Italiens Banken vor dem Sturm
Italiens Banken sind in den letzten Jahren deutlich stabiler geworden. Doch in der aktuellen Krise drohen massive Kreditausfälle und eine neue Konsolidierungswelle. Auch der hohe Anteil an Staatsanleihen in den Bilanzen der häufig renditeschwachen Institute könnte auf Dauer zu einem Problem werden.bl Mailand – Im Vergleich zur Finanzkrise von 2008/2009 sind Italiens Banken heute deutlich stärker. Andrea Enria, oberster Bankenaufseher bei der Europäischen Zentralbank (EZB), ist dennoch in höchstem Maße besorgt. Er beklagt eine “niedrige Rentabilität, hohe Kosten, verspätete Investitionen in moderne Technologien und die Abhängigkeit von veralteten Systemen”. Enria erwartet angesichts der “strukturellen Schwächen” eine weitere Konsolidierung in der Branche (siehe Seite 5). Und auch ein massiver Anstieg der Kreditausfälle erscheint den meisten Beobachtern ab Herbst unvermeidlich.Noch ist die Lage der Institute solide. Zwischen Ende 2015 und Ende 2019 haben sie nach Angaben von Giovanni Sabatini, Generaldirektor des Bankenverbandes Abi, das Volumen der ausfallgefährdeten Kredite von fast 200 Mrd. Euro auf 70 Mrd. Euro reduziert. Sie weisen solide Kapitalquoten auf. Die Zahl unabhängiger Banken und Bankengruppen ist in den letzten Jahren auf 114 Einheiten geschrumpft.Mit einem Anteil von 6,7 % ist der Anteil ausfallgefährdeter Kredite bei italienischen Banken aber immer noch doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt von 3,2 %, sagt Enria in einem Zeitungsinterview. Er hält eine “Verschlechterung der Situation für unvermeidlich” und fordert die Banken auf, vorsichtig zu sein. Vor allem bei den Konsumentenkrediten drohen hohe Ausfälle. Doch auch viele Unternehmen können womöglich schon bald ihre Kredite nicht mehr bedienen. Die Lage ist unübersichtlich. Prognosen sind unsicher. PwC erwartet im schlimmsten Fall neue Kreditausfälle von bis zu 100 Mrd. Euro.Das erklärt die vorsichtige Vergabe selbst von staatlich garantierten Krediten an Unternehmen. Auch Sabatini räumt gegenüber der Börsen-Zeitung ein, dass es dabei zunächst “organisatorische und technologische Probleme” gegeben hat, die aber allmählich überwunden würden. Viele Institute haben trotzdem Angst, am Ende auf Kreditausfällen sitzen zu bleiben oder Probleme mit der EZB zu erhalten – obwohl Enria verspricht, den Instituten entgegenzukommen und ihnen Zeit geben will.Ohne Europa und die EZB wäre die Lage der italienischen Banken katastrophal. Denn sie sind vollgesogen mit Staatsanleihen des Landes und hielten im April ein Volumen von 426 Mrd. Euro an italienischen Bonds. Außerdem haben sie 300 Mrd. Euro an Kreditforderungen gegenüber Rom. Die umfangreichen Hilfs- bzw. Aufkaufprogramme aus Brüssel bzw. Frankfurt drückten den zuvor hohen Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen Anleihen, stabilisierten die Situation und senkten die Refinanzierungskosten. Auch die Lockerung der Eigenkapitalvorschriften und andere Maßnahmen kamen vor allem Italiens Banken sehr zugute. So griffen sie vergangene Woche kräftig zu, als die EZB Europas Instituten Darlehen über 1,3 Bill. Euro unter dem EZB-Einlagensatz zur Verfügung stellte und sicherten sich 200 Mrd. Euro, allen voran Unicredit, die sich allein 94,3 Mrd. Euro holte. Solche “Geschenke” ließen sich die Banken nicht entgehen.Zwar ging die Krise nicht von den Banken aus, doch sie sind Teil davon. Sollten sich die Konditionen an den Märkten jemals normalisieren und Zinsen wieder Risiken widerspiegeln, wäre dies für die Banken Italiens verheerend. Selbst für ertragsstarke Institute wie Unicredit, Mediobanca oder Intesa Sanpaolo haben die Ratingagenturen das Rating von “BBB” auf “BBB-” gesenkt.Die meisten Institute haben ihre Rückstellungen für Kreditausfälle erhöht. Noch reicht das, glaubt Stefano Caselli, Bankenprofessor an der renommierten Mailänder Universität Bocconi. Doch er fürchtet einen schlimmen Herbst – mit steigenden Kreditausfällen und einem starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen.Nachdem in den letzten zehn Jahren der Großteil der Volksbanken und Sparkassen verschwunden ist und sich die Genossenschaftsbanken zusammengeschlossen haben, werden zunächst vor allem mittelgroße Institute wie Bper, Ubi, BPM oder die 2017 teilverstaatlichte Monte dei Paschi di Siena (MPS) Probleme bekommen. Und die weitere Konsolidierung hat schon begonnen: Ubi wird gerade von Intesa Sanpaolo übernommen, was die meisten Experten für sinnvoll halten. Und der Industrielle Leonardo Del Vecchio will bei Mediobanca von 10 auf 20 % aufstocken, eine Entwicklung, die Enria “aufmerksam” beobachten will. Die von der EU verlangte Privatisierung der MPS verzögert sich zumindest. Die bisherigen Vorschriften dafür dürften aufgeweicht werden. MPS dürfte auf Dauer bei BPM, Bper oder bei einer ausländischen Bank landen. Und andere, wie die Volksbank von Bari, stehen vor einer Verstaatlichung. Brüssel dürfte da wohl beide Augen zudrücken.Aber das dürften eher die kleineren Probleme für Italien sein. Im Fall eines Tsunamis wären die Folgen unübersehbar.