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Indiens schwerer Kampf mit faulen Krediten

Von Ernst Herb, Hongkong Börsen-Zeitung, 1.3.2018 Die unter einer Riesenlast fauler Kredite ächzenden indischen Banken sind seit langem die Achillesferse des von Premierminister Narendra Modi vorangetriebenen wirtschaftlichen Reformprogramms. Wie...

Indiens schwerer Kampf mit faulen Krediten

Von Ernst Herb, HongkongDie unter einer Riesenlast fauler Kredite ächzenden indischen Banken sind seit langem die Achillesferse des von Premierminister Narendra Modi vorangetriebenen wirtschaftlichen Reformprogramms. Wie risikobeladen das ganze Kreditsystem der drittgrößten asiatischen Volkswirtschaft ist, hat sich Mitte Februar erneut mit dem Skandal um die vom prominenten Juwelenhändler Nirav Modi von der Punjab National Bank (PNB) erschlichenen 1,8 Mrd. Dollar Kredite gezeigt. Kein isolierter FallRegierungsvertreter haben zwar schnell von einem Einzelfall gesprochen, doch davon kann zumindest bei den staatlich kontrollierten Banken nicht die Rede sein. Sie waren, anders als die meist besser geführten privaten Institute, bereits vor dem jetzigen Skandal regelmäßig in unlautere Geschäftspraktiken verwickelt. Allerdings kommt dem jüngsten Fall nicht nur wegen seines Ausmaßes besondere Bedeutung zu, will die Regierung Modi doch mit der vergangenen Oktober angekündigten Kapitalhilfe für die von der öffentlichen Hand kontrollierten Finanzinstitute – sogenannte Public Sector Banks – das Kreditwachstum beschleunigen und damit der Wirtschaft mehr Schwung und neue Impulse geben. Der jüngste Bankenskandal hat auf alle Fälle rund ein Jahr vor den allgemeinen Parlamentswahlen eine bisher noch nicht abschätzbare politische Dimension erhalten. Das nicht nur, weil die Aufsichtsbehörden und damit auch die Regierung in die Kritik geraten sind. Vor allem sind auch Stimmen lauter geworden, die eine weitere Öffnung des indischen Finanzsystems fordern. Vor fünf Jahrzehnten nationalisierte die heute in der Opposition stehende Kongresspartei 14 der größten indischen Geldhäuser. Die regierende Bharatiya-Janata-Partei (BJP) steht zwar für mehr Wettbewerb ein und hat durch ein im Vorjahr erlassenes neues Insolvenzgesetz das Bankenwesen transparenter gemacht. So soll verhindert werden, dass zukünftig ehemalige Eigentümer, wie das in der Vergangenheit oft der Fall war, ihre bankrott und damit schuldenfrei gewordenen Unternehmen zu einem Spottpreis zurückkaufen können. Weite Kreise der BJP wie auch der 2014 abgewählten Kongresspartei sperren sich indes bis heute gegen einen Rückzug des Staates aus dem Kreditwesen. Ein solcher Schritt würde, wie es oft heißt, den Zugang ärmerer Bevölkerungsschichten und kleinerer Unternehmen zu Finanzdienstleistungen erschweren. Das trifft zumindest teilweise zu, sind doch in den unterentwickelten ländlichen Gebieten die profitorientierten privaten Banken nicht präsent. Auch wird darauf verwiesen, dass auch private Geldhäuser krisenanfällig sein können, wie das die zwischen 1947 und 1969 in Indien registrierten 665 Bankzusammenbrüche gezeigt haben. “In einem für Banken so gefährlichen Land wie Indien sollten Geschäfte mit der weitestmöglichen Umsicht gemacht werden”, riet der große britische Nationalökonom John Maynard Keynes bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch steht heute hinter dem Widerstand gegen die Privatisierung der Finanzinstitute vielfach auch politisches Kalkül. Die in Indien großzügig erteilten Kredite halten nicht nur die Wähler bei guter Laune, sondern sorgen auch für finanzielle Unterstützung der staatstragenden Parteien. Kaum abgesicherte KrediteNur ungenügend abgesicherten Krediten und direktem Betrug sind dabei vor allem dann Tür und Tor geöffnet, wenn die internen und externen Kontrollen schwach sind. Arvind Subramanian, der führende Wirtschaftsberater der Regierung, hat das Ganze denn auch als “toxisches Modell” bezeichnet. Zwar geht die Ratingagentur Moody’s davon aus, dass ein Problem, wie es jetzt bei der PNB zutage getreten ist, ziemlich einzigartig ist. Auch wird allgemein davon ausgegangen, dass die fünftgrößte Bank des Landes die Krise überstehen wird. Das heißt nicht, dass die Public Sector Banks nicht dringend neues Kapital benötigen, dürften doch heute bis zu 30 % aller ausstehenden Kredite notleidend sein. Dabei hatten indische Finanzinstitute nach Angaben der Notenbank Reserve Bank of India (RBI) allein in den vergangenen drei Jahren 93 Mrd. Dollar abgeschrieben. Gleichzeitig erhielten staatliche Geldhäuser wie die State Bank of India, die Union Bank und nicht zuletzt auch die PNB Finanzspritzen von 30 Mrd. Dollar. Nicht auf staatliche Hilfe angewiesen sind heute hingegen die privaten Geldhäuser, die nicht nur umsichtiger mit ihrem Kapital umgehen, sondern vor allem in den lukrativen Sektoren der boomenden indischen Wirtschaft tätig sind. All das zeigt sich auch darin, dass nach Angaben der RBI nur 12 % aller faulen Kredite in den Büchern der privaten Banken stehen, obwohl deren Marktanteil nach ausstehenden Krediten seit dem Amtsantritt Modis vor vier Jahren von 22 % auf 30 % gewachsen ist. Wie stark sich die Gewichte in wenigen Jahren verschoben haben, verdeutlicht auch ein Blick auf den Finanzmarkt. Der Wert der an der Börse Mumbai gelisteten HDFC Bank übertrifft mit 75 Mrd. Dollar mittlerweile die kombinierte Marktkapitalisierung aller staatlich kontrollierten Geldhäuser. Innerhalb der vergangenen vier Jahre haben die Kurse der 14 gelisteten Public Sector Banks weitgehend stagniert oder sind sogar deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig hat der Hauptindex der Börse Mumbai mehr als 40 % zugelegt. Noch besser abgeschlossen haben aber die Aktien von privaten Geldhäusern, so etwa die der HDFC, deren Kurs sich innerhalb von vier Jahren mehr als verdoppelt hat. Angesichts dieser Entwicklung empfehlen Analysten des japanischen Finanzhauses Nomura einige indische Bankaktien zum Kauf. Fintechs boomenBei all dem unterläuft der indische Bankensektor im Zuge der in Indien besonders stark boomenden Fintech-Industrie einen rasanten Wandel. Dank lokaler Online-Zahlungsplattformen haben innerhalb von wenigen Jahren Millionen Bürger Zugang zu Finanzdienstleistungen erhalten. Hier spielen, teilweise in Partnerschaft mit ausländischen IT-Unternehmen , die privaten indischen Banken eine führende Rolle. Das trägt mit dazu bei, dass die vor allem auf einkommensschwache Schichten ausgerichteten schwachen Public Sector Banks allmählich an Bedeutung verlieren. Auf alle Fälle ist mit all dem der Wettbewerb auf dem indischen Bankenmarkt schärfer geworden. Das zwingt unabhängig von der Eigentumsstruktur die gesamte Branche zu mehr Transparenz. Damit könnte auch die Diskussion um die Privatisierung der Banken bald schon von der Entwicklung überholt werden. Mit Sicherheit bleibt der Fall aber bis zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 2019 ein zentrales politisches Thema.