IPO-Markt im Banne des Brexit
In Bezug auf Börsengänge ist 2016 ein ganz maues Jahr in den USA, in Europa und in Deutschland. Investoren sind verunsichert, und Unternehmen stehen nicht unter Druck, Kapital aufnehmen zu müssen. Nach der Entscheidung über den Brexit könnte das Geschäft anziehen, hofft Josef Ritter von der Deutschen Bank.Von Walther Becker, FrankfurtDer IPO-Zug ist bis zur Sommerpause abgefahren. Abgesehen von einigen Börsengängen in Amsterdam, mit der Philips-Lichtsparte an der Spitze, ist das Geschäft mit Börsengängen in Europa weitgehend zum Erliegen gekommen. “Die meisten Emittenten wollen vermeiden, nahe vor der Entscheidung der Briten über den Verbleib in der EU im Markt zu sein”, sagt Josef Ritter, Co-Leiter Equity Capital Markets (ECM) der Deutschen Bank für Europa, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Am 23. Juni steht die Abstimmung an. Aspiranten für ein Initial Public Offering hätten sich bei dem üblichen Prozedere – Erstnotiz vier Wochen nach der “Intention to Float” – längst aus der Deckung wagen müssen. Die spanischen Wahlen drei Tage später seien zwar auch ein Unsicherheitsfaktor, wögen aber bei weitem nicht so schwer wie der mögliche Brexit. In Europa haben die größten IPOs im bisherigen Jahresverlauf in Madrid und Prag stattgefunden. Ohne Bullen”2016 wird kein einfaches IPO-Jahr”, sagt Ritter, wobei auch die Fenster, in denen die Deals möglich sind, wegen Urlaubszeit und Quartalszahlen nicht gerade zahlreich sind. “Man sollte nicht annehmen, dass wir ein ungestörtes Umfeld haben. Dafür gibt es zu viel Makrounsicherheiten. Wir haben alles andere als einen Bullenmarkt.” Auf der anderen Seite sind die Unternehmen grosso modo gut finanziert und haben keine Not, an die Börse zu gehen. Das generelle Marktumfeld sorge auch nicht gerade dafür, dass sich Akquisitionsentscheidungen und deren Finanzierung leicht fällen ließen. “Obwohl Unternehmen viel Liquidität haben, ist es auch in einem Quasi-Nullzinsumfeld nicht immer eine leichte Entscheidung, große Akquisitionen durchzuführen.” Und damit ist eine weitere Quelle im ECM-Geschäft dieses Jahr schwach.2016 ist das Emissionsvolumen im ersten Quartal um 65 % geringer als Anfang 2015 gewesen. “Wir sind definitiv in keinem Katastrophenszenario, aber Investoren sind vorsichtig”, betont er. Hinzu kommen Enttäuschungen wie der Börsengang von Telepizza in Spanien, bei dem der Kurs gleich zu Beginn deutlich unter Druck geraten ist. “Das hat Auswirkungen auf das Sentiment”, sagt Ritter. Andererseits sind etwa VAT in Zürich oder Scandinavian Tobacco gut gelaufen.Worauf kommt es Investoren in dieser Situation an? “Liquidität ist in Zeiten der Unsicherheit ein wichtiges Thema.” Alles, was unter 250 Mill. oder 350 Mill. Euro liege, sei in Europa derzeit generell schwierig. “Mit großvolumigen Transaktionen ab circa 500 Mill. Euro tun sich die Investoren leichter.” Wobei es auch Situationen gebe, in denen Geschäftsmodelle gekauft würden und die Investoren es nicht darauf anlegten, auch in den nächsten Monaten wieder kursschonend aussteigen zu können. “Aber liquide Transaktionen sind die klare Präferenz der Investoren, speziell bei Unternehmen mit zyklischen Charakteristika.” Zuletzt wurden bei deutschen IPOs wie Covestro, Schaeffler oder Hapag-Lloyd die Volumina deutlich verringert. Dies hing laut Ritter mit der zyklischen Situation und der Unsicherheit und Risikoaversion im Gefolge von Dieselgate zusammen.”Der Fokus wird dieses Jahr auf dem Nachsommer liegen”, sagt Ritter, der sich eine Prognose für die IPO-Zahl dieses Jahr verkneift. “Ich glaube aber nicht, dass es 2016 zehn werden, jedenfalls nicht in der Größenordnung von 250 Mill. Euro an.” Die Deutsche Bank war seinen Angaben zufolge im vergangenen Jahr in Europa führend als Global Coordinator. “League Tables für Bookrunner sind nur ein Teil der Wahrheit, denn die Global Coordinators führen und strukturieren die Transaktion und leisten den größten Teil der Arbeit beim Börsengang.”Was zeigt der Blick auf die Emittentenseite, woher soll frisches Blut für die Börse kommen? “Die Portfolien von Private Equity in Deutschland sind nicht mehr so reichhaltig an Börsenkandidaten wie vor einigen Jahren”, räumt Ritter ein. Und Finanzinvestoren könnten stets alternativ verkaufen. Der Börsengang von Konzerntöchtern sei “auch nicht der Regelfall”. Da gebe es Unterschiede, ob Aktivitäten ganz abgegeben – wie im Fall von Covestro/Bayer – oder ob sie weiter kontrolliert werden sollen wie bei Siltronic durch Wacker Chemie. Letzteres sei komplex auch in Bezug auf die Governance-Strukturen. “So viel ist nicht übrig geblieben von denen, die diesen Weg gegangen sind in Deutschland”, sagt er und hebt als positives Beispiel Fresenius/FMC hervor.Und Kandidaten aus dem Mittelstand? “Ich habe 1990 bei der Deutschen Bank angefangen. Damals wurde schon das Potenzial im Mittelstand als sehr groß eingeschätzt. Doch davon wurde nur ein kleiner Teil realisiert.” Die meisten Unternehmen brauchten kein zusätzliches Eigenkapital, und ein “IPO können Sie immer nur aus einer Position der Stärke heraus machen”. Mit Hella und Schaeffler gab es zwei Börsengänge von Familienunternehmen, “die als Vorbild dienen können”. Für Privatisierungen gebe es nur noch eine “eingeschränkte Anzahl” geeigneter Kandidaten. Auch von Übernahmefinanzierungen ist bisher wenig Rückenwind für Platzierungen gekommen – was sich mit der Akquisition von Monsanto durch Bayer ändern könnte, schließlich soll es dort eine Megakapitalerhöhung geben. Rekapitalisierungsemissionen wie zuletzt von ArcelorMittal, Saipem oder Vallourec sind rar. Ob da mehr komme, hänge nicht zuletzt an der Entwicklung der Rohstoffpreise.”Auf der europäischen Ebene gibt es mehr auf der Private-Equity-Seite” und auch Bankentransaktionen, zeigt Ritter auf Italien. Dort ist die Volksbank von Vicenza gescheitert, bei der die Bewertung aus Sicht der Kapitalerfordernisse zu hoch angesetzt wurde. Platzierungen laufenMehr Bewegung erkennt Ritter bei Platzierungen von Beteiligungen über die Börse. Schaeffler war mit dem Teil zwei des Börsengangs mit 1,2 Mrd. Euro einer der größten Blocks des Jahres. “Die Platzierung hat gut funktioniert”, sagt er diplomatisch. “Wall Crossing ist in vielen Situationen sinnvoll, aber nicht immer.” Wenn Investoren vorab und verschwiegen angesprochen werden, könnten allerdings nur 15 bis 20 ins Boot geholt werden. Und das heißt nicht, dass sie dann tatsächlich alle mitmachen.