GASTBEITRAG

In der Coronakrise gleicht der Staat alles aus

Börsen-Zeitung, 16.6.2020 Das Kreditgewerbe in Deutschland - wie andere Branchen auch - ist seit Jahren mit Herausforderungen konfrontiert, die ohne tiefgreifende Umstrukturierungen nicht zu bewältigen sein werden. Digitalisierung, Niedrigzinsphase...

In der Coronakrise gleicht der Staat alles aus

Das Kreditgewerbe in Deutschland – wie andere Branchen auch – ist seit Jahren mit Herausforderungen konfrontiert, die ohne tiefgreifende Umstrukturierungen nicht zu bewältigen sein werden. Digitalisierung, Niedrigzinsphase und Regulierung fordern einen Paradigmenwechsel in den Geschäftsmodellen der Banken. Dies ist bekannt und in einer Vielzahl von Beiträgen behandelt worden. Kommt nun mit der Coronakrise eine zusätzliche Herausforderung in einer bislang unbekannten Dimension auf die Banken zu? Zur Beantwortung ein kurzer Blick auf das gegenwärtige Umfeld und seinen Ursprung in Thesenform. Diese Thesen zeigen den spezifischen Charakter der aktuellen Krise:Die Krise ist Ergebnis eines, überspitzt gesagt, bewusst als Konsequenz zur Eindämmung der Pandemie herbeigeführten staatlich verordneten Stillstands der Wirtschaft auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Es handelt sich anders als in früheren Fällen nicht um eine systemimmanente Krise der Wirtschaft wie beim Platzen der Internetblase 2003 oder der Finanzkrise 2007/08.Gleichzeitig werden zur Eindämmung von unmittelbar krisenbedingten Folgen in allen Ländern von staatlichen Stellen veranlasste Hilfsprogramme für die gesamte Wirtschaft aufgelegt, die die resultierenden Einkommensausfälle der Arbeitnehmer kompensieren und den Bestand von Unternehmen bis in die Zeit nach der Krise hinein sichern sollen. Die Zeit der Pandemie soll, vereinfacht gesagt, durchfinanziert werden.Gleichzeitig werden zunehmend Einschätzungen geäußert, dass selbst bei einem Erfolg der Maßnahmen nach der Krise und der Überwindung der Pandemie keine Rückkehr zum Status quo ante zu erwarten ist. Um nur ein Beispiel zu nennen, hätte die Fortdauer der aktuell zugenommenen Arbeit im Homeoffice Auswirkungen auf den Bedarf an Gewerbeimmobilien und Geschäftsreisen.Die Finanzierung der Maßnahmenpakete soll durch Staatsschulden mit sehr langen Laufzeiten oder ohne Fälligkeit und zu Nullzinsen erfolgen. Diese werden durch Notenbanken – die ihrerseits noch Programme zur Pandemiebekämpfung auflegen – aufgekauft. In einem Satz: Der Staat gleicht alles aus, und eine expansive Geldpolitik wird alles finanzieren! Risikovorsorge schlägt einVor diesem Hintergrund ist also keine neue originäre Finanz- und Bankenkrise zu erkennen, aber eine anhaltend schwache Ertragskraft bei angesichts des Zinsumfelds weiterhin deutlich sinkenden Erträgen und unverändert hohen IT-Kosten. Diese ist nun einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. Die Ergebnisse vieler Banken haben zuletzt vielfach nur noch deshalb passabel ausgesehen, weil die Institute geringe Risikovorsorge bilden mussten, zum Teil sogar auflösen konnten. Diese Möglichkeit entfällt. Höhere Belastungen aufgrund von bilanziellen Vorkehrungen für steigende Kreditrisiken werden zu stemmen sein, wie die deutsche und europäische Bankenaufsicht erwarten. In welchem Umfang zukünftig bedrohliche Entwicklungen zu erwarten sind, lässt sich aktuell nur schwer abschätzen. Der Gesetzgeber hat das Insolvenzrecht gelockert, die Standardsetter der Rechnungslegung legen die Vorschriften wie den Bilanzstandard IFRS 9 mit seinen strikten Regeln zur vorausschauenden Bildung von Risikovorsorge weit aus.In den vergangenen Wochen gab es von Aufsichts- und Prüfinstanzen zahlreiche Papiere, die Banken dazu anhalten, die Folgen von Covid-19 zumindest fürs Erste, so gut es geht, zu ignorieren, auch wenn die BaFin beteuert: “Mit angepassten Rahmenbedingungen will die BaFin Finanzunternehmen in der Coronakrise stärken, aber keine Deregulierungsoffensive in Gang setzen.” Auch hier gilt offensichtlich: Der Staat wird alles ausgleichen! Die Zeit wird knappErhalten bleiben wird den Banken die Fortsetzung der Herausforderungen aus der Zeit vor der Coronakrise, allerdings ergibt sich je nach Geschäftsart erhöhter Druck auf Ausmaß und Umsetzungsgeschwindigkeit der zur Ertragsstabilisierung erforderlichen Maßnahmen.Eine durchgreifende Verbesserung der Erlössituation ist wegen der Dominanz des zinstragenden Geschäfts nicht in Sicht. Die Niedrigzinsphase bleibt bestehen und wird das Zinsergebnis kontinuierlich sinken lassen. Die in der Coronazeit beschleunigten Trends im geänderten Kundenverhalten hinsichtlich Zahlungsgewohnheiten und Online-Banking und der Digitalisierung werden sich verstärkt fortsetzen.Im provisionstragenden Geschäft aus den Zahlungsdienstleistungen werden die Banken vom aktuellen Boom der Karten- und Online-Zahlungen in Deutschland kaum profitieren. Zuwächse können primär die Institute verzeichnen, die am Händlergeschäft partizipieren. Hiervon profitieren nach dem weitgehenden Rückzug aus diesem Geschäft nur noch Teile der deutschen Kreditwirtschaft. Das Wertpapiergeschäft wird nach dem krisenbedingten Einbruch der Börse, der weiterhin befürchteten Volatilität und dem zu erwartenden Angst- und Vorsorge-Sparen nicht an Umfang und Erlösmöglichkeiten gewinnen.Trotz der oben erwähnten weitgehenden Maßnahmen der staatlichen Stellen im In- und Ausland zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Krise wird eine spürbare Verschlechterung der Qualität des Aktivgeschäfts das realistische Szenario prägen. Erhöhte Insolvenzrisiken, verschlechterte Gewinnaussichten der Unternehmen, erhöhte Arbeitslosenzahlen und eine hohe Zahl von Kurzarbeitern werden eine erhöhte Risikovorsorge bei den Kreditinstituten nach sich ziehen.Filialschließungen haben coronabedingt eine weitere Beschleunigung erfahren und die Kunden zwangsläufig mit der Nutzung digitaler Medien im Bankgeschäft vertraut gemacht. Die verstärkte Entfilialisierung des Retail Banking trifft eine Vielzahl der Banken und Sparkassen in ihrem Selbstverständnis. Auch wenn es nicht um eine Welt ohne Banken nach Corona geht, so steht die Finanzwirtschaft erheblich unter Druck, die Herausforderungen an ihr Geschäftsmodell zu bewältigen.Die aktuelle Stellungnahme der Fiducia & GAD und die jüngsten Informationen aus der Finanz Informatik zeigen, dass offensichtlich tiefgreifende Maßnahmen namentlich in der Bank-IT notwendig sind, um in der Finanzindustrie Schritt zu halten. Die Beherrschung der gewachsenen Komplexität der IT und der Wettbewerbsdruck durch neue Player erfordern sowohl überarbeitete Managementkonzepte als auch ein gewandeltes Verständnis von den strukturellen Eigenschaften einer zeitgemäßen Banken-IT. Größe und damit Skaleneffekte allein reichen nicht mehr aus – sie sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen. Die Belastung aus notwendigen IT-Investitionen wird also hoch bleiben und dies bei deutlich sinkenden Erträgen. Die höheren Risikokosten infolge der Coronakrise stellen eine neue und zusätzliche Belastung dar.Eine Verbesserung der Ertragslage ist nach wie vor nicht erkennbar. Trotz aller Ideen zur Erschließung neuer Erlösquellen sind messbare Erfolge bislang ausgeblieben – siehe Paydirekt. Der Ansatz der Deutschen Kreditwirtschaft zur Vereinheitlichung der Produktlandschaft (Projekttitel #DK) zeigt immerhin, dass die Notwendigkeit zur Entwicklung gemeinsamer Lösungen im Zahlungsverkehr erkannt ist, um verloren gegangene Ertragsströme zurückzugewinnen. Gleichzeitig lassen aktuelle Ansätze u. a. in der Sparkassenorganisation, mit der Mastercard Debit ein Wettbewerbsprodukt zur Girocard zu lancieren, Zweifel an der Ernsthaftigkeit an der propagierten Gemeinsamkeit aufkommen. Ebenfalls ist der kommunizierte Einstieg in die Plattformökonomie der Banken bei allen Ansätzen zum Aufbau von Ökosystemen im Banking noch nicht ausreichend konkret. Nur die Kostenseite verbleibtAlle bereits in der Vergangenheit diskutierten Handlungsnotwendigkeiten bleiben in vollem Umfang erhalten. Eine Stabilisierung der Ertragslage auf auskömmlichem Niveau kann in erkennbarer Zeit nicht auf der Erlösseite, sondern nur auf der Kostenseite erzielt werden. Hierzu muss nach den erforderlichen Investitionen in die Banken-IT das dauerhafte Kostenniveau sowohl im IT-Sektor als auch im Vertrieb erheblich gesenkt werden. Auch dies ist keine neue Erkenntnis. Neu ist aber, dass der zur Verfügung stehende Zeitraum deutlich geschrumpft ist, und die Ertragsentwicklung somit noch stärker unter Druck gerät. Konnte in der Vor-Corona-Zeit der reduzierte Risikovorsorgebedarf die Jahresergebnisse der Mehrzahl der Institute noch einigermaßen stabil halten, so entfällt diese Möglichkeit.Damit wird der Zeitrahmen zur Umsetzung der strukturellen Herabsetzung des Erlösbedarfs durch kostenwirksame Maßnahmen schrumpfen, um nicht in Verluste zu geraten. Der Druck auf die Geschäftsmodelle nimmt zu. Eine Beschleunigung eingeleiteter Maßnahmen und ein Umbau des Geschäfts mit einem deutlich abgesenkten Erlösbedarfsniveau werden zur Absicherung einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit des Geschäfts und damit der Existenz unvermeidlich sein. Laurenz Kohlleppel, Aufsichtsrat GBS Software und Johann Rudolf Flesch, Partner RiskBalance