"Ich glaube nicht an starre Hierarchien"
– Herr Knof, es ging sehr schnell mit Ihrer Berufung an die Spitze der Allianz Deutschland AG. Waren auch Sie überrascht?In der Tat, ich hatte nur einen kurzen Vorlauf. Ich bin knapp vor der Aufsichtsratssitzung, die über die Besetzung des Vorstandsvorsitzes entschied, informiert und gefragt worden.- War diese Position ein Karriereziel?Es ist eine der Traumpositionen, die es im Allianz-Konzern gibt. Hinzu kommt: Die deutsche Organisation ist meine berufliche Heimat. Ich habe hier viele unterschiedliche Positionen vom Vertrieb bis zum Betrieb durchlaufen und saß zwei Jahre im Vorstand. Die Gesamtverantwortung für die größte Einheit der Allianz-Gruppe zu übernehmen, nötigt mir Respekt ab. Ich freue mich, dass ich Chef der Allianz Deutschland sein darf.- Welche waren die größten Herausforderungen, die Sie in Ihrer Karriere bewältigen mussten?Jede Aufgabe bringt andere Herausforderungen mit sich. Zuletzt war ich in Russland gezwungen, das Privatkundengeschäft einzustellen, um die Assets der Allianz zu schützen. In meiner Zeit in der Schweiz habe ich aus drei fusionierten Gesellschaften eine neue Einheit mit einer entsprechend veränderten Unternehmenskultur geformt. Dort gab es komplexe Transformations- und Reorganisationsaufgaben umzusetzen. Insgesamt hatte ich in allen meinen Stationen das Glück, dass es viel zu tun gab.- Was gibt es nun in Deutschland zu tun?Hier habe ich die große Herausforderung, die Allianz bedingungslos auf die Kunden auszurichten und dies mit der Anforderung der Digitalisierung zu verbinden.- Aber die Allianz Deutschland AG ist kein Restrukturierungsfall, vielmehr gab es zuletzt Rekordwerte bei Umsatz und Gewinn.Das ist tatsächlich eine andere Art von Herausforderung als in der Schweiz und in Russland, und ich nehme sie gerne an. Es gibt theoretisch zwei Möglichkeiten: Entweder verwaltet man den Status quo, oder man macht das Unternehmen für die nächsten Jahre fit. Letzteres ist mein Anliegen und der Ehrgeiz meiner Vorstandskollegen.- Welchen Führungsstil pflegen Sie?Ich lege die Dinge offen auf den Tisch und spreche Probleme ohne Umwege an. Anschließend komme ich schnell zu Entscheidungen. Dabei verstehe ich mich als Teamplayer. Gerade in so großen Einheiten wie der Allianz Deutschland ist es wichtig, dass man gute Teams hat. Nur so ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich. Das bedeutet auch: Ich glaube nicht an starre Hierarchien. Wir müssen eine einzige Frage nach vorne stellen: Wie können wir unsere Angebote so ausgestalten, dass sie dem Kunden noch mehr Nutzen und Service bringen?- Es gibt kein ausgeprägtes Oben und Unten mehr?Unsere Organisationsform muss das Ziel haben, die Kunden für die Allianz zu gewinnen und für unsere Produkte und Lösungen zu begeistern. Weil wir in einer Welt leben, in der alles sehr schnell geht, müssen auch wir unser Tempo erhöhen. Die Kunden, die uns Mails schicken, wollen beispielsweise nicht Tage oder gar Wochen auf eine Antwort per Brief warten, sondern innerhalb von Minuten informiert werden. Jede Form von hierarchischem Arbeiten passt nicht zu diesen Bedürfnissen. Ganz klar ist also: Inhalt steht vor Hierarchie. Kunden tolerieren nicht mehr, wenn ein Mitarbeiter ein Thema an den nächsten und dieser anschließend an den übernächsten Beschäftigten weitergibt. Dieses sequenzielle Vorgehen dauert viel zu lange. Deshalb gilt: Ich arbeite in Projekten und Netzwerken.- Projektarbeit ist nicht unbedingt eine neue Erfindung.Aber früher hat man Projekte gegründet, die schon mit ihrem Beginn ein definiertes Ende hatten. Das ist vorbei. Die Projekte und Netzwerke heutzutage werden ein Dauerzustand sein, natürlich in unterschiedlicher Zusammensetzung und mit variierender Aufgabenstellung.- Wie sieht das konkret aus?In der Produktentwicklung etwa gehen wir nicht mehr von einer Produktkategorie aus, sondern von einem Kundenbedürfnis. Der Kunde will zum Beispiel trotz niedriger Zinsen eine Lebensversicherung abschließen, die eine attraktive Rendite bietet. Wir rufen die Leute zusammen, die am besten geeignet sind, unabhängig von der Hierarchie dieses Thema zu lösen. Da sind Mitarbeiter gefragt aus der Spartengesellschaft, aus dem Finanzressort, aus Betrieb, Vertrieb, Betriebsorganisation, IT und Marktmanagement. Wir suchen im Vorstand die Mitarbeiter, Führungskräfte und Verkäufer aus, die Innovationsthemen aus Bereichen wie Altersvorsorge und Autoversicherung vorantreiben. Die Teams erhalten Rahmenbedingungen, unter denen sie operieren. Dazu gehört das Verbot von Delegation oder die Beachtung der digitalen Standards.- Das klingt ein wenig wie aus dem Management-Handbuch. Verteidigt nicht jeder Beschäftigte seine Macht oder sein Herrschaftswissen?Das ist bei uns nicht Theorie, denn wir praktizieren es ja. Damit wir schnell sind, muss aber tatsächlich die Bereitschaft vorhanden sein, mit anderen zu teilen, indem man Informationen sofort offen auf den Tisch legt. Es gibt keinen Raum für politisches Taktieren oder halbtransparente Meinungen. Man sollte sich auch nicht hinter Richtlinien von Chefs verstecken, sondern Konflikte ausdiskutieren und gemeinsam um eine Lösung ringen. Hinter diese neue Art der Zusammenarbeit muss man natürlich die ganze Organisation bringen.- Wird es also auch im operativen Alltagsgeschäft Änderungen geben?Natürlich. Ich wünsche mir, dass mehr Verantwortung an die Kundenschnittstelle zurückgeht. Verkäufer oder Sachbearbeiter sollen die Entscheidungskompetenz bekommen, einen Fall sofort zu lösen, statt ihn sequenziell dem nächsten Allianz-Beschäftigten zu übergeben, der dann eventuell nochmals beim Kunden nachfragen muss. Derartige Endlosschleifen akzeptiert der Kunde heute nicht mehr.- Verliert die Allianz mit dem Verzicht auf Kontrollketten ihre Verlässlichkeit?Sicher nicht. Wir haben überall hoch qualifizierte Mitarbeiter. Ich habe ein Riesenvertrauen in deren Kompetenz. Und selbst wenn ein Sachbearbeiter für einen Fall dann einmal mehr Zeit benötigt, ist das sofortige Lösen des Problems unter dem Strich trotzdem für uns und den Kunden ein Gewinn.- Sind Sie zufrieden mit dem aktuellen Hierarchie- und Projektverständnis innerhalb der Allianz?Es ist bereits viel auf den Weg gebracht worden. Ich gebe aber zu, dass eine so große Einheit wie die Allianz Deutschland nicht leicht zu bewegen ist. Zudem ist von der rechtlichen und regulatorischen Seite eine bestimmte Form vorgegeben. Trotzdem sehe ich Inseln im Unternehmen, die diesen Veränderungsprozess leben. Diese Änderungen in der ganzen Breite auszurollen, wird eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Erfolg in der Zukunft sein.- Ist in dieser Projektwelt noch Platz für ein neues Unternehmensprogramm?Man braucht beides. Nur mit einer übergreifenden Programmatik können Sie die vielen Mitarbeiter auf diese Reise mitnehmen. Außerdem suchen Menschen nach Orientierung und Halt, insbesondere wenn es Veränderungen gibt. Zudem ist die Organisation mit ihren zwölf Standorten auf ganz Deutschland verteilt. Hinzu kommen die Ausschließlichkeitsorganisation mit 8 400 Vertretern und die anderen Vertriebe. Der Vorstand wird daher in den nächsten Monaten ein Programm erarbeiten, mit dem er die Leitplanken definiert.- Wie verläuft der rote Faden?Digitalisierung und Kundenorientierung sind die zentralen Themen. Denn das Einkaufsverhalten und die Bedürfnisse der Kunden verändern sich fundamental, und das nicht nur in puncto Schnelligkeit. Die Bundesbürger fragen mittlerweile nicht nur reine Risikoprodukte nach, sondern wollen auch Services haben.- Gibt es dafür schon Beispiele?In der Krankenversicherung sorgen wir über Kooperationen dafür, dass den Patienten die verordneten Arznei- und Heilmittel nach Hause geschickt werden können. Dies zeigt: Der Kunde erwartet in manchen Lebenslagen bestimmte Dienstleistungen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Im Übrigen richten wir auch unsere Produktentwicklungsprojekte konsequent am Kunden aus: Markttests gibt es nicht erst nach Monaten, vielmehr werden die Teams sofort mit Kundenmeinungen konfrontiert.- Digitalisierung ist schon lange ein Thema. Was ändert sich?Be- und Vertrieb sind teilweise bereits umgestellt, nun muss die Digitalisierung in allen anderen Unternehmensbereichen umgesetzt werden. Dabei unterscheide ich drei Ebenen. Erstens geht es um die Digitalisierung der Kernprozesse. Zweitens müssen wir uns darauf vorbereiten, dass die Kunden, die im Internet nach Informationen suchen, trotzdem einen kompetenten telefonischen Kontakt direkt aus dem Internet-Auftritt heraus haben wollen. Dieses Verbinden von Internet und persönlicher Beratung wird eine der Kernherausforderungen sein, denn wir müssen erst einmal die Informationswege des Kunden nachverfolgen können. Drittens soll die komplette Produktpalette zumindest im Privatkundengeschäft und im kleingewerblichen Geschäft online verfügbar gemacht werden.- Denken Sie über Wachstum durch Zukäufe nach?Wenn sich Opportunitäten für Akquisitionen ergeben, schaue ich sie mir gerne an. Vor allem aber haben wir den Willen, organisch zu wachsen, auch wenn die Marktanteile schon auf einem hohen Niveau sind.- Wo ist organisches Wachstum möglich?In der Lebens- und Krankenversicherung sehe ich Potenziale im Pflegebereich und bei Zusatz- und Serviceleistungen. In der Lebensversicherung existieren auf jeden Fall Wachstumsmöglichkeiten bei Produkten für Altersvorsorge und Biometrie. In der Sachversicherung herrscht Verdrängungswettbewerb. Insofern haben wir dort andere Startvoraussetzungen, können aber auch Kunden gewinnen. Dies zeigt nicht nur das vergangene, sondern auch das aktuelle Geschäftsjahr.- Werden Sie die Rolle als Versicherer teils neu definieren, so wie die Allianz es in der Zusammenarbeit mit Autoherstellern gemacht hat?Aus der Kombination von Versicherung und Dienstleistung ergeben sich ganz andere Formen von Partnerschaften. In welche Rolle die Allianz genau schlüpft, wird sich zeigen. Kooperationen und Pakete werden von Kundenbedürfnissen aus gedacht.- Wie ist das erste Halbjahr gelaufen?Es entspricht unseren Erwartungen. Wir sind beim Umsatz fast an den Rekordwert des Vorjahres herangekommen. Die Sachversicherung wächst weiter, und zwar in Beiträgen und bei der Anzahl der Kunden. Das ist eine schöne Geschichte. Die Krankenversicherung läuft ebenfalls gut. In der Vollversicherung sind wir auf Wachstumskurs, im Pflegebereich sehen wir erste Erfolge. In der Lebensversicherung gibt es eine Verschiebung: Weniger Einmalbeiträgen stehen mehr laufende Beiträge gegenüber. Daher befindet sich der Umsatz leicht unter Vorjahresniveau. Aber wir sind froh, dass unsere neuen Produkte von den Kunden so gut angenommen werden. Wir haben über 130 000 Verträge vom Vorsorgekonzept Perspektive abgesetzt. Wir gewinnen zudem bei den Biometrie-Produkten Marktanteile.- Vor knapp einem Jahr hat die Allianz erklärt, man beobachte einen strukturellen Wandel hin zu dauerhaft hohen Einmalbeiträgen. Nun gibt es wieder einen Rückgang. Warum?Die Volumina sind ja immer noch sehr hoch. Eine gewisse Volatilität der Einmalbeiträge kann sich aus in- oder externen Gründen immer ergeben. Wenn es sich in einem überschaubaren Rahmen hält, ist das für mich auch in Ordnung. Zudem zeichnen wir die Geschäfte strikt profitabilitäts- und risikoorientiert und orientieren uns nicht an Marktanteilen. Dem Thema würde ich grundsätzlich etwas weniger Bedeutung zumessen. Viel wichtiger ist, dass die laufenden Beiträge steigen.- Wie entwickelt sich der Gewinn?Der Operating Profit liegt unter dem Niveau des Vorjahres, beeinflusst etwa durch die Stürme “Niklas” und “Mike”. Aber die Basisschadenquote hat sich nochmals leicht verbessert. Das Kerngeschäft in der Sachversicherung ist also auf hohem Niveau sehr stabil.- Sind Sie mit der Kostenposition zufrieden?Es ist wichtig, dass wir weiter an der Kostendisziplin arbeiten. Wir haben dazu jüngst ein Programm im Vertrieb aufgelegt. Klar ist: Die Sachversicherung wird in diesem Jahr ihr Ziel einer Kostenquote von rund 25 % erreichen.- Im Halbjahr stehen ja schon 24,5 % zu Buche.Dies darf man nicht überbewerten. Durch aperiodisch anfallende Kosten erwarten wir für das zweite Halbjahr stärkere Belastungen und eine höhere Kostenquote.- Sind die 25 % mittelfristig ein zufriedenstellendes Niveau?Irgendwann hat man sicherlich einen Boden erreicht. Aber das Niveau ist nicht nur abhängig von den absoluten Kosten, sondern auch vom Wachstum.- Wie lautet die Prognose für das laufende Jahr?Der Umsatz der Allianz Deutschland wird leicht sinken. Für den Gewinn machen wir keine Vorhersage, denn es kann immer Großschäden, Naturkatastrophen oder Turbulenzen am Kapitalmarkt geben. In der grundsätzlichen Entwicklung aber sind wir auf Kurs.- Was ist Ihnen wichtiger: Wachstum oder Gewinn?Beides ist wichtig, und die Ziele schließen sich ja auch nicht aus.- Aber in bestimmten Phasen will ein Unternehmen mehr wachsen, in anderen Phasen quetscht man vielleicht beim Gewinn etwas mehr raus.”Rausquetschen” ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell und keine dauerhafte Lösung. Das ist auch mit mir nicht zu machen. Ich plane nicht den Gewinn. Ich kümmere mich um die Begeisterung bei den Kunden. Wenn wir unsere Prozesse und Betriebe darauf ausrichten, dann ist alles andere die Resultante.—-Das Interview führte Michael Flämig.