Joachim Wenning führt mit ruhiger Hand
Von Stefan Kroneck, München
Die Corona-Pandemie hat auch den Arbeitsrhythmus von Joachim Wenning verändert. Der Vorstandsvorsitzende der Munich Re arbeitete zuletzt in der Woche an einem Tag von zu Hause aus. Aus seiner Sicht ist mehr nicht möglich. Denn die Position des CEO erfordere eine starke Präsenz im Unternehmen, lautet seine Devise. Gleichwohl ist dem 57-Jährigen bewusst, dass Covid-19 verkrustete Arbeitsstrukturen auch beim größten Rückversicherer der Welt aufgebrochen hat. Die mit der Seuche beschleunigte Digitalisierung aller Lebensbereiche erhöht ebenso bei der Munich Re den Anteil von Konzernbeschäftigten, die mobiles Arbeiten als Alternative oder Ergänzung zum Büro auch künftig nutzen werden.
Welche Konsequenzen Wenning aus diesem Trend für die Munich zieht, ist noch offen. Andere Adressen wie etwa die BayernLB entscheiden sich für einen radikalen Schritt. Die zweitgrößte deutsche Landesbank plant, von ihrer bisherigen Konzernzentrale innerhalb Münchens in kleinere Bürogebäude umzuziehen, um Kosten zu sparen.
Für die Assekuranz im Allgemeinen und die Munich Re im Besonderen ist Corona ein Einschnitt. Die Belastungen infolge von Covid-19 verhagelten dem Branchenprimus 2020 die Erfolgsrechnung. Die Mehraufwendungen sind weiterhin hoch, wenngleich nicht mehr so wie zu Beginn der Pandemie. Wenn Wenning und seine Vorstandskollegen am 23. Februar die Konzernbilanz vorlegen, werden sie mit einem Gewinnschub aufwarten. Für 2021 peilt das Management einen Überschuss von 2,8 Mrd. Euro an. Das wäre ein Plus von 1,6 Mrd. Euro nach dem Ergebniseinbruch 2020 von 2,7 Mrd. auf 1,2 Mrd. Euro. Für das laufende Jahr rechnen Analysten im Schnitt mit einem Gewinnanstieg auf 3,4 Mrd. Euro. Für 2021 erwarten sie eine Anhebung der Dividende je Aktie auf 10,40 Euro nach zuletzt unverändert gebliebenen 9,80 Euro.
Lage hellt sich auf
Wenning führt das traditionsreiche Dax-Mitglied seit April 2017. Im März vergangenen Jahres verlängerte der Aufsichtsrat seinen Vertrag vorzeitig um weitere fünf Jahre bis 2026. Dann wäre er 61 Jahre alt und hätte die Regel-Altersschwelle für Vorstände (60) schon überschritten. Der promovierte Volkswirt führt die Versicherungsgruppe von Munich Re mit ruhiger Hand, konsequent geht er dabei die strategische Ausrichtung an. Anders als sein Amtsvorgänger Nikolaus von Bomhard (65), der nunmehr das Kontrollgremium leitet, hält er sich mit allzu starker Kritik an der Politik der EZB zurück. Auf Nachfrage weist er zwar auf die Gefahren der allzu expansiven Geldpolitik der Notenbank hin, trägt das aber nicht so mit Verve vor wie einst Bomhard, der in seiner Rolle als CEO von sich aus vor Medienvertretern das Thema EZB aufgeworfen hatte.
Mit der absehbaren Zinswende der Fed und den kürzlichen Einsichten der EZB-Führung aufgrund der hartnäckigen Inflation nimmt auf dieser Seite der Druck von der Munich Re in der Anlagestrategie langsam ab. Festverzinsliche Wertpapiere, die einen Großteil der Kapitalanlagen des Rückversicherers ausmachen, werden mit wieder steigenden Zinsen attraktiver. Das sorgt künftig tendenziell für wachsende Kapitalanlagerenditen. Der damit einhergehende Stimmungsumschwung an der Börse spiegelt sich in der Aktie der Munich Re wider. Während der Titel seit September 18% an Wert gewann, büßte der Dax 5% ein.
Wenning kann diese Entwicklung mit Genugtuung betrachten, trägt doch seine zuvor in Angriff genommene Wachstumsstrategie erste Früchte. Mit Kooperationen im Industriebereich erschließt sich die Munich Re unter seiner Regie neue Felder auf dem Gebiet der Digitalisierung. Das soll dazu beitragen, die Aktivitäten im Kerngeschäft zu arrondieren. Die Munich Re ist groß genug, das aus eigener Kraft zu bewerkstelligen. Große Zukäufe sind Wennings Sache nicht. Er knüpft vielmehr an die Stärken des eigenen Hauses an. Daraus schöpft er sein Selbstwertgefühl als CEO. Dass er Projekte zielgerecht angehen kann, hatte er mit der vollendeten Sanierung des einstigen Sorgenkinds Ergo bewiesen. Die Düsseldorfer Erstversicherungstochter befindet sich nunmehr auf Kurs und liefert. Für Wenning ist das eine Bestätigung dafür, dass die Doppelstrategie – Erst- und Rückversicherung unter einem Dach zu führen – der richtige Weg ist. Dieses Konzept trägt dazu bei, das Geschäftsmodell stärker zu diversifizieren, um Risiken zu streuen. Der günstige Marktzyklus sorgt derweil für Rückenwind. Nach einer jahrelangen Flaute steigen die Preise für Rückversicherungsdeckungen auf breiter Front. Wenning freut das, profitiert der Konzern davon zusätzlich. Angesichts der günstigen Entwicklungen stehen die Zeichen für den Vorstandschef derzeit auf Grün.