FINANZEN UND TECHNIK - IM INTERVIEW: PETER LEUKERT, LEITER STRATEGIEENTWICKLUNG BEI FIS UND LEITER CAPCO INSTITUT

IT-Transformation: Notwendigkeit und Chance

Der ehemalige CIO von Commerzbank und Nyse Euronext zu den Anforderungen an die Banken-IT beim Thema Abwicklung

IT-Transformation: Notwendigkeit und Chance

Mit dem Thema Bankenabwicklung müssen sich Finanzinstitute besser heute als morgen beschäftigen, meint Peter Leukert, Leiter Strategieentwicklung für global tätige Finanzinstitute bei FIS, einem Anbieter von Banking- und Zahlungsverkehrstechnologien, und deren Beratungstochter Capco. Weshalb das so ist und wie Banken das Thema bei erforderlichen Transformationsprozessen in der IT berücksichtigen sollten, erläutert der ehemalige CIO von Commerzbank und danach Nyse Euronext im Interview der Börsen-Zeitung.- Herr Leukert, weshalb ist das Thema IT-Transformation insbesondere für Großbanken so wichtig?Großbanken stehen vor zwei großen Herausforderungen. Einerseits müssen sie das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen und sich ihnen deutlich stärker widmen. Andererseits müssen sie ihr Geschäftsmodell verändern, da sie unter einem sehr hohen Ergebnisdruck stehen. Aufgrund des “virtuellen” Charakters von Bankprodukten ist die IT-Transformation ein essenzieller Bestandteil dieser Transformationsprozesse.- Worin liegen hier die Besonderheiten und Herausforderungen?Zum einen müssen die Maßnahmen gleichzeitig mit einem anspruchsvollen Projektportfolio durchgeführt werden. Das liegt unter anderem an den vielen Vorgaben der Regulatoren, die umgesetzt werden müssen. Das heißt, es findet ein Austausch bei laufendem Betrieb statt. Zum anderen ist die IT-Landschaft von Großbanken durch eine enorme Komplexität gekennzeichnet. Dadurch können Veränderungen oft nicht “minimal invasiv” vorgenommen werden, sondern sind aufwendig und betreffen viele Abhängigkeiten.- Und wieso kann das Thema Bankenabwicklung eine Transformation der IT notwendig machen?Weltweit haben Regulatoren bei den Vorschriften für die Implementierung von Abwicklungsplänen zwei Hauptziele: Während Abwicklungsphasen wollen sie den Überblick behalten. Überdies soll im Fall, dass eine Bank abgewickelt werden muss, der Dominoeffekt auf das gesamte Finanzsystem so gering wie möglich sein. Besondere Bedeutung haben dabei zwei Punkte: Die Hindernisse, die einer schnellen Abwicklung im Weg stehen, müssen abgebaut werden. Zudem ist es essenziell, die systemrelevanten Kernfunktionen für das Finanzsystem sicherzustellen, die von einzelnen Kreditinstituten zur Verfügung gestellt werden.- Zum Beispiel?Das umfasst essenzielle Funktionen für die Marktinfrastruktur wie etwa Zahlungsverkehrssysteme, Clearing/Settlement sowie Funktionen für die Realwirtschaft wie multinationale Kreditanbieter oder Bankeinlagen. Um diese Hauptziele – einfache Abwicklung und Sicherung systemrelevanter Funktionen – zu erfüllen, wurden weitreichende gesetzliche Programme in Form von Richtlinien ins Leben gerufen. Die Umsetzung dieser Richtlinien wird wiederum Transformationsprogramme nach sich ziehen.- Aber warum sollten sich Geldinstitute mit dem Thema Bankenabwicklung gerade jetzt befassen?Sie meinen abgesehen davon, dass man ihnen keine Wahl lässt? In Deutschland befinden sich die führenden Banken in den Abstimmungsprozessen mit der BaFin und die ersten Entwürfe sind schon verfasst. Nicht selten erreichen die Dokumente einen Umfang, der bei 2 000 bis 3 000 Seiten liegt. Aus der Notwendigkeit, diese Pläne vorab mit der jeweiligen Aufsicht abzusprechen, und die umfangreichen Dokumente und Informationen zusammenzustellen, die dafür notwendig sind, ergibt sich jetzt akuter Handlungsbedarf. Zumal in Deutschland mittlerweile Rechtssicherheit herrscht, was die Details der Maßnahmen betrifft.- Und im Rahmen der EU?Auf EU-Ebene konkretisieren sich die geplanten Maßnahmen. Der Vorteil hier ist: Der direkte Einfluss, den diese haben, kann besser und sicherer bewertet werden. Dabei werden auch verstärkt Stimmen laut, die ähnliche Rahmenkonzepte für Anbieter von Infrastruktur an den Kapitalmärkten im Fokus haben – etwa Financial Market Infrastructures, Central Counterparties oder Trade Repositories.- Wieso spielt die IT hierbei so eine entscheidende Rolle?Inhaltlich muss ein Abwicklungsplan nachweisen, dass systemrelevante Kernfunktionen eines Finanzinstitutes geschützt werden können und jederzeit die Möglichkeit existiert, diese auf andere Unternehmensstrukturen zu übertragen. Systemrelevante Unternehmensbereiche sind aus komplexen IT-Systemen konstruiert, da diese ihren Nutzern und Teilnehmern ein Höchstmaß an Automatisierung bieten und auf schnelle Kommunikation ausgelegt sind. Da diese Systeme teils kompliziert in die Gesamtarchitektur mit verschiedenen Schichten integriert sind, sind die Bewertung der Abwickelbarkeit und Sicherstellungen der systemrelevanten Funktionen eng mit der IT verbunden.- Worin liegen hier die größten Herausforderungen für die IT?Es liegt im allgemeinen Fokus der Regularien, dass klare und nachvollziehbare Datenstrukturen über das gesamte Unternehmen hinweg geschaffen und funktional isolierte IT-Systeme aufgebaut werden, die ihre Funktionen an systemrelevanten Bereichen eines Kreditinstituts orientieren. Herausforderungen bei der Abwicklung einer Bank stellen intransparente Datenstrukturen, stark verwobene Systeme, die nicht voneinander getrennt werden können, sowie Funktionalitäten, die für viele Unternehmensbereiche zur Verfügung gestellt werden, dar. Zudem kann Intransparenz über die getätigten Kundengeschäfte über unterschiedliche Geschäftsbereiche hinweg die Abwicklung und Kompensation verzögern.- Liegen in den Transformationsprozessen auch Chancen für Banken?Ja, denn eine systematische Durchleuchtung der Architektur, die oft historisch gewachsen ist, bietet die Chance, logisch sinnvolle Schnitte zu setzen und alte Zöpfe abzuschneiden.In der ersten Stufe identifiziert dieser Ansatz alle systemrelevanten Funktionen und Systeme. Im zweiten Schritt können schon erstellte Abwicklungspläne als Grundlage für einen Fahrplan dienen. Darin kann etwa festgelegt sein, wie die bestehende IT-Landschaft funktional besser differenziert werden kann und welche Zielstrukturen zu den relevanten Prozessen im Institut gestaltet werden können. Eine neu geschaffene Transparenz über die Datensilos hinweg kann in das Management- und Risikosystem der Bank integriert werden. Darauf aufbauend werden die Kerngeschäftsfelder in ihren IT-Strukturen transparenter, ihre Relevanz für das Gesamtunternehmen wird nachvollziehbarer und die Messbarkeit ihrer individuellen Profitabilität nimmt zu.- Welche IT-Bereiche sind bei der Abwicklung besonders wichtig?Als Erstes werden vorhandene Daten- und Systemstrukturen in den Fokus rücken, die für den Erhalt der systemrelevanten Funktionen mindestens zur Verfügung stehen müssen. Alle Systeme, die in den Kernprozess involviert sind, müssen hinsichtlich ihrer Separierbarkeit untersucht werden. Darüber hinaus muss auch Klarheit über den Eigentümer eines Systems herrschen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass diese Systeme zum Beispiel auf eine neue Gesellschaft übertragen werden können. Die relevanten Bereiche sind daher entsprechend vielfältig vom Frontoffice über Backoffice-Applikationen und Messaging Services bis hin zu Buchungssystemen verteilt.- Inwiefern ändern sich hierbei die Anforderungen durch wachsende regulatorische Vorgaben?Bei neuen Systemen und innerhalb der IT-Architektur werden verstärkt klare funktionale Zuordnungen zu systemrelevanten Funktionen gefordert sein. Die Systeme, die betrieben werden, sollten dabei zwischen den einzelnen Gesellschaften eines Instituts klar abgrenzbar sein, damit die Eigentumsstrukturen nachvollziehbar und transparent gestaltet werden können. Daraus ergibt sich auch ein Anpassungsbedarf an Service Level Agreements.- Betrifft das auch Themen wie Outsourcing?Sicher, denn um die neuen Anforderungen zu erfüllen, können Institute weitergehend auch Outsourcing Partner direkt einbinden oder nachweisen, dass eine passende Lösung bei einem externen Serviceanbieter existiert. Sie können Outsourcing als Extremform für den Nachweis der Trennbarkeit heranziehen, da durch den Service-Provider eine Kontinuität der Funktion sichergestellt ist.- Was kommt mit einem harmonisierten EU-Regelwerk für die Bankenabwicklung absehbar auf die Branche zu, was ihre IT angeht?Eine exakte Einschätzung über den direkten Einfluss auf die IT-Landschaften der Banken aus der EU-Perspektive kann derzeit noch nicht erfolgen. Es ist noch unsicher, inwieweit Regulatoren von den geplanten gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen werden, um operationale und strukturelle Änderungen innerhalb der Kreditinstitute umzusetzen. Zudem liegen die Gesetzestexte auf EU-Ebene noch nicht in ihrer finalen Form vor. Fakt ist: Je mehr in der EU eine operative Umsetzung, die über die Planungen hinausgeht, konkret gefordert wird, desto erheblicher werden die Investitionen sein, die die Institute tätigen müssen. Deswegen ist es so wichtig, dass vorbereitende Maßnahmen zur strategischen Gestaltung im Rahmen dieser Regeln entwickelt werden.- Dadurch erhöht sich die Komplexität doch erheblich.Ja, die Komplexität im Bankgeschäft spiegelt sich notwendigerweise in der Bank-IT wider. Jedoch sind die IT-Landschaften der Banken komplexer als sie sein müssten. Darin liegt wiederum eine Chance, die Komplexität und ihre Folgen zu beherrschen.- Wie lässt sich Komplexität denn quantifizieren oder objektiv berechnen? Bei Parametern wie Flexibilität oder Qualität sind exakte Angaben doch sehr schwierig.Das stimmt. Komplexität in der IT erhöht Kosten, nimmt Flexibilität und verringert die Qualität. Daher ist es wichtig, die Komplexität zu messen, um sie darauf aufbauend auch managen zu können. Die IT-Komplexität lässt sich mit einem Modell quantifizieren und damit objektiv über Zeit oder zwischen Banken vergleichen. So beherrscht man proaktiv die Komplexität, reduziert Kosten und erhöht Flexibilität sowie Qualität.- Wie sieht das unter anderem von Ihnen entwickelte Modell aus?Unser Modell misst die IT-Komplexität in vier relevanten Dimensionen: Funktionalität, Schnittstellen, Daten und Technologie. In jeder dieser Dimensionen lassen sich Indikatoren messen – ein Beispiel ist die Schnittstellenintensität, die Aussagen über die Vernetztheit von IT-Komponenten liefert. In Summe erhält man einen aggregierten Index, der die IT-Komplexität quantifiziert. Mit diesem kann man Bereiche hoher Komplexität gezielt angehen und die Komplexität als quantifizierbaren Faktor bei wichtigen Entscheidungen berücksichtigen.- Nachdem Sie und Capco Ihr Modell erstmals vorgestellt hatten, haben Sie andere Banken eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Wie ist das Feedback?Das Interesse war und ist groß. Aktuell sprechen wir mit verschiedenen Banken auf der ganzen Welt über das Thema Komplexität und gehen davon aus, dass der Erfahrungsaustausch zwischen Banken interessante Erkenntnisse bringen wird. Eine Frage, die bei unseren Gesprächen immer wieder aufkommt, ist, wie das Modell zur Messung der Komplexität nicht nur in der IT, sondern auch bei den Transformationsprozessen eingesetzt werden kann, die das Geschäftsmodell betreffen. Fakt ist: Die Berücksichtigung der Komplexität bei wichtigen Entscheidungen führt zu besseren Ergebnissen.—-Die Fragen stellte Franz Công Bùi.