IM BLICKFELD

Italiens Finanzlandschaft vor neuer Konsolidierungswelle

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 5.8.2020 Italiens Finanzbranche ist in Bewegung. Nachdem die Großbank Intesa Sanpaolo Ende 2019 die Mehrheit am Krankenversicherer RBM Salute übernommen hat, gab die Hauptversammlung der...

Italiens Finanzlandschaft vor neuer Konsolidierungswelle

Von Gerhard Bläske, MailandItaliens Finanzbranche ist in Bewegung. Nachdem die Großbank Intesa Sanpaolo Ende 2019 die Mehrheit am Krankenversicherer RBM Salute übernommen hat, gab die Hauptversammlung der genossenschaftlichen Versicherung Cattolica gerade grünes Licht für die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und den Einstieg der Rivalin Generali. Womöglich steht bald die zur Londoner Börse gehörende Mailänder Börse zum Verkauf. Und die Intesa Sanpaolo übernimmt Ubi Banca.Das könnte nach Ansicht von Stefano Caselli, Bankenprofessor an der Mailänder Universität Bocconi, der Beginn einer neuen Konsolidierungswelle sein: “Es könnte sehr schnell gehen mit neuen Projekten.” Er bringt dabei Namen ins Spiel wie die Banken Credem, Crédit Agricole, die zur BNP Paribas gehörende BNL sowie die Unipol Banca. Auch die BPER, die Volksbank der Region Emilia-Romagna, könne eine “interessante Rolle” spielen. Ein Fragezeichen setzt Caselli hinter die Mailänder Großbank Unicredit: “Es ist nicht klar, ob sie reagieren wird.” Bliebe die Bank untätig, würde sie damit nach seiner Lesart ein Signal setzen, dass sie wenig Interesse an einer Verstärkung in Italien habe. Die Großbank dementiert seit Monaten jegliche Übernahmepläne in Italien.Auslöser für eine neue Konsolidierungswelle könnte die Privatisierung der Monte dei Paschi di Siena (MPS) sein. Das Institut wurde 2017 mit einer staatlichen Kapitalspritze von 5,6 Mrd. Euro vor dem Konkurs gerettet. Seither ist Rom mit 68 % dabei. Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri kündigte an, das Institut bis 2021 privatisieren zu wollen – möglichst in Anlehnung an eine andere Bank. Die Voraussetzung dafür wurde kürzlich durch die Übertragung eines Portfolios fauler Kredite von 8 Mrd. Euro an die staatliche Bad Bank Amco geschaffen. Für Caselli ist die in den letzten Jahren stark geschrumpfte MPS “immer noch eine starke Marke mit einer großen Geschichte. Sie könnte interessant sein für Unicredit, aber auch für die Franzosen.” Damit meint er nicht nur die BNL, die zu BNP Paribas gehört, sondern auch den Crédit Agricole, der durch die Übernahme vieler Institute, darunter etliche Sparkassen, zu einem der führenden Geldhäuser Italiens wurde. Fusionswelle nach FinanzkriseSeit der Finanzkrise verschwand der Großteil der Sparkassen des Landes. Letzter Akt war die Rettung der Genueser Sparkasse Carige, die mit Hilfe des Staates und des Einlagensicherungsfonds FITD der Privatbanken Teil einer Gruppe um die Trientiner Genossenschaftsholding CCG werden soll. Auch viele Volksbanken sind verschwunden. Intesa Sanpaolo hat sich mit großzügiger Unterstützung Roms und unter Ausgliederung von schlechten Risiken an die staatliche Bad Bank zwei Institute in Venetien einverleibt. Die Genossenschaftsbanken haben sich – mit Ausnahme der Südtiroler Institute – unter dem Dach zweier großer Holdings zusammengeschlossen. Von kürzlich mehr als 500 unabhängigen Bankengruppen sind wenig mehr als 100 übrig.Für Caselli ergeben die Zusammenschlüsse Sinn – sofern es sich um gesunde und starke Banken handelt. Das ist nicht immer der Fall. Die kapitalschwache Mailänder BPM gilt aber ebenso wie die BPER, die im Zuge der Übernahme von Ubi durch Intesa Sanpaolo 532 bisherige Ubi-Filialen übernimmt, als Protagonist einer Konsolidierung. Bankenexperten rechnen mit der Bildung einer dritten italienischen Großbank.Rom musste in den vergangenen Jahren immer wieder Institute retten: Neben Volksbanken, der MPS und Carige gehört dazu auch die Volksbank von Bari (Banca Popolare di Bari), die größte Bank Süditaliens, die durch Misswirtschaft, Vetternwirtschaft und Betrug konkursreif wurde. FITD und Staat retteten das Institut mit 1,6 Mrd. Euro. Jetzt soll es zu einer großen Staatsbank für den Süden werden. “Ich bin skeptisch”, sagt Caselli: “Das führt zu nichts und hat schon in der Vergangenheit nie funktioniert.” Der Einstieg ausländischer Investoren wäre aus seiner Sicht eine bessere Option.Das dürfte schwierig sein. Private Geldgeber aus dem Ausland fürchten Interventionen des Staates, der zunehmend in die Wirtschaft eingreift. Zudem haben viele Banken zu hohe Kosten, zu viel Personal und zu viele Filialen. Die Online-Bank Illimity, aber auch Tech-Unternehmen wie Amazon drängen in den Markt.Es kommt hinzu, dass die Institute vollgesogen sind mit italienischen Anleihen, was wegen des EZB-Aufkaufprogramms vorerst ungefährlich erscheint, mittelfristig aber zum Problem werden kann. Zwar haben die Banken ihre Bestände an faulen Krediten drastisch reduziert: Doch mit 7 % ist ihr Anteil immer noch doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt und könnte in der Krise deutlich steigen, wenn Rückstellungen erhöht werden. Caselli fürchtet aufgrund der vielen Hilfsmaßnahmen und Lockerungen von Vorschriften für Banken zwar kurzfristig keine Probleme, “weil es viel Liquidität und Subventionen gibt”. Aber einige Institute könnten Probleme wegen Kreditausfällen bekommen, “wenn ein neuer Lockdown käme und die Mittel des europäischen Aufbauprogramms nicht vernünftig eingesetzt würden.”