„Ich wusste ja, oder dachte zu wissen, wo das Geld ist“
Von Stefan Paravicini, Berlin
Seit der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Betrugsskandal bei dem Zahlungsdienstleister Wirecard im vergangenen Herbst seine Arbeit aufgenommen hat, wurden mehr als 60 Zeugen in über 200 Stunden zu der Affäre befragt. Zeuge Nummer 68, der ehemalige Chefbuchhalter von Wirecard, Stephan von Erffa, dürfte aber der erste Vertreter des ehemaligen Managements sein, der sich bei dieser Gelegenheit öffentlich entschuldigt hat und dabei nicht in die Opferrolle flüchtete – jedenfalls nicht vollständig.
Es tue ihm leid, dass der Betrug mit den Compliance-Mechanismen innerhalb des Unternehmens nicht entdeckt worden sei, sagte der 46-Jährige, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, am Donnerstag im Untersuchungsausschuss. „Es war für mich unvorstellbar, dass sowas passieren konnte.“ Es gebe viele Beteiligte, die für den Bilanzbetrug eine „gewisse Verantwortung“ tragen, dem wolle auch er sich nicht entziehen, räumte der ehemalige Head of Accounting ein. Er sei „vielleicht zu gutgläubig gewesen“, hätte zum Beispiel hartnäckiger nach Belegen fragen. Warum er es nicht tat? „Ich wusste ja oder dachte zu wissen, wo das Geld ist, nämlich auf den Treuhandkonten.“
Im Juni vergangenen Jahres wusste dann plötzlich niemand mehr, wo das Geld ist. Statt 1,9 Mrd. Euro Gewinne aus dem Asien-Geschäft, die nicht nur der damalige Chefbuchhalter auf Treuhandkonten auf den Philippinen vermutete, klaffte plötzlich ein großes Loch in der Bilanz und Wirecard meldete Insolvenz an.
Von Erffa, der wegen einer möglichen Verstrickung in Untersuchungshaft sitzt, war als Chef der Bilanzabteilung dafür zuständig, die Einzelabschlüsse der Töchter zu prüfen und im Konzern zu konsolidieren.
Er habe eigentlich gedacht, Wirecard sei in Sachen Compliance, interne Revision und mit Blick auf die Kontrolle durch den Aufsichtsrat gut aufgestellt, sagte der ehemalige Wirecard-Manager vor dem Ausschuss. Die Zahlen im sogenannten Drittpartnergeschäft im Ausland, über das der Betrug abgelaufen sein soll, seien ihm zu keinem Zeitpunkt merkwürdig oder nicht authentisch erschienen. Es habe zwar immer wieder organisatorische Probleme gegeben, alle nötigen Informationen für Wirtschaftsprüfungen zu beschaffen, räumte von Erffa ein. Drittpartner und Treuhänder hätten die Salden aber unabhängig voneinander bestätigt. Er selbst habe keine Kenntnis von betrügerischen Machenschaften bei Wirecard gehabt, betonte der ehemalige Chefbuchhalter.
Im Anschluss an von Erffa wollte der Untersuchungsausschuss am Donnerstag auch Thomas Eichelmann, den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden von Wirecard, befragen. Auf der Zeugenliste standen außerdem Daniel Steinhoff, der ehemalige Leiter der Compliance-Abteilung Wirecards, Sandra Schuster, die ehemalige persönliche Assistentin des Ex-Konzernchefs Markus Braun, sowie Heike Pauls, eine ehemalige Commerzbank-Analystin, die überaus wohlwollende Studien über Wirecard abfasste.
EY wird im Ausschuss befragt
Mit Spannung erwartet werden heute die Aussagen der Wirtschaftsprüfer von EY, die über mehr als zehn Jahre die Bilanzen von Wirecard für gut befunden haben. Christian Orth, dem Leiter der internen Qualitätssicherung von EY, steht am Freitag bereits der zweite Auftritt vor dem Ausschuss bevor, nachdem er im November schon einmal vorgeladen wurde. Im Anschluss werden die Abgeordneten Hubert Barth, den ehemaligen Vorsitzenden der Geschäftsführung von EY Deutschland, befragen. Der Ex-Chefbuchhalter von Erffa wies bei seinem Auftritt vor dem Ausschuss alle Zweifel an EY zurück. Man wusste ja, oder dachte zu wissen, wo das Geld ist.