„Jetzt können wir unser Schicksal selber gestalten“
Anna Sleegers.
Herr Tschäge, wie geht es Ihnen?
Ich fühle mich gestresst. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben uns ziemlich überrollt und den Zeitplan, den wir uns vorgenommen haben, komplett durcheinandergeworfen. Durch die plötzliche Einladung zur außerordentlichen Aufsichtsratssitzung und die Ad-hoc-Meldung blieb weniger Zeit, sich vorab mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
Glauben Sie, dass die Bank den Druck bewusst aufgebaut hat?
Das könnte man sich schon vorstellen, dass auf Seiten des Arbeitgebers der Wunsch mitgespielt hat, Fakten zu schaffen, indem man einen Rahmen ankündigt, aus dem man sich später nicht mehr herausbewegen kann oder will. Andererseits ist dadurch ein unheimlich großer Druck auf die vorbereitenden Gespräche entstanden, der für beide Seiten nicht unproblematisch war. Das hat dazu geführt, dass der Arbeitgeber sich jetzt quasi als Reparaturmaßnahme gezwungen sah, sich sehr schnell mit uns auf einen gewissen Schutzrahmen für die Kolleginnen und Kollegen zu einigen.
Sie meinen die Regelungsabrede, die es in den Text der zweiten Ad-hoc-Mitteilung geschafft hat?
Sie können das auch einfach Vereinbarung nennen. Wir haben uns mit der Bank darauf geeinigt, dass man sich an die Konditionen und Instrumente des Sozialplans hält, die wir beim letzten Umbau 2017 ausgehandelt hatten. Und vor allem, dass man sich an den damals vereinbarten Ablauf hält, bevor man betriebsbedingte Kündigungen ausspricht.
Was meinen Sie damit?
Dass man vorher alle anderen, milderen Maßnahmen diskutiert und versucht.
Man kann also sagen, dass Ihnen die Bank mit der Vereinbarung entgegengekommen ist.
Geschenkt bekommen haben wir das aber nicht. Es war das Ergebnis langer und sehr anstrengender Verhandlungen. Für uns war das eine ganz wichtige Grundlage dafür, um uns am Verhandlungstisch konstruktiv mit der neuen Strategie auseinandersetzen zu können. Denn ohne diese Schutzregelung für die Mitarbeiter hätten wir davon ausgehen müssen, dass auch sehr kurzfristig Kündigungen geplant werden, denen wir dann mit kämpferischen Mitteln hätten begegnen müssen. Diese Regelung gibt uns jetzt erst mal Luft, sich auf ordentliche Weise mit dem Arbeitgeber und seinen Punkten zu beschäftigen und dann auf dem Verhandlungsweg weitere Ziele zu erreichen.
Dann müssten Sie doch nicht gestresst, sondern erleichtert sein.
Ja, das bin ich auch. Aber so etwas hinterlässt natürlich auch Narben und Spuren. Wir haben das ja nicht in einer zweistündigen Telko ausgemacht. Es hat wirklich sehr viele, auch bilaterale Gespräche erfordert, auch abends und am Wochenende.
Der neue Vorstandschef hat Fairness, Transparenz und einen respektvollen Umgang mit der Arbeitnehmerseite versprochen. Hat er dies aus Ihrer Sicht bislang eingelöst?
Ich glaube, das ist noch zu früh, um das zu beurteilen. Es ist ja bislang bloß eine Strategie verkündet worden und noch keine einzige Maßnahme in Angriff genommen worden. Die müssen ja auch erst noch verhandelt werden.
Wie oft haben Sie Herrn Knof denn bisher getroffen?
Leibhaftig getroffen haben wir uns wegen Corona bislang noch gar nicht. Aber wir haben uns schon mehrfach über Videocalls ausgetauscht.
Er ist ja der erste Vorstandschef der Commerzbank, der nicht aus den eigenen Reihen kommt. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil?
Auch hier möchte ich mit dem Urteil noch mindestens ein Jahr warten. Sie dürfen nicht vergessen, dass es ja auch mit seinen Vorgängern durchaus nicht nur friedliche Themen gab. Die Commerzbank ist ja schon mehrfach umgebaut worden, und das waren ja durchaus schwierige Themen. Allein bei der letzten Umbaumaßnahme vor drei Jahren sind mehr als 9000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Das war schon eine ähnliche Größenordnung wie jetzt, auch wenn wir da von einer höheren Basis gestartet sind. Das war auch kein Spaziergang.
Als die Fusionsgespräche mit der Deutschen Bank geführt wurden, standen ja ganz ähnliche Szenarien im Raum. Würden Sie rückblickend sagen, dass es besser gewesen wäre, diesen Schritt zu gehen?
Auf gar keinen Fall! Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es sehr gut ist, dass diese Fusion abgesagt wurde. Der Stellenabbau wäre dabei noch viel größer ausgefallen. Was wir jetzt vor uns haben, ist natürlich alles andere als ein Zuckerschlecken. Aber es hat doch eine andere Dimension – und die Herangehensweise ist eine ganz andere. In einer Fusion mit der Deutschen Bank wären wir als Juniorpartner schlichtweg untergegangen. Jetzt können wir unser Schicksal selber gestalten.
Die Commerzbank hat angekündigt, dass die Rahmenvereinbarung zum Stellenabbau bis Mai stehen soll. Was ist bis dahin noch zu tun?
Jetzt wird es darum gehen, den alten Sozialplan auszubauen und zu modernisieren. Und wir müssen den Interessensausgleich ausarbeiten, in dem geregelt wird, wie der Abbau konkret umgesetzt wird. Also wie zum Beispiel die verbleibenden Stellen ausgeschrieben und besetzt werden, welche Filialen wann geschlossen werden oder auch ob man erst digitalisiert und dann die Stelle streicht oder andersherum – das muss ja alles noch verhandelt werden. Bislang haben wir lediglich vereinbart, dass alle Alternativen geprüft werden müssen, bevor es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt.
Wann werden denn die Mitarbeiter Klarheit haben?
Das werden wir schrittweise verhandeln müssen. Bevor man in die Details geht, wird man über übergeordnete Regeln sprechen müssen, etwa über die Art der Stellenbesetzungsverfahren. Was das dann für jeden einzelnen Mitarbeiter konkret bedeutet, in seiner Filiale oder seiner Abteilung, wird erst dann feststehen, wenn der jeweilige Teilinteressensausgleich geschlossen ist. Das wird aber noch dauern, vor dem zweiten Halbjahr ist das vermutlich nicht zu schaffen. Dann wird sich erst klären, was aus den dort beschäftigten Mitarbeitern wird. Die werden dann ja nicht einfach entlassen, da haben wir als Arbeitnehmervertreter ja ganz andere Vorstellungen.
Sie meinen Qualifizierungsmaßnahmen?
Zum Beispiel. Oder auch Versetzungen. Da muss man mit den jeweiligen Mitarbeitern sprechen, welche Lösung am besten zu ihrer Lebensplanung passt.
Üblicherweise orientieren sich Sozialpläne ja an Parametern wie dem Alter des Arbeitnehmers und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit. Wird die Commerzbank denn überhaupt noch Mitarbeiter unter 50 haben, wenn jede dritte Stelle gestrichen wird?
Auf jeden Fall! Ansonsten könnten wir ja die Rollläden herunterlassen.
Das Institut gilt ja schon heute als überaltert.
Das ist tatsächlich ein Problem, mit dem wir uns auch als Betriebsräte auseinandersetzen. Das Durchschnittsalter im Betrieb liegt irgendwo bei Mitte 40. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen, damit die Commerzbank auch für die jüngere Generation ein attraktiver Arbeitgeber bleibt. Das ist keine leichte Nuss zu knacken.
Junge Mitarbeiter haben es in der Regel ja leichter, eine Alternative zu finden. Gerade wenn sich die Unsicherheit so lange zieht wie jetzt bei der Commerzbank.
Das fürchten wir auch, und deswegen haben wir auch auf der Vereinbarung bestanden, die den Mitarbeitern zumindest ein Stück weit Schutz bietet. Selbst wenn irgendwann feststeht, dass ihr Arbeitsplatz wegfällt, heißt das ja nicht, dass ihnen sofort gekündigt wird. Das war uns ganz wichtig, damit die Kollegen jetzt nicht in Panik die Bank verlassen. Wir wollen ja nicht alle Talente verjagen, sondern mit ihnen auch in Zukunft bei der Commerzbank erfolgreich zusammenarbeiten.
Glauben Sie, dass sich die jüngeren Mitarbeiter der Commerzbank von ihrem Betriebsrat gut vertreten sehen?
Auf jeden Fall, und wir haben auch eine sehr engagierte Jugend- und Auszubildendenvertretung und viele jüngere Kollegen, die nach dem Ende der Ausbildung im Betriebsrat mitmachen.
Wie waren denn die bisherigen Sozialpläne strukturiert? Gab es da irgendwelche Regelungen, die junge Mitarbeiter schützen?
Um es hier noch mal ganz klar zu sagen: Wir sind bei den bisherigen Abbaumaßnahmen zum Glück noch nie in die Situation gekommen, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kam. Insofern musste auch nie eine Sozialauswahl getroffen werden, bei der man über ein Punktesystem oder über welche andere schlimme Art auch immer Mitarbeiter aussortieren muss. Bislang konnten wir das immer dadurch vermeiden, dass wir entsprechende Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber verhandelt haben. Ich hoffe sehr, dass uns das auch dieses Mal gelingt.
Wie realistisch ist das, wenn mitten in der Coronakrise jeder dritte Arbeitsplatz gestrichen wird?
Ich werde nicht müde, das für sehr realistisch zu halten. Wir brauchen aber noch ein paar zündende Ideen für neue oder veränderte Instrumente. Das Wichtigste ist, dass man sich die Mühe macht, sich mit den Menschen zusammenzusetzen und darüber zu sprechen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen und welche Lösungen man dafür finden kann. Das kann man natürlich nicht so eben für alle 10 000 Menschen hinbekommen. Der vorgegebene Zeitplan ist eigentlich zu eng, um das bequem zu schaffen. Aber dann muss es eben unbequem gehen, dann muss man sich Mühe geben.
Wer genau?
Der Ablauf ist: Zunächst legen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Interessensausgleich und einem Teilinteressensausgleich fest, in welcher Abfolge mit welchen Mitarbeitern gesprochen wird. Wenn das feststeht, müssen die örtlichen Führungskräfte mit den Mitarbeitern sprechen, die, wenn sie wollen, einen Vertreter ihres Betriebsrats dazuholen können. Wenn man auf diese Weise Lösungen findet, werden die umgesetzt, wenn nicht, werden Verhandlungen von den örtlichen Betriebsräten mit dem Arbeitgeber geführt. Erst wenn das alles nicht gelingt, was ich natürlich nicht hoffe, kommt man an den Punkt, dass betriebsbedingte Kündigungen möglich sind.
Der im Herbst 2019 unter dem alten Vorstand beschlossene Abbau von 4300 Arbeitsplätzen sollte durch den Aufbau von 2000 Stellen flankiert werden. Um das Thema ist es still geworden, obwohl es zu dem Abbau eine Einigung mit den Betriebsräten gab. Wie ist da der Stand?
Das ist eine Frage, die Sie dem Vorstand stellen müssen. Natürlich wird die Bank im Rahmen des Umbaus versuchen, Kosten zu sparen, indem man Tätigkeiten in tarifungebundene Töchter oder in Billiglohnländer verlagert. Das sind Themen, die uns als Betriebsrat nicht leichtfallen, schon gar nicht, wenn dafür Mitarbeiter im Inland ihren Arbeitsplatz verlieren. Darüber werden wir uns noch intensiv auseinandersetzen müssen.
Das Interview führte