Initial Coin Offerings bedrohen Venture-Capital-Modell

Technologiefirmen gehen dazu über, Risikokapital mittels Kryptowährung direkt bei Investoren einzusammeln - Handelsfunktionen auf Plattformen ein Bonus

Initial Coin Offerings bedrohen Venture-Capital-Modell

Venture Capital (VC) war gestern: Blockchain und darauf aufsetzende Kryptowährungen verschaffen Start-ups die Freiheit, angestammte Pfade der Mittelbeschaffung zu verlassen und sich per Initial Coin Offering (ICO) direkt an Investoren zu wenden. Ohne Regulierung wird es in dem Sektor aber nicht gehen – die Einstufung von Risikokapital als Spenden ist lächerlich.Von Björn Godenrath, FrankfurtIn Zeiten des digitalen Wandels machen Strukturbrüche auch nicht vor altgewohnten Mechanismen der Investmentbranche halt. Begaben sich junge Technologiefirmen vor 2015 noch ausschließlich bei auf frühe Phasen spezialisierten Venture-Capital-Gesellschaften sowie Business Angels auf Geldsuche, so hat mit dem Aufkommen von Kryptowährungen und der ihnen zugrunde liegenden Blockchain-Technologie eine neuartige Möglichkeit des Fundraising Einzug gehalten.Die Rede ist von Initial Coin Offerings (ICO), das sind Auktionen von Kryptowährungs-Einheiten von Start-ups, die mitunter selbst eine Kryptowährung aufgelegt haben und nun einen Teil der “Geldmenge” (über Tokens abgebildete Equity-Anteile) an Investoren veräußern, um die Entwicklung von Projekten mit dem eingezahlten “echten” Geld voranzutreiben. Organisiert und abgewickelt werden solche Transaktionen nebst Nachhandelsprozessen in der Regel über den Datenhaushalt einer Blockchain, seien es Bitcoin, Ethereum oder eine abgeschlossene private Blockchain.Und seitdem die Notierungen von Kryptowährungen bei aller Volatilität grundsätzlich angezogen haben und die Finanzindustrie dem Einsatz von Blockchains grundsätzlich offen gegenübersteht, hat die ICO-Aktivität mächtig angezogen. Nachdem 2015 einige wenige Projekte wie Ethereum, Factom und Augur aufgelegt wurden, fanden 2016 Daten des amerikanischen Analysehauses Smith & Crown zufolge schon 64 solcher Coin Offerings statt. Aufgenommen wurden damit 102 Mill. Dollar, im Schnitt also 1,6 Mill. Dollar pro Anteilsverkauf. Würde man das aus Deutschland heraus betriebene DAO dazuzählen, wären es 232 Mill. Dollar. Aber zum einen platzte das Projekt nach einem Hack, zum anderen behielten die DAO-Investoren noch eine gewisse Kontrolle über ihre investierten Mittel und deren Verwendung – das war gut für die Schadensbegrenzung, disqualifizierte das Projekt aber Smith & Crown zufolge als klassisches ICO. Futter für SkeptikerFutter für die Skeptiker ist, dass noch keines der mit Seed-Funding aus der Crowd genährten ICOs bislang Erlöse generiert, ein Beweis für das grundlegende Funktionieren eines solchen Fundraising-Modells also noch aussteht. Die Nachhaltigkeit wird man sich über einen Track Record von investorenseitigen Rückflüssen noch erarbeiten müssen. Grundsätzlich seien nun aber einige ICOs aufgelegt worden, die eine Art Dividendenzahlung aus den Einnahmen bzw. Cash-flows der Start-up-Projekte selbst vorsehen, heißt es. Darüber hinaus spekulieren die Investoren natürlich auf Kursgewinne der eingezahlten Kryptowährung selbst, welche dem Fundraising zugrunde liegt. Die jüngsten Kurseinbrüche von Bitcoin und anderen digitalen Währungen zu Dollar und Euro mahnen jedoch zur Vorsicht.Für Investoren stellt sich natürlich die Frage, wie sie ein Start-up ohne bestehende Einnahmen nur anhand eines skizzierten Geschäftsmodells inklusive des inhärenten Währungsrisikos bewerten sollen. Nachdem zunächst aus der Bitcoin-Community heraus abenteuerlustig bei ICOs ins Blaue investiert wurde, haben mit Iconomi und SingularDTV im vergangenen Jahr nun die ersten Fundraisings mit zugrunde liegenden Cashflow-Planungen stattgefunden, welche die am Kapitalmarkt übliche modellhafte Bewertung erlauben. Smith & Crown hat hierfür erste Werkzeuge bereitgestellt, die Investoren eine vertraute Entscheidungsgrundlage bieten können.Iconomi und SingularDTC gehören mit Einnahmen von 10 Mill. und 7,5 Mill. Dollar zu den größten ICOs von 2016,was im letzteren Fall keine 15 Minuten dauerte. Beide wickelten die Token-Ausgabe (als Äquivalent zu Anteilscheinen) über die Ethereum-Blockchain ab, die mit mehr als 20 Transaktionen das beliebteste Vehikel für das ICO-Fundraising war (siehe Grafik). Die meisten Start-ups entschlossen sich aber, eine eigene Blockchain hochzuziehen.So verfuhr auch die deutsche Lisk, die im März 6,4 Mill. Dollar Seed-Kapital aufnahm. Um ein ordnungsmäßiges Reporting sowie den Zugriff auf die Gelder zu regeln, wurde im Dezember eine Stiftung als Non-Profit-Vehikel im schweizerischen Zug gegründet. Zug ist wegen seiner regulierungsfreundlichen Haltung als “Cryptovalley” bekannt. Die Lisk-Blockchain soll eventuell auch als Plattform für die Auflage anderer Coin Offerings dienen.Ein Modell, das die in Amsterdam und Moskau ansässige Waves ebenfalls verfolgt und dafür mit frischen Mitteln von knapp 16 Mill. Dollar gerüstet ist. Mit Incent Loyalty wurde bereits ein erster Emittent für die Plattform gewonnen. Dabei will Waves über ihre Plattform den Tausch von Tokens in “legal tender” reibungsfrei darstellen, womit dann auch Banken angebunden werden könnten. Außerdem können die Token als Anteilscheine über Waves als Sekundärmarkt gehandelt werden – ein Vorgang, der nach aufsichtlicher Kontrolle schreit. Pipeline aufgebautDer größte Pool an Investoren steht in Verbindung mit der Ethereum-Blockchain, die in diesem Jahr einen Schub an ICOs erleben dürfte, hat sich doch eine gewisse Pipeline aufgebaut. Smith & Crown erwartet, dass die Investoren nach dem Mitte 2016 entstandenen Hype neue Projekte mit erhöhter Due Diligence angehen werden. Zudem vermuten die Experten, dass die ICO-Initiatoren bei künftigen Crowdfunding-Emissionen analog zum klassischen Venture-Capital-Modell Folgefinanzierungen auflegen wollen und die Token-Vergabe bei der ersten Emission restriktiver handhaben werden, um nachlegen zu können.So würde man sich doch zunehmend als Konkurrenz zum traditionellen Risikokapital aufstellen – und natürlich kann man unter Inkaufnahme des inhärenten Währungsrisikos auch größere Finanzierungsrunden für reifere Unternehmen über ein ICO stemmen, also nach oben skalieren. ICOs haben bislang aber nur das Format eines mit geringen Losgrößen operierenden Crowdfunding. Je größer die Beträge, desto drängender werden aber auch regulatorische Fragen einer Antwort harren, etwa ob es sich bei den Emissionen um Wertpapiere handelt, die dann auch dementsprechend aufsichtlich zu behandeln sind – eine komplett Compliance-freie Zone ist jedenfalls nicht vorstellbar. Rechtlich sind ICO-Gelder von der Community selbst als Spenden eingeordnet worden.VCs sind jedenfalls gut beraten, sich mit den neuen Möglichkeiten des Fundraising vertraut zu machen, um gegebenenfalls frühzeitig den eigenen Instrumentenkasten zu erweitern – außerdem kann es nicht schaden, selbst innovativ tätig zu werden und ein solches Modell zumindest im “stealth modus” mal auszuprobieren – und sei es nur als ICO-Investor mit einem überschaubaren Betrag, um das Risikoprofil gering zu halten.