Im Morast
Als Christian Sewing im April vergangenen Jahres als Chef der Deutschen Bank antrat, verbanden viele Anleger damit die Hoffnung auf eine Stabilisierung und Gesundung des Instituts. Gut ein Jahr später ist festzuhalten: Sewing hat im Institut Kostendisziplin durchgesetzt, mehr nicht. Fast könnte man sogar meinen zu beobachten, wie der Hoffnungsträger, anfangs aufs Podest gestellt, mit eben diesem im Zeitlupentempo in dem Morast versinkt, in den sich die Bank schon lange vor seiner Berufung verwandelt hat. Auf der Hauptversammlung jedenfalls fiel das Votum für die Entlastung des Vorstandsvorsitzenden mit rund 75 % so schlecht aus wie seit 2015 nicht mehr, als die Anleger die damaligen Co-Chefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain vom Hof jagten.Schwerer noch wiegt: Sewings Strategie nur begrenzter Einschnitte ins taumelnde Investment Banking greift augenscheinlich zu kurz. Die Erträge im Startquartal sind, auch infolge der Schrumpfungen, konzernweit so mickrig niedrig ausgefallen wie seit dem Horrorjahr 2008 nicht mehr, die Eigenkapitalrendite dümpelt bei 1 %. Die Aussichten für die Kernsparte sind mau: Branchenweit sinken die Einnahmen, US-Größen wie J.P. Morgan, Bank of America sowie Citigroup bereiten die Investoren auf schwache Handelserträge im zweiten Quartal vor, HSBC und Mitsubishi UFJ bauen gar in größerem Stil Stellen ab.Allein seit Sewings Berufung auf den Chefsessel sind 46 % des Börsenwerts perdu gegangen – in 13 Monaten hat sich der Kurs unter seiner Führung damit mehr als sechs Mal schlechter entwickelt als unter dem zu Recht viel geschmähten Führungstandem Jürgen Fitschen und Anshu Jain in rund drei Jahren. Die Abwärtsspirale beschleunigt sich. Es liegt auf der Hand, dass Sewings Zwischenbilanz von Fehlern seiner Vorgänger gezeichnet ist. Andererseits: Für den Chef einer Gesellschaft, die einen derartigen Niedergang erlebt, hat der Manager programmatisch bisher erstaunlich wenig geboten. Mit Blick auf den betriebswirtschaftlichen Irrsinn regelmäßiger Milliardenboni ausgerechnet im schlechtesten Geschäftsbereich, dem Investment Banking, gilt zudem: Für eine Gesellschaft, mit deren Geschäftsmodell es so stark hapert, sind die Beharrungskräfte im Konzern faszinierend. Immerhin ist die Marktkapitalisierung seit dem Rekordhoch 2007 schon zu 94 % verdampft. Viel mehr Vertrauensentzug geht nicht.In den kommenden Wochen dürfte die Deutsche Bank nun Veränderungen präsentieren. Sie werden wohl den Handel mit Staatsanleihen und den Aktivitäten in den USA, aber auch am Zins- und Aktiengeschäft allgemein betreffen – im Wesentlichen die Felder, in denen Sewing schon nach Amtsantritt kürzte. Was die Bank aber bräuchte, wäre ein Befreiungsschlag, indem sie etwa das Kapitalmarktgeschäft radikal eindampft. Die Aktivitäten binden den Löwenanteil des Eigenkapitals, und ihr Ergebnis kann so toll nicht ausfallen, wenn der Vorstand es nicht separat von jenem der Transaktionsbank zeigen will. Damit aber stünde Sewing vor einem strategischen und einem praktischen Problem: Er müsste die Frage beantworten, wofür die Bank dann noch steht. Vom Investment Banking abgesehen hat das Haus noch ein teilweise an der Börse versilbertes Assetmanagement und ein Massengeschäft, das wegen der Postbank-Integration auf Sicht eine Baustelle bleibt. Milliardenboni fungieren da auch als eine Art Prämie, zahlbar auf die Option, der Illusion einer globalen Investmentbank nachzuhängen. Überdies ist Sewing, mangels Erfahrung im komplexen Kapitalmarktgeschäft, bei dessen Reduktion auf die Hilfe jener angestellten Millionäre angewiesen, deren Radius er beschneiden will. Und dort kann man etwas erleben – so erfuhren Anleger im Zuge der Kapitalerhöhung vor zwei Jahren von einem rund 60 Mrd. Euro schweren Portfolio alter Lasten.Sewings Dilemma: Kleine Korrekturen reichen nicht aus, ein gescheiter Umbau kostet indes Geld, das die Bank nicht hat. Eine mit der Reparatur des Geschäftsmodells begründete Kapitalerhöhung würde noch weniger einladend wirken als eine Emission zur Finanzierung einer Commerzbank-Übernahme, von der kolossalen Verwässerung ganz abgesehen. Sewing muss einen Weg finden, sich wie Baron von Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Der von Rekordtief zu Rekordtief fallende Kurs zeigt: Den Anlegern wäre jede Veränderung lieber als ein “Weiter so”. Und wenn das Einzige, was die Deutsche Bank entfachen kann, Restrukturierungsfantasie ist.——Von Bernd NeubacherEs scheint, als sinke der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing sukzessive tiefer in den Morast, in den sich die Bank vor Jahren verwandelt hat. ——