheit und zum Teil auch Missverständnisse. Was die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells betrifft, spielt es keine Rolle, ob das Start-up über einen ICO, über VCs oder über Fördermittel finanziert wird. Es geht doch um den Kern des Geschäftsmodells: Welchen Service, welche Dienstleistung, welches Produkt bietet das Start-up an? Gibt es einen Markt, eine Nachfrage dafür? Und: Unterscheidet es sich beispielsweise in Qualität oder Preis von konkurrierenden Angeboten?- An welcher Stelle sollte denn eigentlich der Verbraucherschutz ansetzen? Und ist die BaFin dafür gerüstet?Korschinowski: Ich halte es nicht für sinnvoll, in einer Art vorauseilendem Gehorsam durch neue Anforderungen einzugreifen. Verbraucherschutz sollte immer von der Mündigkeit der Anleger ausgehen. Der Anleger muss in die Lage versetzt werden, hieraus ein Bewusstsein für neue Anlageformen wie auch für mögliche Risiken zu entwickeln. – Die EU will im Rahmen der Geldwäsche-Verhinderung beim Bitcoin-Handel mehr Transparenz schaffen. Ist mit Blick auf ICOs der Aufbau von Know-Your-Customer-Registern der Token-Käufer und Handelsteilnehmer im Token-Sekundärmarkt nicht absolut notwendig?Keunecke: Die Register und mehr Transparenz sind notwendig. Hier muss auch das Bewusstsein bei den Behörden geschärft werden. Es ist zum Beispiel wichtig, dass jeder, der Fiat-Währung- zum Beispiel Euro – in einen Token einwechselt, einen KYC-Prozess durchlaufen muss. Denn mit dem Token besteht faktisch immer die Möglichkeit, anonym zu agieren. Das neue Geldwäschegesetz geht da zum Teil schon drauf ein und will dem einen Riegel vorschieben, aber es muss auch erweitert werden. Ziel ist es, dass Betreiber von Wechselstuben und Anbieter elektronischer Geldbörsen, bei denen klassisches Geld in Token oder Coins gewechselt werden kann, ihre Kunden künftig kontrollieren müssten. Fraglich ist dabei nicht zuletzt, was auf technischer Ebene durchzusetzen ist.- In Deutschland sind einige ICOs etwa von Savedroid, Naga, Asgard Capital oder Neufund angelaufen, nachdem frühere Emissionen wie Lisk und Wysker nicht von der breiten Öffentlichkeit bemerkt wurden. Wie schätzen Sie die aktuellen Emissionen ein?Korschinowski: Ich denke, es hat insgesamt eine Weiterentwicklung stattgefunden. ICOs sind heute bekannter und warten mit neuen Ideen auf, um neue Käufer zu gewinnen. Ferner ist es zu einer Professionalisierung gekommen. Auch etablierte Start-ups wie zum Beispiel Naga treten mit einem bestehenden Geschäftsmodell als ICO-Emittenten auf und wollen mit den Erlösen ihr Geschäftsfeld erweitern. Und das Interesse bleibt ungebrochen, solange die Zinsen niedrig bleiben.Keunecke: Für Emittenten ist das ein tolles Fenster, das sich da aufgetan hat, und wie wir alle wissen, ist das Neue stets reizvoll. Die erste Begeisterung und auch Überschwänglichkeit wird sich einpendeln, wenn sich die Gepflogenheiten entwickelt haben.- Was halten Sie von IOTA, die ein Protokoll für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation schaffen und große Unterstützung aus der Industrie erhalten?Korschinowski: Das ist total spannend! IOTA ist eine “Währung”, die ausschließlich für das automatisierte Bezahlen im Internet der Dinge konzipiert wurde. Sie bedient sich mit dem “Tangle” einer weiterentwickelten Blockchain-Technologie. Die Transaktionen sind kostenlos und Anwendungsfälle nahezu unbegrenzt möglich. Schneller ist das auch – etwa wenn sich Maschinen künftig über Micropayments gegenseitig bezahlen. Das Verfahren ist noch in der Entwicklung, aber dass Schwergewichte wie Bosch in IOTA investieren – Cisco und VW tun dies ebenfalls -, zeigt das enorme Potenzial.- Deutschland schlägt sich gar nicht übel in Sachen Blockchain-Innovation, so sind in Berlin viele Entwickler. Das ist doch eine gute Basis für den Aufbau eines Blockchain- und Token-Ökosystems, oder?Korschinowski: Man kann Deutschland sogar als Vorreiter sehen – immerhin wurde hier auch IOTA entwickelt. Neben zuvorderst Berlin hat sich Frankfurt zu einem – wenn auch kleineren – Innovationsstandort entwickelt. Dass wir bei den ICOs etwas später dran waren, haben wir mittlerweile aufgeholt.- Mal weiter gedacht: Könnten in eine regulierte Umgebung überführte ICOs das klassische VC-Geschäft zu einem gewissen Teil überflüssig machen?Keunecke: Nein. Denn das A und O bei der Investmentwahl bleibt das Screening und die Auswahl des Targets. Solange die Anleger dies selbst bestimmen, werden sich einige für die moderate Anlage, andere eben für die risikoreiche entscheiden. Unabhängig davon, in welcher Form die Anlage erfolgt: etwa durch einen ICO oder durch eine klassische Beteiligungsform. Eine Gefahr geht eher von Systemen aus, die diesen Prozess in Frage stellen – zum Beispiel einer DAO (Decentralised Autonomous Organisation), welche Schwarmintelligenz als Grundlage von Investmententscheidungen nutzt. Wenn es so weit kommt, steht die Investmentindustrie vor völlig neuen Herausforderungen.- Es gibt eine russische Gesetzesvorlage, derzufolge ICOs nur VC-registrierten Investoren offenstehen, ansonsten gilt ein Cap für private Investoren bei umgerechnet 900 Dollar. Kann das im Sinne des Verbraucherschutzes eine Vorbildfunktion haben?Keunecke: Zunächst einmal kann eine nationale Regulierung nur begrenzt wirken. ICOs werden indes häufig global angeboten. In diesem Fall muss das Recht in allen Staaten eingehalten werden, in dessen Luftraum auch nur ein Finger gehalten wird. Sinnvoller ist es, wie schon Deutschland und Frankreich vorgeschlagen hatten, das Thema Risiken und Chancen von Bitcoin & Co beim Finanzministertreffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer im März zu diskutieren, um – so weit erforderlich und zweckmäßig – gemeinsame Richtlinien zu finden.Korschinowski: Regulierungen wie in Russland mindern aber nicht nur die Risiken, sondern auch die Möglichkeiten für die Investoren. Wer will schon 90 auf der Autobahn fahren, wenn er 130 fahren kann? Allerdings muss er auch wissen, dass das Risiko dann natürlich höher ist. Wichtig sind aber Transparenz und Informationsgüte. Wie gesagt: Beim Thema ICOs ist es an der Zeit, dass wir eine Art Nachprüfung beim Führerschein machen, damit wir lernen, die Regeln der analogen Welt auch in der digitalen anzuwenden.—-Die Fragen stellte Björn Godenrath.