Ist Hochfrequenzhandel ein legalisiertes Frontrunning?
Von Dietegen Müller, FrankfurtHochfrequenzhandel, Algo-Trading, Dark Pools – Instrumenten zeitgenössischen Aktienhandels haftet seit Michael Lewis’ Buch “Flash Boys” der Ruf des Unfairen an. Mathew Szeto, Head Electronic Banking der Royal Bank of Canada (RBC) in London, war dank seiner Vita bestens geeignet, auf Einladung des Center for Financial Studies (CFS) Licht ins Obskure zu bringen. Das ist nötig: Ohne Einbezug der volumenträchtigen Schlussauktion, in der kein Hochfrequenzhandel stattfindet, macht der ultraschnelle Handel heute bis zu 50 % des Nominalwerts der Aktientransaktionen in Europa aus, so Szeto. Vor vollem Saal mit wenig Praxisbezug – auf entsprechende Fragen Szetos gingen kaum Hände in die Höhe – bot der mit Algo-Programmierung vertraute Händler einen Parforceritt durch Begrifflichkeiten. Die Krönung bildete ein eindrückliches Beispiel, wie sich mit technologischer Überlegenheit durch Arbitrage zwischen Börsenplattformen in Millisekunden Geld verdienen lässt. Die Erlaubnis der Compliance-Abteilung der RBC, die Präsentation Szetos auf der Internetseite des CFS zu zeigen, ließ auch vier Tage nach dem Vortrag auf sich warten.Simpel gesprochen ist alles, was im High Frequency Trading zählt, Geschwindigkeit und der richtige Auftrags- oder Handelsalgorithmus. Der Geschwindigkeitsrausch hat zwanghafte Züge: Die Rechner der HFT-Händler müssen möglichst nahe bei jenen der Börsenbetreiber angesiedelt sein (co-location), und die Daten müssen schneller transferiert werden können. “Inzwischen spielt dabei sogar die Erdkrümmung eine Rolle”, sagt Szeto mit Verweis auf die US-Firma Jump Trading, die 2013 in Belgien einen alten Nato-Funkmast zwecks Datenübermittlung gekauft hat. Früher genügten den HFT-Tradern noch eigene Glasfaserkabel zwischen den Servern, nun ist die Übertragung via Luft das Maß der Dinge, da noch schneller. Szeto zeigte anschaulich, wie sich in Europa über gezielte Kaufaufträge an Dark Pools ausloten lässt, ob eine größere Order im Hintergrund wartet und es absehbar zur Veränderung – er spricht von Korrektur – der Preise auf den verschiedenen Börsenplattformen kommen könnte. Die Hochfrequenzhändler gewinnen dabei durch schnellere Antwortzeiten und Signalauswertung, weil die von den Börsenplattformen ausgesandten Datensignale erst verzögert eintreffen. Die Händler können sich also vorher positionieren.Von der Börsen-Zeitung darauf angesprochen, ob es sich um eine Form technologischen Frontrunnings handle, sagte Szeto, die Frage, ob dies legalisiertes Frontrunning sei, wolle er nicht beantworten. Wenn Marktteilnehmern vorab bekannt wäre, dass eine Order komme, und dies ausgenutzt würde, wäre dies “richtig schlecht” und verwerflich, so Szeto. Doch gehe es im Hochfrequenzhandel darum, aus Signalen Rückschlüsse mit 95 % Eintrittswahrscheinlichkeit – also nicht absoluter Sicherheit – zu ziehen. Sei dies Frontrunning? “Ich bin kein Anwalt”, meinte Szeto. Das Bezirksgericht des Southern District of New York hat übrigens im August die Klage einiger Pensionsfonds gegen Börsenbetreiber sowie die Großbank Barclays als Dark-Pool-Betreiberin wegen angeblicher “Marktmanipulation” abgewiesen. Die von Michael Lewis angestoßene Debatte geht trotzdem weiter. ——–Ein Banker der Royal Bank of Canada gibt in Frankfurt Einblick in den ultraschnellen Handel.——-