Irrweg im Prämiensparstreit
Im ganzen Land streiten Sparer für eine höhere Verzinsung ihrer alten Prämiensparverträge, seit der billig ermessene Zinssatz als nicht rechtens gilt. Im Rahmen einer Vertragsauslegung ist nunmehr ein solcher Zinssatz zu finden, der unter redlichen Vertragsparteien mutmaßlich statt des nachmalig als unrecht erkannten Zinssatzes vereinbart worden wäre. Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung von Oktober den Weg für Zinsnachzahlungen geebnet, den Fall aber zugleich an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen, das nun einen Referenzzinssatz festlegen muss (Az. XI ZR 234/20).
Zuvor haben bereits mehrere Gerichte einen Referenzzins favorisiert, der sich an einer Renditegröße aus der Statistik der Bundesbank orientiert: der Umlaufrendite inländischer Inhaberschuldverschreibungen für Hypothekenpfandbriefe mit einer Restlaufzeit von über neun bis zehn Jahren, nach der früheren Kennung die Zeitreihe WX4260. Auch die Verbraucherzentralen greifen diese Reihe auf.
Gleitender Durchschnitt
WX4260 soll gemäß dieser Rechtsprechung jedoch nicht direkt zur Anwendung kommen, sondern ein gleitender Durchschnitt aus ihren Rendite-Zeitreihenwerten. Üblich ist eine Mittelwertbildung über jenen Zeitraum, welcher der zugehörigen Zinsbindungsfrist entspricht. Und so findet man in einschlägigen Kalkülen der Gutachterpraxis WX4260 über 120 Monatswerte gemittelt.
Das weite Zurückgreifen um zehn Jahre erzeugt jedoch ein Problem: WX4260 beginnt erst im Jahre 1990. Viele Prämiensparverträge wurden im Laufe der neunziger Jahre abgeschlossen, es bräuchte zur Rückrechnung also auch Zahlen aus den achtziger Jahren. Denn selbst für in den neunziger Jahren abgeschlossenen Verträge besteht das Recht, einen höheren Zinssatz zu begehren, weil die Verjährungsfrist nicht auf den Zeitpunkt der Zinsgutschrift abstellt, sondern frühestens auf das Vertragsende. So stellt sich die Frage, wie die Mittelung für all jene Zeitpunkte zu bewerkstelligen ist, für die WX4260 nicht lange genug bestand.
Die Gutachtenpraxis behilft sich, indem die Mittelwertbildung mit entsprechend weniger Werten angestellt wird. Es wird über nur so viele Werte gemittelt, wie WX4260 eben gerade hergibt. Das ist zum einen methodisch fragwürdig, zum anderen wird es der Zinshistorie nicht gerecht, weil die somit unterdrückten Jahre vor der Wiedervereinigung Deutschlands mit erheblich geringeren Renditesätzen einhergingen als jene der mit der Wiedervereinigung einhergehenden Hochzinsphase. Damit wird die Hochzinsphase stärker gewichtet, als ihr methodologisch zukommt.
Darüber hinaus sind die Werte aus WX4260 ohnedies keine Zinssätze, sondern finanzmathematisch berechnete Renditen (interner Zinsfuß). Deren Ergebnis ist ökonomisch interpretationsbedürftig insbesondere in solchen Fällen, in denen der je aktuelle Marktzinssatz vom Kuponzinssatz der Anleihe erheblich abweicht, wie es bei stark schwankenden Marktzinssätzen häufig der Fall ist.
Intransparente Daten
Hierbei entstehen Verzerrungen in die eine oder andere Richtung, deren Nettoeffekt aus verschiedenen Gründen schwierig zu beziffern ist. Von denen hier nur ein elementarer genannt sei: die nach Zahl und Zusammensetzung gänzlich unbekannte Menge der von WX4260 erfassten Hypothekenpfandbriefe. Diese werden von der Bundesbank auch auf Anfrage nicht bekannt gemacht, da es sich „in Teilen um vertrauliche Meldedaten handelt“. Ob Renditedaten solch klandestinen Ursprungs jenem Transparenzgebot standhalten, das bei der Zinssatzfestlegung nach billigem Ermessen so folgenreich verletzt gesehen wird, ist ebenso zweifelhaft wie eine Verwendung als Ersatzzinssatz unter redlichen Vertragsparteien.
Außerdem fragt sich, warum überhaupt ein gleitender Durchschnitt zum Einsatz kommen soll. Das Kreditinstitut muss für die via Sparvertrag hereinkommenden Beträge eine Anlage finden. Dies geschieht üblicherweise in Krediten oder Wertpapieren, sei es fest oder variabel verzinslich, zu den im Zeitpunkt des Zahlungszuganges jeweils herrschenden Marktkonditionen. Oder – so es in Antizipation künftiger Sparbetragsvolumina geschäftspolitisch gewollt ist – auch schon vorher, insbesondere zum Zeitpunkt des Sparvertragsabschlusses in Form von Forwardgeschäften zu den jeweiligen Terminzinssätzen. In jedem Fall aber: zu den geltenden Konditionen der Zins- bzw. Terminzinssätze im Zeitpunkt der Tätigung des Kredites oder der Wertpapierinvestition. Niemals aber: zu Zinssätzen der Vergangenheit. Ein gleitender Durchschnittszinssatz aber besteht konstruktionsgemäß nahezu ausschließlich aus Zinssätzen der Vergangenheit.
In seiner jüngsten Entscheidung von Oktober konkretisiert der BGH eine angenommene Laufzeit von 15 Jahren, die für die Zinsberechnung maßgeblich ist. Das Gericht greift damit seine bisherige Rechtsprechung auf: Der Entscheidung mit dem Aktenzeichen XI ZR 508/15 liegt ein Prämiensparvertrag zugrunde, dessen Kündigungsfrist nach Ablauf von zwei Jahren stets drei Monate beträgt, bei einer Sparprämie von 50% ab dem 15. Sparjahr und 25 Jahren Laufzeit. Hieraus folgert der BGH, eine Wahrnehmung des Kündigungsrechts habe für den Sparer „keine wirtschaftlich vernünftige Handlungsoption“ dargestellt, auch daher sei ein „Referenzzinssatz für langfristige Spareinlagen heranzuziehen“.
15 Jahre Laufzeit ist zu lang
Das jedoch ist eine finanzwirtschaftlich fragwürdige Einordnung, womöglich beeinflusst von dem optisch hohen Prämiensatz. Jedoch entsprechen 50% Prämie auf die Jahressparleistung nur einer grundsätzlich moderaten Rentabilität von anfänglich gut 2% pro Jahr, die mit zunehmender Spardauer vermittels des wachsenden Guthabens monoton sinkt.
Auch in dieser Situation sind Konstellationen denk- und nachweisbar, in denen die sichere Verzinsung einer Wiederanlage für den verbleibenden Anlagehorizont nach Kündigung des Prämiensparvertrages ebendiesem mit seiner unsicheren Grundverzinsung und sicherer, jedoch fallender Prämien-Zusatzverzinsung präferiert worden wäre.
Für den Ansatz eines 15-Jahres-Zinssatzes könnte allenfalls sprechen, wenn für ein Kreditinstitut Annahmen oder Beobachtungen vorlägen, dass dessen typische Kundschaft den Prämiensparvertrag über eine Dauer von 30 Jahren besparte und das Institut solche Annahme oder Beobachtung zur Grundlage seiner Kundenzinsgestaltung zu machen pflegte. Demnach stünden die Einzahlungen des ersten Sparjahres etwa 30 Jahre zur Verfügung, jene des zweiten Sparjahres 29 Jahre und so weiter – bis zum letzten mit noch zirka einem Jahr; in einer vereinfachten Durchschnittsbetrachtung mithin etwa 15 Jahre.
Drei-Monats-Euribor passt
Allerdings ist zu bezweifeln, dass die Kundschaft regelmäßig solch lange Durchhaltedauern an den Tag legt. Vor allem spricht nichts dafür, dass die Vertragsparteien Bank und Kunde in ihrer (fiktiven) Suche nach einer „redlichen“ Zinsabrede ein so komplexes Arrangement wie einen gleitenden Renditedurchschnitt eines Pfandbriefportfolios unbekannter Zusammensetzung vereinbart hätten. Eine einfache Lösung dürfte der Wahrheit näher sein, zum Beispiel durch Orientierung an der dreimonatigen Kündigungsfrist mit einem Zinssatz wie dem Drei-Monats-Euribor.