IPO ohne öffentliches Angebot durchaus eine Option

Weniger Preis- und Erfolgsdruck - Abzuwägen bleibt, ob eine ausreichende Anzahl von Investoren erreicht werden kann

IPO ohne öffentliches Angebot durchaus eine Option

Am 11. Oktober dieses Jahres sagte das Immobilienunternehmen OfficeFirst, ein Tochterunternehmen der IVG, eine Woche nach Beginn des öffentlichen Angebots den geplanten Börsengang ab. Es wäre nach der Innogy SE das zweitgrößte IPO (Initial Public Offering) in diesem Jahr gewesen. Als Grund wurde angegeben, dass Investoren nicht bereit waren, den geforderten Preis zu zahlen. Tatsächlich waren während der ersten Angebotswoche die Aktienkurse der “Peer Group” um bis zu 10 % gefallen. Nachdenklich gestimmtDass ein Börsengang eines Unternehmens mit einem stabilen Geschäftsmodell und attraktiver Dividendenrendite in einem grundsätzlich positiven Börsenumfeld abgesagt werden muss, wird viele potenzielle Emittenten und Finanzinvestoren, die einen Exit über die Börse er-wägen, nachdenklich stimmen. Wie das Beispiel OfficeFirst zeigt, setzt sich der Emittent aber während der Dauer des öffentlichen Angebots einer öffentlichen Preisdiskussion und Marktrisiken aus.Die Absage eines Börsengangs kann für ein Unternehmen sehr nachteilig sein. Sie verunsichert Mitarbeiter und Eigentümer und wird die Bewertung bei einem erneuten Anlauf oder einem alternativen Trade Sale nachteilig beeinflussen. Diese Risiken können minimiert und der Reputationsschaden durch die Absage eines bereits öffentlich angekündigten IPO kann vermieden werden, wenn ein Börsengang ohne öffentliches Angebot durchgeführt wird. Die Preisfindung spielt sich dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Es werden nur potenzielle institutionelle Investoren angesprochen und die Aktien im Rahmen eines größeren sogenannten Private Placement platziert und anschließend zugelassen.Die letzten prominenten Börsengänge ohne öffentliches Angebot waren Schaeffler, Hella und Evonik. Die Schaeffler AG hat es geschafft, unmittelbar zu Beginn der VW-Krise im Herbst 2015 in einem schwierigen Umfeld an die Börse zu gehen und das Risiko etwaiger negativer Publizität im Falle eines Abbruchs des Börsengangs bis zum Schluss gering zu halten. Sogenannte “Wallcrossed”-Investoren wurden vorab angesprochen, um deren Investitionsbereitschaft zu sondieren. Nach Bekanntgabe der Preisspanne wurden innerhalb einer Woche die Roadshow des Managements durchgeführt, der finale Preis je neuer Aktie festgelegt und der Wertpapierprospekt für die Börsenzulassung gebilligt und veröffentlicht.Im Fall des Börsengangs der Hella KGaA Hueck & Co im Jahr 2014 wurde die Privatplatzierung von 10 % der Aktien mit einem zweitägigen öffentlichen Angebot von weiteren 5 % der Aktien kombiniert. Bei der Evonik Industries AG, die im Jahr 2012 als erster Emittent nach mehrfachen vergeblichen Versuchen den Weg an die Börse ohne das übliche öffentliche Angebot gesucht hatte, folgte auf das Private Placement ebenfalls ein kurzes öffentliches Angebot. Ablauf und VermarktungIm herkömmlichen IPO-Prozess verläuft die Vermarktung in zwei Schritten: einem nicht öffentlichen Pre-Marketing-Prozess und dem öffentlichen Angebot, das meistens zwei Wochen dauert. In der Pre-Marketing-Phase werden bei ausgewählten Investoren das Interesse an dem Emittenten und die Bewertung sondiert. Aufgrund des Feedback werden die finale “Go/No Go”-Entscheidung für den Börsengang getroffen und die Preisspanne festgelegt. Dann beginnt die zweite Phase: das öffentliche Angebot auf der Grundlage des von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gebilligten Prospekts und der Roadshow des Managements. Schließlich folgt die Preisfestsetzung.Auch bei einem Börsengang ohne öffentliches Angebot wird im ersten Schritt eine Gruppe von potenziellen Investoren identifiziert und werden Sondierungsgespräche geführt. Idealerweise sollte die potenzielle Nachfrage dieser Gruppe einen wesentlichen Teil (30 bis 50 %) des geplanten Emissionsvolumens abdecken. Hat der Emittent Anleihen ausgegeben oder werden etwaige Schuldinstrumente im Kreditmarkt gehandelt (was bei größeren syndizierten Finanzierungen der Fall sein wird), erfordert die erste Ansprache ein sogenanntes “Wallcrossing” der Investoren. Sie erhalten die vertrauliche und für die gehandelten Schuldinstrumente potenziell preissensitive Information, dass der Emittent einen Börsengang erwägt.Für das “Wallcrossing” müssen die Vorgaben für eine Marktsondierung nach der neuen Marktmissbrauchsverordnung (Ziffer 11 MAR) eingehalten werden. Wichtig ist dabei das anschließende sogenannte Cleansing, da die Investoren nur über einen möglichst kurzen Zeitraum “restricted” bleiben wollen, um nicht am Handel in den Schuldinstrumenten gehindert zu sein.Nach dem Pre-Marketing wird die Preisspanne festgelegt. Auf dieser Grundlage kann eine größere Gruppe von Investoren angesprochen werden, um das geplante Emissionsvolumen abzudecken. Es müssen mindestens 100 Aktionäre investieren, um eine breite Streuung der Aktien zu schaffen, die neben einem Streubesitzanteil von 25 % des Grundkapitals (bei großen Emissionsvolumina reichen auch 10 bis 15 %) Voraussetzung für die Börsenzulassung ist. Diese Phase dauert in der Regel eine Woche.Für die Vermarktung kann ein Offering Memorandum verwendet werden, das mit dem späteren Zulassungsprospekt identisch sein sollte. Das gilt auch für das Pre-Marketing, in dessen Rahmen ein Offering Memorandum ohne Preisspanne verwendet werden kann (sog. Pink Herring). Weicht das Offering Memorandum von dem später gebilligten Zulassungsprospekt ab, müssen die Investoren, die aufgrund des Offering Memorandum ihren Zeichnungsauftrag abgegeben haben, über die Veränderungen informiert werden.Unklar ist, ob im Fall der Zeichnung aufgrund des Offering Memorandum und vor Billigung des Zulassungsprospekts die Prospekthaftung nach Wertpapierprospektgesetz (WpPG) Anwendung finden würde, da diese rein formal auf einen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 WpPG veröffentlichten Angebotsprospekt abstellt. Eben der liegt in dieser Transaktionsstruktur jedoch nicht vor. Es können dann die Grundsätze der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung nach dem Recht des Landes, in dem die Zeichnung erfolgte, zur Anwendung kommen. Die Haftungsmaßstäbe können dabei unterschiedlich sein. Kein Risiko mehrNach einer gesicherten Privatplatzierung kann noch ein kurzes öffentliches Angebot durchgeführt werden, um das Emissionsvolumen und die Anzahl der Investoren zu erhöhen. Ist die Platzierung bereits gesichert, ist mit dem öffentlichen Angebot kein Risiko mehr verbunden.Eine Abweichung in der Vermarktung kann sich durch das sogenannte Deal Related Research ergeben. Bei regulären IPOs in Europa ist es üblich, bei der Vermarktung Research Reports zu verwenden, die von Analysten der begleitenden Banken auf der Grundlage einer Analystenpräsentation des Emittenten erstellt werden. Dies ist von Vorteil für die Investoren, da sie ein Modell für die Bewertung des Emittenten geliefert bekommen, einschließlich der Einschätzung des Analysten, welche Unternehmen zu der für Bewertungszwecke relevanten Peer Group des Emittenten gehören. Obwohl die Verwendung von Research Reports der begleitenden Banken in den USA verboten ist, akzeptieren internationale Banken die Praxis in Europa, da die Research Reports erst nach Bekanntgabe des IPO verteilt werden und mit Veröffentlichung des Prospekts und somit vor der eigentlichen Investitionsentscheidung ein sogenanntes Level Playing Field für alle Investoren hergestellt wird.Bei einem Platzierungsverfahren ohne öffentliches Angebot fehlt es an dem Level Playing Field vor der Investitionsentscheidung, weshalb manche Banken bei der Verwendung von Research Reports aus Compliance-Gründen zurückhaltend sein werden. Ohne Research ist die Prüfung der Investition für den einzelnen Investor aufwendiger, was nachteilig für die Platzierung sein kann. Es ist daher im Einzelfall mit den begleitenden Banken zu diskutieren, in welcher Form Research verwendet werden kann. Die Zusage des Investors, Aktien zu übernehmen, kann durch ein Investment Agreement dokumentiert werden. Ansonsten kann eine kurze Vereinbarung zum Zeitpunkt der Order abgegeben werden, die Regelungen zur Vertraulichkeit, Haftungsbegrenzung, Geltung des deutschen Prospektrechts, zum Listing als aufschiebende Bedingung etc. enthält. Dies kann jedoch zu inhaltlichen Diskussionen führen, die den Prozess verkomplizieren und Investoren abschrecken. Will man das vermeiden, kann auch die Unterzeichnung einer Order lediglich unter der aufschiebenden Bedingung der Zulassung der Aktien ausreichen.Fazit – Im Ergebnis bleibt abzuwägen, ob ausreichend interessierte Investoren bekannt und Informationen am Kapitalmarkt verfügbar sind, um ein IPO ohne öffentliches Angebot durchführen zu können. Dem öffentlichen Preis- und Erfolgsdruck kann man dadurch sicherlich besser entgehen, als wenn man ein – oftmals auch ressourcenintensiveres – IPO mit öffentlichem Angebot durchführt. Vor dem Hintergrund des jüngst abgesagten Börsengangs von OfficeFirst sollten Unternehmen und Gesellschafter ein IPO ohne öffentliches Angebot daher durchaus in Erwägung ziehen.—Achim Herfs, Partner bei Kirkland & Ellis, München—Anna Schwander, Partner bei Kirkland & Ellis, München