Hongkong ist das neue Berlin

Von Stefan Paravicini, Berlin Börsen-Zeitung, 12.9.2019 Joshua Wong ist ein Idealist. Für Pressefreiheit und politische Reformen in Hongkong hat sich der heute 22-Jährige schon als Teenager engagiert. Der Weltöffentlichkeit fiel er zum ersten Mal...

Hongkong ist das neue Berlin

Von Stefan Paravicini, BerlinJoshua Wong ist ein Idealist. Für Pressefreiheit und politische Reformen in Hongkong hat sich der heute 22-Jährige schon als Teenager engagiert. Der Weltöffentlichkeit fiel er zum ersten Mal im Jahre 2014 auf, als er als Teil der sogenannten “Regenschirm-Bewegung” für freie Wahlen in Hongkong demonstrierte. Knapp fünf Jahre später kämpft der Studentenaktivist wieder für politische Reformen in der chinesischen Sonderverwaltungszone.Dass Wong neben seinem Idealismus auch einen nüchternen Blick auf ökonomische Zusammenhänge hat, wurde am Mittwoch bei seinem ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz in Berlin deutlich. Ohne die wirtschaftlichen Probleme Chinas in Folge des Handelskriegs mit den USA, ohne die zusätzlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Brexit und ohne die im nächsten Jahr anstehende Präsidentenwahl in Taiwan hätte die Regierung in Hongkong ihren Entwurf für ein Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen wohl nicht zurückgezogen, sagte Wong über den bisher größten Erfolg der Proteste nüchtern.Seinen Appell an Deutschland und die Europäische Union, sich hinter die Demonstranten in Hongkong zu stellen, formulierte Wong ebenfalls trocken. Er wisse, dass es im Westen Sorgen gebe, den nächsten Deal mit China dann nicht mehr abschließen zu können. Die politische und ökonomische Freiheit der Sonderverwaltungszone habe aber ebenfalls mit der Europäischen Union zu tun. Hongkong sei ein globales Finanzzentrum und als solches mit der Weltwirtschaft verbunden. Es werde die wirtschaftlichen Interessen vieler Stakeholder treffen, sollte Carrie Lam, die aus Peking entsandte Regierungschefin der Sonderverwaltungszone, über Hongkong eine Art Ausnahmezustand, gestützt auf die sogenannte Emergency Regulations Ordinance, verhängen, oder das chinesische Militär in den Geschäftsbezirk im Stadtzentrum vorrücken.Wongs Mitstreiterin Glacier Kwong, die in Berlin mit auf dem Podium saß, warnte die Europäer schließlich noch vor dem politischen Einfluss, den sich China durch Investitionen in Infrastruktur und Unternehmen auf der ganzen Welt verschaffe. Heute leide Hongkong unter diesem Einfluss. In Zukunft könnte sich auch der Westen in zunehmender Abhängigkeit wiederfinden. Zur Nachricht von der Übernahmeofferte der Hongkonger Börse HKEx für die London Stock Exchange sagten die Aktivisten wohl nur deshalb nichts, weil sie erst während ihres Auftritts in Berlin über die Ticker lief.Doch Wong lieferte mehr als die “industrielle Logik” für eine Unterstützung der Proteste. Der Generalsekretär der Hongkonger Partei Demosisto (“Steh für das Volk”) hatte auch ein paar Slogans dabei, die sich schnell über Twitter verbreiten kann. “Hongkong ist das neue Berlin in einem neuen Kalten Krieg”, erklärte er wie schon am Montag bei einer Veranstaltung von “Bild”, auf der es zu einem Treffen mit Außenminister Heiko Maas (SPD) gekommen war. “In Berlin atme ich die Luft der Freiheit statt Tränengas in Hongkong.” Wenn vor dreißig Jahren noch keiner geglaubt habe, dass die Berliner Mauer falle, könne irgendwann auch die “Firewall” Pekings fallen, die die Bevölkerung von unabhängiger Information ausschließe.Wie effektiv diese Botschaften sind, zeigen die Reaktionen. Die chinesische Botschaft in Berlin lud eilig zu einer Pressekonferenz. Der deutsche Botschafter in Peking wurde wegen des Treffens von Maas mit Wong einbestellt. Die Hongkonger Börse betonte, dass sie die LSE nicht zu einer “chinesischen Organisation” machen wolle. Analysten glauben, dass sich die HKEx wegen der jüngsten Turbulenzen vom chinesischen Geschäft unabhängiger machen will. Wong wird auch das für die Protestbewegung zu nutzen wissen.——Der Aktivist Joshua Wong ist zu Besuch in Berlin. Die Börse HKEx zieht es nach London.——