IM INTERVIEW: DANIEL ZUBERBÜHLER

"In Cryan habe ich großes Vertrauen"

Ex-Chef der Schweizer Bankenaufsicht will Großbanken mehr abverlangen

"In Cryan habe ich großes Vertrauen"

– Herr Zuberbühler, der jüngste Milliardenverlust der Credit Suisse weckt ungute Erinnerungen an vergangene Zeiten. Müssen wir uns als Steuerzahler wieder ernsthafte Sorgen um die Großbanken machen?Etwas Geschichtsbewusstsein schadet nie, aber für Sorgen wie damals in der Finanzkrise gibt es heute keinen Grund.- Warum nicht? 6 Mrd. sfr Verlust in einem Quartal sind doch eine enorme Summe.Ja, aber die Credit Suisse bereinigt Altlasten, ganz ähnlich wie die Deutsche Bank, der es dabei sogar noch etwas schlechter geht. Es geht nicht um neue Verluste, frische Skandale und Löcher, die sich plötzlich auftun. Der Verlust der Credit Suisse ist zum großen Teil das Ergebnis eines aufgestauten Abschreibungsbedarfs.- Aber läuft es am Ende nicht auf dasselbe hinaus, ob einer Bank das Kapital wegen alter oder neuer Sünden fehlt?Die Credit Suisse hat formal nach den geltenden Regeln nicht zu wenig Kapital. Sie hat 32 Mrd. sfr hartes Kernkapital, das sind einbehaltene Gewinne und einbezahltes Aktienkapital. Das ist sogar etwas mehr als die UBS, die aber ihre kapitalintensive Investmentbank stärker zurückgefahren hat als die Credit Suisse.- Sie sagen, die Bank habe formal genug Kapital. Was wollen Sie uns mit dieser Einschränkung sagen?Es gibt eine Grundsatzfrage und diese lautet: Haben Großbanken an sich genügend Eigenkapital? Aber was wir nun bei der Credit Suisse sehen, kann man nicht als dramatische Verschlechterung bezeichnen, wie wir das in den ersten zwei Jahren der Finanzkrise bei der UBS und ausländischen Großbanken erleben mussten. Da kamen ständig neue Verlustquellen zum Vorschein, und die Verluste türmten sich fast täglich höher.- Bevor wir auf die Grundsatzfrage zu sprechen kommen: Wie erklären Sie sich denn die panische Reaktion der Börse auf die Credit-Suisse-Zahlen?Ich kann schon verstehen, wenn sich ein Aktionär über die Perspektiven seiner Bank Sorgen macht. Die Profitabilität ist bescheiden, und es sieht auch nicht danach aus, also würde sich das bald dramatisch verbessern. Und schließlich steigen vermutlich auch die regulatorischen Anforderungen weiter. Im Fall der Credit Suisse kommt noch dazu, ob die Leute an den Erfolg eines radikalen Wechsels des Geschäftsmodells glauben.- Wir stehen jetzt im zehnten Jahr seit Ausbruch der Finanzkrise, und immer noch hat man den Eindruck, als seien die Großbanken nicht wirklich stabil. Gibt es hier ein fundamentales Problem?Die Großbanken sind nicht generell instabil. Wells Fargo etwa ist stabil, UBS ist auch einigermaßen stabil, die Deutsche Bank ist extrem im Umbruch. Aber dort zieht mit John Cryan ein Mann die Fäden, der einfach radikal aufräumt. In Cryan habe ich großes Vertrauen. Der hat als Finanzchef der UBS in der Krise einen sehr guten Job gemacht. Der ließ sich nie beeindrucken von Pseudo-Eigenkapital wie Coco und ähnlichem Zeugs und bestand darauf, dass die Bank in erster Linie mit echtem Eigenkapital ausgestattet wird. Es gibt Banken, die schon hinter der Kurve sind, und andere, die sie, wenn auch spät, noch zu nehmen versuchen.- Sie haben die Grundsatzfrage der Kapitalausstattung der Großbanken angesprochen. Wie gut ist das Sicherheitsnetz, das man mit dem Too-big-to-fail-Gesetz und den neuen internationalen Baseler Kapitalstandards aufgespannt hat?Sie haben sicher eine substanzielle Verbesserung zum Stand vor der Finanzkrise gebracht. Und auch eine klare Verschärfung gegenüber den Eigenmittelzuschlägen, die wir in der Eidgenössischen Bankenkommission zusammen mit der SNB im Sommer 2008 noch vor dem Lehman-Kollaps vorgeschlagen hatten und nach der UBS-Rettung durchsetzten. Aber es sind alles nur Kompromisse, und sie reichen nicht aus. Zum Beispiel ist die jüngste Verschärfung der maximalen Verschuldungsgrenze (Leverage Ratio, Anm. d. Red.), wie sie der Bundesrat festgelegt hat, ungenügend. Eine Quote von 5 % für das laufende Geschäft, davon 3,5 % hartes Eigenkapital, das ist immer noch bescheiden. Ich denke, eine Quote von 10 %, bestehend aus hartem Kernkapital, wäre kein Luxus. Die Inlandsbanken haben im Mittel eine Quote von 7 %. Von den systemrelevanten Großbanken sollte man also klar mehr verlangen.- Professor Aymo Brunetti, der die Too-big-to-fail-Expertengruppe des Bundesrates geleitet hat, sagt, “es gibt eine politische Realität, die man in der Regulierung nicht ausblenden kann”. Kann sich die Schweiz solche Kompromisse noch leisten?Herr Brunetti ist nicht das Problem. Er hat eine hervorragende Arbeit geleistet, aber sein Auftrag war es, mit den Großbanken eine Einigung zu erzielen. Noch 2010 teilte ich die Einschätzung, dass uns die Politik ohne Einigung mit den Großbanken im Stich lassen würde. Heute finde ich es indessen an der Zeit, einen Vorschlag gegen den Willen der Großbanken zu machen. Wenn die Politik dem nicht folgt, dann soll sie die Verantwortung übernehmen.—-Das Interview führte Daniel Zulauf.