Kapitalmarkt als Motor für gute Unternehmensführung

Bewusstsein für den wichtigen Stellenwert von Corporate Governance wächst - Verantwortlich investieren

Kapitalmarkt als Motor für gute Unternehmensführung

Die Wirtschaft ist heute mehr denn je auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Von Unternehmen wird erwartet, dass sie ihre Gewinne verantwortungsvoll, also nicht auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft erzielen. Bei Verfehlungen droht eine Beschädigung des Vertrauens der Kunden und des Kapitalmarkts sowie in der Konsequenz Verluste bei Anlegern. Damit wachsen auch die Anforderungen an Investoren und Assetmanager, die als Treuhänder in bedeutendem Maße Anlagevermögen bündeln.Bei Union Investment bekennen wir uns deshalb zum verantwortlichen Investieren. Wir sind unseren Anlegern also eine Antwort auf die Frage schuldig, was mit ihrem Geld passiert: In welche Unternehmen investieren wir und warum? Dies setzt voraus, dass wir die Unternehmen sorgfältig analysieren, ganzheitlich betrachten und im intensiven Dialog begleiten. Dazu werden jährlich mehr als 4 000 Hintergrundgespräche mit Unternehmensvertretern geführt. Auf Hauptversammlungen greifen wir punktuell durch Redebeiträge kritische Aspekte auf, darüber hinaus stimmen wir weltweit auf mehr als 1 200 Hauptversammlungen durch Proxy-Voting im Rahmen unserer Abstimmungsrichtlinie ab.Letztlich geht es darum, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Gang zu bringen und den Kapitalmarkt als Motor für gute Unternehmensführung zu nutzen. Dabei orientieren wir uns an führenden nationalen und internationalen Standards wie den BVI Leitlinien zum verantwortlichen Investieren oder den Principles for Responsible Investment (PRI) der Vereinten Nationen, die wir über die gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen hinaus berücksichtigen.Im Zuge der weltweiten Umsetzung der PRI, bei denen es sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung handelt, haben die sogenannten ESG-Kriterien in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Im Einzelnen geht es dabei um ökologische Kriterien (Environment), soziale Kriterien (Social) und Aspekte einer verantwortungsvollen Unternehmensführung (Corporate Governance), die zusammen die drei Säulen des modernen Nachhaltigkeitsverständnisses bilden. Aktive AktionäreBei Union Investment werden dazu bis zu 250 Datenpunkte pro Unternehmen abgefragt und analysiert, die in die Investmententscheidung mit einfließen. Die wichtigste Säule ist dabei die Corporate Governance, denn gut geführte Unternehmen sind weniger anfällig für Ereignis-, Klage- und Reputationsrisiken und damit robuster und langfristig erfolgreicher. Schon aus rein pragmatischen Überlegungen des Risikomanagements entwickeln sich institutionelle Investoren immer stärker zu aktiven Aktionären.Dabei gilt es zwischen aktiven und aktivistischen Investoren zu unterscheiden. Letztere gehen auf Konfrontation und versuchen, ihre Interessen mit harten Bandagen gegenüber der Firmenleitung durchzusetzen, wobei sie auch nicht davor zurückschrecken, Unternehmen völlig umzubauen. Das ist nicht die Vorgehensweise von Union Investment. Wir setzen auf konstruktiven Dialog und wollen die Unternehmen als aktiver Investor dabei unterstützen, sich langfristig in die richtige Richtung zu entwickeln. Wenn die Interessen der Aktionäre verletzt werden, machen wir mit Nachdruck unseren Einfluss geltend, um Fehlentwicklungen zu verhindern.Die EU-Aktionärsrechterichtlinie sorgt in Europa für regulatorischen Rückenwind. Der Grundgedanke, die Aktionäre stärker in die Pflicht zu nehmen, mehr Rechenschaft und Aktivitäten einzufordern, ist ebenso richtig wie zukunftsweisend. Brüssel sah schon die Finanz- und Bankenkrise maßgeblich durch ein Marktversagen begründet, das aus mangelnder Überwachung durch die Investoren resultiert. Die Aktionäre sind die Eigentümer – und Eigentum funktioniert nur dann, wenn Eigentümer ihre Rechte aktiv wahrnehmen und ihrer Verantwortung gerecht werden.Die Unternehmen tun gut daran, die Anforderungen an gute Unternehmensführung, wie sie im Deutschen Corporate Governance Kodex oder in den Abstimmungsrichtlinien der Fondsgesellschaften formuliert sind, nicht nur als lästiges Pflichtenheft zu sehen, das es abzuarbeiten gilt. Vielmehr sollen diese Anforderungen dazu beitragen, Anlegerinteresse und Unternehmensinteresse in Einklang zu bringen und somit den Wert des Unternehmens langfristig zu steigern. Es gibt an dieser Stelle also keinen Interessenkonflikt zwischen Investor und Unternehmen. Neuer Geist erforderlichWichtiger als formale Regeln auf dem Papier ist dabei das konkrete Engagement aller Beteiligten. Ein neuer Geist muss Einzug halten in die Unternehmen und vom Management vorgelebt werden, damit Corporate Governance zum festen Bestandteil der Unternehmenskultur wird – und zwar im umfassenden Sinne von “checks and balances” auf allen Ebenen. Die Kapitalseite im Aufsichtsrat muss sich stärker als Vertreter der Aktionäre begreifen und für deren Belange einsetzen. Um diese Interessen zu verstehen und glaubhaft vertreten zu können, ist auch ein intensiverer Dialog mit den Investoren nötig. Manche Unternehmen tun sich damit noch schwer, aber die Erfahrung zeigt, dass der Dialog mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden sehr sinnvoll ist und beiden Seiten Erkenntnisgewinne bringt.Mit jeder neuen Krise wächst das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Corporate Governance, denn Unternehmensskandale können nicht unabhängig von der Unternehmensführung betrachtet werden. Bei vielen Unternehmen wirkt die Integration von ESG-Themen in den Investmentprozess wie ein erweitertes Frühwarnsystem. So lieferten die Datenpunkte zu VW frühzeitig Hinweise auf Defizite beim Thema Corporate Governance, sei es aufgrund mangelnder Transparenz oder fehlender Kontrolle von außen durch unabhängige Aufsichtsratsmitglieder.Doch erst nach Bekanntwerden des beispiellosen Skandals um manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen kommt nun Bewegung in den Konzern. Das geht so weit, dass der Daimler-Aufsichtsrat mit Frau Hohmann-Dennhardt den amtierenden Vorstand für Integrität und Recht “im Interesse der Good Corporate Governance der deutschen Autoindustrie” vorzeitig aus dem Vertrag entlässt, um künftig in gleicher Funktion beim Wolfsburger Konkurrenten funktionierende Governance-Strukturen aufzubauen. Dies ist ein einmaliger Vorgang, der die Bedeutung guter Corporate Governance eindrucksvoll unterstreicht.Was zuletzt bei der Deutschen Bank passierte, dürfte ebenfalls in die Annalen der deutschen Wirtschaftsgeschichte eingehen. Nach Manipulationsvorwürfen, Rechtsstreitigkeiten, Strafzahlungen in Milliardenhöhe und wiederholten Zielverfehlungen entzogen die Aktionäre dem Vorstand auf der Hauptversammlung mit einem deutlichen Abstimmungsergebnis das Vertrauen. Auch hier warfen die diversen Rechtsstreitigkeiten, Affären und Skandale ein schlechtes Licht auf die Unternehmensführung, zumal die Finanzaufsicht gegen mehrere Personen an der Unternehmensspitze ermittelte. Das Beispiel zeigt, dass die Rolle der Investoren als kritischer Wächter über gute Unternehmensführung funktioniert. Alle Anstrengung wertDas Engagement der Fondsgesellschaften für eine bessere Corporate Governance ist alle Anstrengung wert, denn sie stärkt das Vertrauen in die Aktie als Anlageform und hat aus Sicht des Anlegers eine Schutzfunktion. Durch gute Unternehmensführung lassen sich Vermögensverluste und Skandale vermeiden, die aus unzureichender Kontrolle resultieren. So kann Corporate Governance einen wichtigen Beitrag zur Entstehung einer Aktienkultur in Deutschland leisten – und dies in einer Zeit, in der an der Aktie angesichts von Null- und Negativzinsen kein Weg mehr vorbeiführt. Der Grundgedanke dahinter ist letztlich ganz einfach: Die Deutschen wollen ihr Geld jemandem anvertrauen, den sie für einen ehrbaren Kaufmann halten und der sein Unternehmen nach klaren und nachvollziehbaren Regeln führt.—Jens Wilhelm, Vorstandsmitglied von Union Investment