Japans Geschäftsbanken vergraulen ihre Kunden mit Papierkrieg
Von Martin Fritz, TokioSeit Ende der 90er Jahre dümpeln Japans Banken im Niedrigzinsumfeld. Angesichts schrumpfender Zinseinnahmen sind die Institute gefordert, neue Einnahmequellen zu erschließen. Doch mehr als anderthalb Jahrzehnte nach dem “Big Bang” der Finanz-Deregulierung tun sich die Geschäftsbanken in Japan immer noch schwer mit ihren Privatkunden. Das Retail-Geschäft bringt wenig Geld ein. Das liegt zum einen an den dauerhaft niedrigen Zinsen. Die Spanne zwischen Kredit- und Einlage-Zins liegt aktuell bei nur 1,1 %. Zum anderen sind die Geschäftsbanken Nachzügler im Retail-Geschäft. Den Abstand zu den “Minibanken” der Supermarktketten haben sie immer noch nicht aufgeholt.Die vier größten FinanzgruppenMitsubishi UFJ (MUFG), Mizuho, Sumitomo Mitsui (SMFG) und Resona verdienen ihr Geld vor allem mit dem Firmengeschäft und dem Staatsanleihen-Handel. Die Konzentration auf Unternehmen ist historisch bedingt, da die Großbanken das Fundament der großen Firmengruppen (Keiretsu) bildeten. Die Einlagen der Privatkunden dienten der billigen Finanzierung des Firmengeschäfts.Erst seit der Deregulierung des Finanzsektors ab 1997 bauen die Banken das Retail-Geschäft aus. Alle Dienste aus einer Hand (One-Stop-Banking) bieten die Geschäftsbanken seit 2008 an. Bislang erhalten die Kunden aber nicht in allen Filialen die ganze Angebotspalette. Die höchsten Retail-Roherträge erzielt Branchenführer MUFG mit teuren Verbraucherkrediten (39 %), gefolgt von Hypothekendarlehen (15 %), dem Verkauf von Investment-Produkten wie Fonds und Versicherungen (18 %) sowie Spareinlagen (17 %).Insgesamt steuerte das Retail Banking bei MUFG 33 % der Bruttoerlöse, aber nur knapp 20 % des operativen Gewinns bei, halb so viel wie das Firmen-Kreditgeschäft (siehe Grafik). Der Retail-Ertrag von 294 Mrd. Yen (2,3 Mrd. Euro) klingt zwar nicht schlecht. Doch die Finanzgruppe unterhält 40 Millionen Kundenkonten, so viel wie alle Sparkassen in Deutschland zusammen, mit einem Guthaben von durchschnittlich 14 000 Euro. Umgerechnet auf jedes Konto erlöste MUFG 57 Euro. Technisch hinterherDas magere Ergebnis hängt mit den Besonderheiten des japanischen Bankgeschäfts zusammen. Im Westen ist Japan für Service-Mentalität und gute Elektronik berühmt. Im Gegensatz zu diesen Klischees sind japanische Banken frustrierend unbequem und hinken technisch hinterher. Viele Filialen haben das Ambiente einer Behörde. An den Geldschaltern gibt es nicht einmal eine gläserne Trennscheibe zum Kassierer, da Banküberfälle extrem selten sind. Man erhält meist eine Wartenummer und muss viel Zeit mitbringen. Selbst ein kleiner Vorgang wie eine bankinterne Überweisung von einem Euro- auf ein Yen-Konto löst einen langen Papierkrieg aus. Im Schalterraum sitzen oft vier bis fünfmal so viel Mitarbeiter wie in einer deutschen Bankfiliale. Die meisten sichtbaren Angestellten sind junge Frauen in der Firmenuniform aus Rock und Bluse. In jeder der 811 Filialen von MUFG arbeiten im Schnitt 47 Angestellte.Viele Arbeitsschritte werden mit der Hand und dem Computer doppelt ausgeführt. Im Geldverkehr gibt es häufig Probleme, da Namen in japanischer Lautschrift statt im westlichen Alphabet erfasst werden. Viele Transaktionen basieren noch auf Bargeld. Private Schecks sind extrem selten. Kreditkarten nimmt der Japaner wegen der Möglichkeit, Rabattpunkte zu sammeln, lieber von Kaufhausketten oder Eisenbahn-Gesellschaften als von seiner Bank. Japanische Geldautomaten verfügen zwar über Hightech: Sie erlauben Einzahlungen von Münzen und geben automatisch Kontobücher aus, die alle Ein- und Ausgänge verzeichnen. Aber 24-Stunden-Banking ist dort erst seit kurzem möglich. Große UnzufriedenheitDer schlechte Service ist ein Grund, warum Japaner zu den unzufriedensten Bankkunden weltweit gehören. Nur 22 % haben laut dem World Retail Banking Report 2013 von Cap Gemini positive Erfahrungen mit ihrer Bank gemacht. In Deutschland sind es 48 %. Und laut dem Global Consumer Banking Survey 2013 von Ernst & Young (EY) fordern 45 % der Bankkunden in Japan eine verbesserte Kosten- und Gebührenstruktur – ein doppelt so hoher Prozentsatz wie im globalen Schnitt.Aus der Sicht der Banken sind vor allem die Girokonten der Privatkunden ein lästiger Kostenfaktor, da sie keine monatliche Basisgebühr durchsetzen können. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens setzt die übermächtige staatliche Postbank die Maßstäbe. Sie erhebt jedoch keine Monatspauschale. Zweitens unterhalten 70 % der Japaner Konten bei mindestens drei Banken, da viele Behörden oder Firmen Transaktionen mit bestimmten Instituten vorschreiben. Zum Beispiel braucht man für die Bezahlung des Schulmittagessens häufig ein Postbank-Konto. Kompensation bei GebührenVor diesem Hintergrund sehen die Japaner nicht ein, warum sie pauschale Gebühren für ein Konto zahlen sollen, das sie womöglich nur für eine Transaktion monatlich nutzen. Eine Folge sind geschätzte 10 Millionen “Schlafkonten”, deren Besitzer sich nicht mehr ermitteln lassen. Die Retail-Banken versuchen die Konten daher über relativ hohe Gebühren für Transaktionen zu finanzieren. Eine Überweisung kostet typischerweise ab 1,50 Euro, die Gebühr steigt mit der Transfersumme. Für eine Barabhebung am Geldautomaten wird abends und am Wochenende eine Gebühr von 105 Yen (0,81 Euro) fällig.Doch die Zahl der Kontobewegungen ist in Japan niedriger als in Deutschland. Viele Transaktionen werden bar in kleinen Supermärkten abgewickelt, die sich seit Mitte der achtziger Jahre zu effizienten Minibanken entwickelt haben. Dort bezahlen viele Japaner ihre monatlichen Rechnungen für Wasser, Strom und Telefon. Dafür ist auf jeder Rechnung ein Barcode gedruckt, über den die Zahlung verbucht wird. In vielen Läden stehen Geldautomaten mit Online-Zugang zu allen Instituten.Diese Minibanken sind für den Geldverkehr in Japan so wichtig, dass viele Banken dort ihre eigenen Geldautomaten aufstellen, um näher an ihre Kunden zu kommen. Erst seit dem Siegeszug des Online Bankings in Japan nimmt die Bedeutung der Minibanken allmählich ab. Angesichts der hohen Investitionen in die notwendige IT-Infrastruktur dürfte sich die Ertragslage der japanischen Geschäftsbanken im Retail-Bereich jedoch nicht sehr schnell verbessern.—-Zuletzt erschienen:- Wie die Regulierung Banken ins Retail Banking treibt (24. Juli)- Wenn der Zinsüberschuss zerrieben wird (20. Juli)- Privatkundengeschäft im Strukturwandel (18. Juli)