Innovationen und Klimaschutz miteinander verbinden
Wenn kommende Generationen in ihren Geschichtsbüchern blättern, werden sie sicher ein Kapitel zur Corona-Pandemie finden. Sie hat weltweit zu tiefen Einschnitten geführt. “Nach Corona wird alles anders sein”, lautet daher eine weit verbreitete Auffassung. Man ist ver-leitet, zuzustimmen. Jeder Einzelne spürt ja die Veränderung gesellschaftlicher Routinen und des eigenen Verhaltens. Zugleich werden die ökonomischen Schäden sichtbar. Innerhalb weniger Wochen wurden Grenzen geschlossen, Lieferketten unterbrochen, Fabriken heruntergefahren und Dienstleistungen eingestellt. Corona hat große Teile der Weltwirtschaft aus den Angeln gehoben. Ich bin sicher: Diese Ereignisse werden auch langfristig deutliche Spuren hinterlassen. Und doch stimmt der Satz, nach Corona werde alles anders, so natürlich nicht.Herausforderungen, die es zuvor gegeben hat, sind nicht verschwunden, nur weil sie vorübergehend aus dem Blickfeld geraten waren. Eines der zentralen Probleme, die Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam zu lösen haben, bleibt der Klimaschutz. Der CO2-Ausstoß muss deutlich reduziert werden – und zwar ohne dass Wohlstand und Mobilität Schaden nehmen. Einfach Fabriken abschalten und den Flugverkehr einstellen ist jedenfalls ein ganz schlechter Plan. Die Coronakrise zeigt, wie schnell Volkswirtschaften in Gefahr geraten, wenn Wirtschaftskreisläufe zum Erliegen kommen. Der Klimaschutz braucht einen Weg, bei dem eine funktionierende Wirtschaft einschließlich industrieller Produktionen weiterhin als Basis unseres Wohlstandes fungieren kann. Klingt einfach, ist es in der Umsetzung jedoch nicht. Es geht um nicht weniger als den Komplettumbau von Industrie, Verkehr und Wohnen – eine Herkulesaufgabe. Zusammenhalt stärkenIn diesem Sinne bietet die Coronakrise eine enorme Chance. Wenn der europäische Wiederaufbau richtig organisiert wird, lassen sich konjunkturelle Anreize und Klimaschutz miteinander verbinden. Das stärkt zudem den Zusammenhalt in der EU. Auch das ist notwendig, um aus der Krise zu kommen. Dass dabei die Starken den wirtschaftlich Schwächeren auch finanziell unter die Arme greifen, sollte selbstverständlich sein. Das kann der europäischen Idee Auftrieb geben und unseren Wohlstand stützen.Ich bin optimistisch, dass das mit den angekündigten Hilfen der Europäischen Union zur wirtschaftlichen Stabilisierung gelingt. Entscheidend wird sein, das Geld sinnvoll in die Zukunft, also vor allem in neue Technologien wie die Produktion von Wasserstoff, zu investieren. Es ist wichtig, dass nun der Einstieg in eine europäische Wasserstoffwirtschaft kraftvoll angegangen wird.Der europäische Green Deal findet ebenfalls meine Zustimmung. Auch hier kommt es natürlich auf die Ausgestaltung an. Beispiel nachhaltige Finanzierung: Sie kann helfen, den Weg in eine klimaneutrale Zukunft zu ebnen. Dabei sollten jedoch Anreize geschaffen werden, die Unternehmen bei ihrem Übergang zur Klimaneutralität unterstützen. So hilft eine Bewertung, die sich ausschließlich auf das aktuelle Portfolio eines Unternehmens bezieht, einem Transformationsprozess nicht. Die relevante Kenngröße muss vielmehr sein, wie schnell und wie nachdrücklich ein Unternehmen den eigenen Transformationsprozess vorantreibt.In diesem Prozess ist die Energiewirtschaft auf einem guten Weg. Mit erneuerbaren Energien kann Strom sauber und bezahlbar hergestellt werden. Große Mengen CO2 sind so vermeidbar. RWE hat zwischen 2012 und 2019 bereits 50 % aller CO2-Emissionen eingespart. Mit einem klaren Fahrplan sorgen wir dafür, bis 2040 klimaneutral zu sein. Und damit früher als viele andere.Deutschland ist beim Umbau der Stromerzeugung schon weit vorangekommen. 2019 betrug der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix rund 43 %. Bis 2030 soll er – so lautet das Ziel der Bundesregierung – auf 65 % steigen. Damit es erreichbar bleibt, braucht es deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Das gilt zum einen für die Windkraft an Land; der Ausbau ist faktisch zum Erliegen gekommen. Das gilt zum anderen für den Ausbau von Offshore-Windkraft. Sie ist für Deutschland eine große Chance.Wie auch ich fürchtet nahezu die gesamte Branche, dass hier keine guten Investitionsbedingungen geschaffen werden. Aus folgendem Grund: Die Ausschreibungsregeln im geplanten Windenergie-auf-See-Gesetz zielen auf Gebote zum Nullpreis ab. Und wenn es davon mehrere gibt, soll man zusätzliches Geld dafür bieten, damit man bauen darf. Das wird nicht funktionieren. Zahlreiche Investoren werden davor zurückschrecken und dann lieber ins Ausland gehen, wo die Bedingungen besser sind. Die Branche ist sich weitgehend einig: Es gibt sinnvolle Alternativen, wie das in Großbritannien bewährte Modell des 2-sided Contract for Difference. Es bietet allen Beteiligten einen verlässlichen Rahmen.Investitionsfreundliche Rahmenbedingungen und die Förderung klimafreundlicher Technologien, beides sollte in den nationalen und europäischen Konjunkturprogrammen eine entscheidende Rolle spielen. Damit sich am Ende nicht nur Corona in den Geschichtsbüchern verewigt, sondern auch ein gewaltiger Modernisierungsschub unserer Volkswirtschaften. Rolf Martin Schmitz, Vorstandsvorsitzender der RWE AG