IM GESPRÄCH: HEINZ HILGER

"Jetzt werden die Marktanteile verteilt"

Der Chef der Standard Chartered Bank bricht eine Lanze für die Kreditvergabepolitik der Auslandsbanken während der Krise

"Jetzt werden die Marktanteile verteilt"

Die von deutschen Banken des Öfteren bemühte Polemik vom Rückzug der Auslandsbanken in der Krise geht nach Einschätzung des CEO der Standard Chartered Bank zumindest für die zurückliegenden Wochen an der Realität vorbei. So habe etwa sein Institut keinen Bestandskunden abweisen müssen.Von Anna Sleegers und Bernd Neubacher, FrankfurtDer angebliche Rückzug der US-Banken aus dem europäischen Kreditgeschäft in den ersten Wochen der Corona-Pandemie hat nach Einschätzung von Heinz Hilger, CEO der in Frankfurt ansässigen Standard Chartered Bank, eher einen anekdotischen Charakter. “Es gab im Markt die eine oder andere Überraschung, bei der die eine oder andere Bank nicht so erschienen ist, wie man das erwartet hätte”, sagte er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. In seinen Augen haben die Auslandsbanken jedoch eine tragende Rolle gespielt, allen voran die französischen Banken, die sich extrem entgegenkommend gezeigt hätten.Für öffentliches Aufsehen hatte gesorgt, dass auf der Liste der Banken, bei denen sich Daimler Anfang April für zwölf Monate eine zusätzliche Kreditlinie in Höhe von 12 Mrd. Euro sicherte, sowohl die Citigroup als auch Goldman Sachs fehlten. Das weckte ungute Erinnerungen an die Bankenkrise von 2008, als viele Mittelständler sich von Auslandsbanken im Stich gelassen fühlten, weil deren Mutterkonzerne sich auf ihre Heimatmärkte konzentrierten.Zum Ende des ersten Quartals sei die Anspannung in der Branche groß gewesen, berichtet Hilger: “Wie beim Toilettenpapier drohte aus einer gefühlten Knappheit der Bankenliquidität eine echte Knappheit zu werden.” Da sei es unvermeidlich, bei der zugleich sprunghaft angestiegenen Kreditnachfrage in Europa zu priorisieren.Wie sein eigenes Institut, das seit Ende 2018 über eine Vollbanklizenz verfügt, dürften sich die meisten Banken zunächst auf die gut etablierten Kundenbeziehungen konzentriert haben. Es sei nicht auszuschließen, dass die eine oder andere US-Adresse sich in dieser Zeit auch deshalb zurückhielt, weil die Folgen der auf ihrem Heimatmarkt mit Verzögerung ausgebrochenen Pandemie besonders schwer abzuschätzen waren. “Der Vorteil eines starken Heimatmarkts kann sich in einer solchen Situation auch umkehren”, so Hilger. “Keinen Kunden abgewiesen”Bei der Standard Chartered Bank habe die Kreditnachfrage im ersten Quartal um 20 % zugelegt. Diese Zahl sei aber nicht für den gesamten Markt repräsentativ, weil die Bank sich aufgrund ihres Geschäftsmodells als Wholesale-Bank mit Fokus auf Asien bewusst auf eine relativ kleine Anzahl wirklich großer Kunden fokussiere. Von den bestehenden Kunden habe etwa jeder dritte in den vergangenen Wochen zusätzliche Kreditlinien angefragt. “Erfreulicherweise mussten wir keinen unserer Kunden abweisen”, unterstrich Hilger.Darauf sei er stolz, auch weil dies in einer Zeit gelang, in der die fast 300 Mitarbeiter des Instituts innerhalb kürzester Zeit fast vollständig ins Homeoffice gewechselt seien. Dass dies sogar im Handelsbereich ohne nennenswerte Reibungsverluste gelang, sei für ihn wie für viele andere Manager der Branche ein Aha-Effekt gewesen.Trotz der außergewöhnlichen Situation habe sich seine Bank jedoch nicht überrannt gefühlt: “Nach meinem Eindruck haben wir in Deutschland das Glück, dass die Unternehmen sehr diszipliniert vorgehen, andernorts in Europa sah das anders aus.” Hilger zufolge deutet das einerseits auf eine ordentliche Liquiditätsausstattung der hiesigen Unternehmen hin. “Es zeigt aber auch, dass das KfW-Programm den Markt erheblich beruhigt hat”, ergänzte er.Viele der großen Unternehmen hätten sich nach anfänglichen Interessensbekundungen für das Kfw-Programm dann doch anderen Banken oder dem Kapitalmarkt zugewandt, auch weil ihnen Finanzierungsalternativen zur Verfügung stehen, sobald die Wogen an den Märkten sich glätten. “Klar ist, dass jetzt die künftigen Marktanteile verteilt werden”, sagte er. Wie schon nach der Banken- und der anschließenden europäischen Staatsschuldenkrise würden sich die Unternehmen genau anschauen, wer ihnen in der Krise zur Seite steht, glaubt Hilger.Auch die Standard Chartered Bank habe aus der Situation heraus ein bis zwei Neukunden gewonnen in dieser Phase. Hilger: “Es wäre jedoch vermessen zu sagen, dass wir jedes Neugeschäft gemacht haben.”Das Kreditrisiko sei dabei nicht immer der ausschlaggebende Punkt für eine negative Entscheidung. “Uns ist es sehr wichtig, bei unseren Kunden als Gruppe längerfristig einen Wertbeitrag leisten können, und wir suchen daher gezielt nach Unternehmen mit starker Lieferkette nach Asien, Afrika oder dem Nahen Osten”, schilderte er den Entscheidungsprozess. Deutschland als VorreiterSchwerpunkt des Geschäfts von Standard Chartered sei dabei traditionell China, was sich derzeit als Vorteil erweise. “Die Tatsache, dass Asien die erste Phase der Pandemie bereits hinter sich hat, scheint uns zugute zu kommen”, sagte Hilger. Dafür spreche die Tatsache, dass die Credit Default Swaps (CDS) von Standard Chartered zuletzt deutlich zusammengelaufen seien.Deutschland sieht Hilger derzeit in einer Sonderrolle innerhalb der Europäischen Union: “Es scheint sich abzuzeichnen, dass wir etwas besser aus der Krise herauskommen als andere Länder, da wir auch dank eines sehr guten Gesundheitssystems relativ wenige Todesfälle haben.” Nun gehe es darum, einen Weg ins “New Normal” aufzuzeigen. Das gelte auch für das Country Management innerhalb der ganzen Gruppe: Die Mitarbeiter von Standard Chartered Bank in Frankfurt seien die Ersten in Europa, die in der kommenden Woche aus dem Homeoffice behutsam wieder ins Büro zurückkommen werden.