Investoren rätseln über Archegos-Folgen
dz/mf/lee Zürich/Tokio/Frankfurt
– Nach dem Margin Call des US-Hedgefonds Archegos zeichnet sich nur allmählich das Ausmaß der finanziellen Schäden für einen Teil der beteiligten Banken ab. Dabei verfestigt sich der Eindruck, dass allen voran Institute aus der Schweiz und Japan den Schwarzen Peter in der Hand behielten, als Zwangsverkäufe die Aktienkurse der Internettitel zum Absturz brachten. Wie J.P. Morgan Chase in einem Kurzreport schätzt, könnten sich die Verluste der an dem Geschäft beteiligten Institute auf 5 bis 10 Mrd. Dollar summieren. Demnach waren insgesamt 16 Banken (siehe Tabelle) in die um das 5- bis 8-Fache gehebelten Aktiengeschäfte mit Archegos involviert. Die Analysten Kian Abouhossein und Amit Ranjan verleihen ihrer Verwunderung Ausdruck, warum es Credit Suisse und Nomura offenbar bis einschließlich Dienstag nicht gelungen war, ihre Positionen vollständig aufzulösen.
Die Schweizer Großbank gerät auch auf der Fremdkapitalseite unter Druck. Die Vorfälle legten Mängel im Risikomanagement offen und zeugten von einem Risikoappetit, der mit ihrer aktuellen Bonitätsbewertung nicht mehr im Einklang stehe, begründete die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) am Mittwoch die später am Tag von Moody’s nachgezogene Entscheidung, den Ratingausblick von stabil auf negativ zurückzustufen. Das langfristige Rating der zentralen operativen Einheit Credit Suisse AG bewerten die beiden Agenturen mit „A+“ bzw. mit „Aa3“. Die übergeordnete Holding hat eine tiefere Bonitätsnote.
Nervöse Coco-Anleger
Unter Druck geraten sind vor allem die nachrangigen Anleihen von Credit Suisse. Per Ende 2020 hatte das Institut bedingte Pflichtwandelanleihen, sogenannte Coco-Bonds, im Nominalwert von mehr als 12 Mrd. Dollar ausstehen. Die mit einer vergleichsweise hohen Risikoprämie ausgestatteten Papiere werden automatisch in Aktien umgewandelt, wenn in den Anleihebedingungen definierte bestimmte Ereignisse eintreten, etwa der Rückgang der Kernkapitalquote unter 7%. Dieses Risiko wird von den Ratingagenturen zwar als sehr gering eingestuft. Gleichwohl verbilligten sich die Coco-Bonds seit Montag um 5%, was die Nervosität der Investoren widerspiegelt.
S&P rechnet trotz der Archegos-Verluste und möglicher Haftungsverpflichtungen aus dem Greensill-Debakel immer noch mit einem positiven Gesamtergebnis im laufenden Jahr. Zum 1. Februar, also rund einen Monat bevor die Greensill-Pleite eingetreten war, hatte die Konsensschätzung der Aktienanalysten für das laufende Jahr bei 3,3 Mrd. sfr gelegen.
Der Einbruch der Börsenbewertung um mehr als ein Drittel seit Anfang März scheint indes einen gewissen Bedarf an zusätzlichem Eigenkapital vorwegzunehmen. Die Kernkapitalquote von Credit Suisse belief sich per Jahresende auf 12,9%. Ein Absinken auf das von der Finanzmarktaufsicht (Finma) definierte Minimum von 10% würde Analysten zufolge einen Verlust von 7 Mrd. sfr implizieren. Die ungewichtete Eigenmittelquote (Leverage Ratio) lag Ende 2020 bei 4,4%. Die Finma verlangt ein Minimum von 3,5%.
Glimpflicher davongekommen scheint dagegen die ebenfalls involvierte UBS. Wie das Schweizer Finanzportal „Finews“ am Mittwoch berichtete, hat die größere Wettbewerberin im Zuge des Ausverkaufs der Archegos-Positionen nur einen „moderaten dreistelligen Millionenbetrag“ verloren.
MUFG managt Risiken noch
In Japan treffen die Folgen der Notverkäufe neben der Investmentbank Nomura auch Mitsubishi UFJ Securities, das Brokerhaus der größten Finanzgruppe Mitsubishi UFJ (MUFG). Wie die Gesellschaft mitteilte, rechnet sie mit einem potenziellen Verlust in Höhe von 300 Mill. Dollar bei der Geschäftsabteilung in Europa. Der Verlust hänge mit einem namentlich nicht genannten US-Kunden zusammen, die Höhe der Verluste hänge von Marktpreisen und Transaktionen ab. Man unternehme alles, um das Risiko zu managen.
Die Mitteilung kam für japanische Beobachter überraschend. Gehebelte Aktiengeschäfte mit einem Investor, der des Insiderhandels mit chinesischen Aktien überführt wurde, passen nicht zum Bild einer besonders risikobewussten und konservativen Finanzgruppe, das gerne von MUFG gezeichnet wird.
Ergebniswirksam würden die Verluste erst im neuen Geschäftsjahr, das bei MUFJ am 1. April beginnt. Für das abgelaufene Geschäftsjahr erhöhte die Finanzgruppe sogar noch. Statt 600 Mrd. Yen erwartet sie nun unter anderem dank Wertzuwächsen im Aktienportfolio einen Gewinn von 750 Mrd. Yen (5,8 Mrd. Euro). Davon entfällt der Löwenanteil von 70 Mrd. Yen ironischerweise auf die Beteiligung an der US-Investmentbank Morgan Stanley, deren Block Trades Ende vergangener Woche den Kursverfall der mit Archegos in Zusammenhang gebrachten Aktientitel befeuert hatten.
Risikohungrige Banken | |
Archegos-Geschäftspartner nach Anzahl der Aktientitel * | |
Name | Land |
Morgan Stanley | USA |
Credit Suisse | Schweiz |
Goldman Sachs | USA |
Nomura | Japan |
UBS | Schweiz |
Deutsche Bank | Deutschland |
Bank of America | USA |
Wells Fargo | USA |
BNY Mellon | USA |
Citigroup | USA |
Barclays | Großbritannien |
Mizuho | Japan |
Macquarie | Australien |
MUFG | Japan |
BNP Paribas | Frankreich |
Société Générale | Frankreich |
*) Übersicht erlaubt keine Rückschlüsse auf die Höhe des Engagements oder der etwaigen Verluste | |
Quelle: J.P. Morgan ChaseBörsen-Zeitung |