Jürgen Fitschen 65
Von Bernd Wittkowski, FrankfurtJürgen Fitschen könnte Sport treiben, vorzugsweise Mannschaftssport. Früher hat er sich am liebsten mit dem Ball ausgetobt. Oder er könnte lesen. Nicht Kreditakten oder Aufsichtsrundschreiben, sondern gute Bücher. Nicht zuletzt könnte er sich in Norddeutschland um seine Pferde kümmern. Fitschen reitet zwar nicht selbst, aber ihm macht es unheimlich viel Freude, zu erleben, wie junge Pferde aufwachsen und sich dann in Wettbewerben bewähren – sein Lieblingshobby.Warum nur musste dieser Mann im Juni des vergangenen Jahres mit 63 – einem Alter, in dem Vorstände der Deutschen Bank früher längst ehrenhaft in den hochverdienten Ruhestand verabschiedet worden waren – Co-Chef des größten deutschen Geldkonzerns werden? Und obendrein im April dieses Jahres noch Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB)? Die Altersversorgung wäre doch in seinem Fall vermutlich trotz Niedrigzinsphase schon auskömmlich gewesen. Sich selbst und anderen etwas beweisen musste er auch nicht mehr. Ehre und Ruhm? Die halten sich doch eher in Grenzen.Es gibt – erstens – wohl auch im siebten Lebensjahrzehnt, wenn jemand beruflich eigentlich schon alles erreicht hat, Angebote, die man nur schwer ausschlagen kann. Zum Beispiel das Angebot, die Deutsche Bank zu führen. Fitschen gehört – zweitens – zweifellos zu denen, die sich in die Pflicht nehmen lassen, wenn sie gebraucht werden. Er wurde gebraucht: Die Blauen steckten in einer Führungskrise, Anshu Jain als Allein-CEO war – noch – nicht vermittelbar. Und bei allen Freizeitbeschäftigungen, die er schon irgendwie vermisst, macht es Fitschen – drittens – doch richtig Spaß, die Riesenherausforderung anzunehmen, die es bedeutet, gerade in diesen Zeiten an der Spitze der einst untadeligen Vorzeigebank zu stehen und sie – sowie als BdB-Präsident die Branche – möglichst aus der zumindest teilweise selbstverschuldeten Vertrauens- und Reputationskrise herauszuführen.Wir müssen zugeben, dass wir Jürgen Fitschen erst relativ spät auf dem Radar hatten. Die erste Begegnung datiert vom Mai 1997. Damals war der aus dem niedersächsischen Hollenbeck (bei Harsefeld) stammende Diplom-Kaufmann, bis dato Leiter des Firmenkundengeschäfts der Deutschen Bank in Asien-Pazifik, zum Mitglied des Bereichsvorstandes Unternehmen und Immobilien in der Frankfurter Zentrale berufen worden. Da hatte er allerdings schon ein Jahrzehnt Deutsche Bank und vorher ein rundes Dutzend Jahre Citibank hinter sich. Beim hiesigen Branchenprimus waren zunächst die Deutsche Bank (Asia) in Hamburg, dann die Filialen Bangkok und Tokio, wo er das Japan-Geschäft der Bank leitete, sowie das Regional Head Office für Asien-Pazifik in Singapur seine Stationen gewesen. BeziehungsbankerOhne hier Fitschens kompletten Lebenslauf herunterbeten zu wollen: 2002 hatte der heutige Co-Chef noch gerne auf einen Vorstandsjob verzichtet, um sich intensiver und freier von den Zwängen des Aktienrechts um das operative Geschäft kümmern zu können. Fitschen ist Beziehungsbanker, ihn drängte es schon immer und drängt es bis heute an die Kundenfront. “CEO” war er übrigens auch schon früher: Seit 2004 stand Fitschen als “CEO Deutschland” im Organigramm und personifizierte gewissermaßen die Wiederentdeckung des Heimatmarktes durch die Deutsche Bank. Er verantwortete freilich zugleich das seinerzeit neu geschaffene weltweite Regional Management, das in dem globalen Gebilde den Regionen mit ihren spezifischen Belangen angemessenes Gehör verschaffen sollte. Die Doppelfunktion war wie maßgeschneidert für Fitschen, verkörpert er doch glaubwürdig wie kaum ein anderer die Kombination aus Verwurzelung am Heimatmarkt einerseits und Ausrichtung als Global Player andererseits.Für die damalige Aufgabe galt wie für die heutige Herausforderung des Wertewandels und der Wiedergewinnung des Vertrauens: Wenn es einer kann, dann Fitschen. Er ist gleichermaßen in wie außerhalb der Bank, nicht zuletzt bei Wettbewerbern, als grundanständiger und authentischer Zeitgenosse und verlässlicher Gesprächspartner anerkannt, mögen die Interessen von Großbanken und Verbundinstituten etwa bei Regulierungsthemen teilweise auch deutlich auseinandergehen. Die Grabenkämpfe aber gehören der Vergangenheit an.Fitschen ist Banker der alten Schule. Seine fachliche Kompetenz bedarf hier nicht extra der Erwähnung, doch wird der Freund einer deutlichen, bei Bedarf auch schonungslosen Sprache nicht zuletzt wegen seiner menschlichen Kompetenz geschätzt. Er ist umgänglich, aufgeschlossen, empathisch, stets auch jenseits des bankgeschäftlichen und bankpolitischen Tellerrandes auf der Höhe, er steht mit beiden Beinen mitten im Leben und kommt mit dem Bauern in Harsefeld genauso gut aus (und der mit ihm) wie mit gleichrangigen Kollegen aus der internationalen Hochfinanz. Und weil Fitschen eben auch nur ein Mensch ist, verliert er schon mal die Contenance und ruft etwas voreilig auf dem ganz kurzen Dienstweg seinen Ministerpräsidenten an, wenn 500 Staatsanwälte, Steuerfahnder und Polizisten bei der Deutschen Bank aufmarschieren und wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung auch gegen ihn persönlich ermitteln. Am Sonntag vollendet dieser Mensch gebliebene Bankchef sein 65. Lebensjahr.