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Iger nimmt bei Disney Zügel wieder in die Hand

Von Norbert Kuls, New York Börsen-Zeitung, 18.4.2020 Ein echter Stabwechsel an der Spitze von Walt Disney scheint sich wegen der Coronakrise zu verzögern. Zwar hatte der langjährige Vorstandschef (CEO) Bob Iger (69) die Führung des kalifornischen...

Iger nimmt bei Disney Zügel wieder in die Hand

Von Norbert Kuls, New YorkEin echter Stabwechsel an der Spitze von Walt Disney scheint sich wegen der Coronakrise zu verzögern. Zwar hatte der langjährige Vorstandschef (CEO) Bob Iger (69) die Führung des kalifornischen Unterhaltungskonzerns Ende Februar überraschend und mit sofortiger Wirkung an den zuvor für Freizeitparks und Lizenzprodukte zuständigen Bob Chapek (60) abgegeben. Aber angesichts der Pandemie, deren Folgen Disney hart treffen, hat Iger, der weiter dem Verwaltungsrat vorsteht, seine Rückzugspläne offenbar aufgegeben und die Zügel wieder stärker in die Hand genommen. “Eine Krise dieses Ausmaßes mit ihren Auswirkungen auf Disney würde zwangsläufig dazu führen, dass ich Bob und das Unternehmen aktiv bei der Bewältigung der Krise unterstütze, zumal ich das Unternehmen 15 Jahre lang geleitet habe!”, teilte Iger der “New York Times” in einer E-Mail mit – und bestätigte damit entsprechende Spekulationen.Für das auf Massenunterhaltung spezialisierte Unternehmen ist die Pandemie eine Katastrophe, weil sie räumliche Distanz zwischen Menschen verlangt. Die Freizeitparks sind geschlossen. Mehr als 70 000 Mitarbeiter der Parks in Florida und Kalifornien werden in den Zwangsurlaub geschickt, behalten also ihre Krankenversicherung, aber bekommen keinen Lohn mehr. Die Kreuzfahrtschiffe von Disney liegen vor Anker und die Zukunft von drei in Deutschland im Bau befindlichen neuen Schiffen sei unklar, hieß es.Einen Hoffnungsschimmer bietet der im vergangenen Jahr gestartete Streaming-Dienst Disney+ (Plus), mit dem Disney gegen Konkurrenten wie Netflix angetreten ist. In den Zeiten von Pandemie und Ausgangssperren bieten Filme im Internet eine willkommene Ablenkung. Disney+, der im März auch in Deutschland an den Start gegangen war, hat jetzt schon mehr als 50 Millionen Abonnenten. Vor zwei Jahren hatte Disney große Teile des Konkurrenten 21st Century Fox, darunter das Film- und Fernsehstudio, übernommen, dessen Produktionen jetzt auch über Disney+ vertrieben werden. Aktienkurs eingebrochenAber Kinopremieren von potenziellen Sommerhits wie “Black Widow” aus den Studios der Superhelden-Schmiede Marvel wurden in den Spätherbst verschoben. Neue Film- und Fernsehproduktionen liegen auf Eis. Eine andere wichtige Disney-Sparte, der Sportkabelsender ESPN, verliert Zuschauer und Werbeeinnahmen, weil alle großen Sportveranstaltungen abgesagt wurden. Der Aktienkurs von Disney ist in diesem Jahr um rund 28 % gefallen, mehr als doppelt so stark wie der breitgefasste Aktienindex S&P 500.Iger, einer der einflussreichsten Spitzenmanager in Hollywood, hatte ohnehin nicht vor, das Unternehmen schnell zu verlassen. Er sollte noch bis Ende des kommenden Jahres den Verwaltungsrat als “Executive Chairman” leiten und zudem die “kreativen Bestrebungen” von Disney verantworten. Iger wolle auf diese Weise einen reibungslosen Übergang an der Spitze des Unternehmens gewährleisten, hieß es bei der offiziellen Ankündigung des Wechsels. Faktisch bliebe er in dieser Konstellation also bis zu seinem avisierten Abgang Chapeks Vorgesetzter. Der ungewöhnliche Titel “Executive Chairman” signalisiert auch, dass Iger sich an der Spitze des Aufsichtsgremiums nicht auf eine Kontrollfunktion beschränken, sondern weiter aktiv eingreifen wollte. Als Kreativchef würde Iger den Kern des Unternehmens prägen – die von den Filmstudios produzierten Inhalte, die Disney dann in anderen Bereichen vermarktet, etwa in Form von Videospielen, Fernsehserien, Spielzeug, bedruckter Kleidung, als Fahrgeschäfte der Freizeitparks oder als Musicals am New Yorker Broadway, dessen Lichter wegen der Pandemie dunkel bleiben.Iger, der auch schon mal mit einer Präsidentschaftskandidatur kokettierte, hatte vor dem offiziellen Wechsel im Februar bereits viermal Rücktrittspläne angekündigt, sie dann aber immer wieder verschoben. Angesichts der Unwägbarkeiten der Krise ist nun möglicherweise offen, ob die vereinbarte Nachfolgeregelung hält. Chapek wurde in dieser Woche zunächst wie geplant in den Verwaltungsrat von Disney gewählt. “Bob Chapek hat angesichts beispielloser Herausforderungen, die unvorstellbar waren, als er vor nur sieben Wochen CEO wurde, bemerkenswerte Führungsqualitäten bewiesen”, ließ Executive Chairman Iger verlauten. Chapek habe “diese sehr komplexe Situation mit Entschlossenheit und Mitgefühl” gemeistert. Laut “New York Times” hatte Iger Chapek schon versichert, dass die besonderen Umstände der Krise bei der Beurteilung seiner Leistung durch den Verwaltungsrat berücksichtigt würden.