ANSICHTSSACHE

Kein Steuergeld bei Schieflagen im Finanzsystem

Börsen-Zeitung, 31.3.2017 Auch im Jahr 2017 arbeiten Gesetzgeber und Aufseher noch kräftig an einem stabilen Fundament für Europas Finanzmärkte. Sie haben in den fast zehn Jahren seit Ausbruch der Krise Beachtliches geleistet: Wir nutzen heute...

Kein Steuergeld bei Schieflagen im Finanzsystem

Auch im Jahr 2017 arbeiten Gesetzgeber und Aufseher noch kräftig an einem stabilen Fundament für Europas Finanzmärkte. Sie haben in den fast zehn Jahren seit Ausbruch der Krise Beachtliches geleistet: Wir nutzen heute Marktstrukturen, die weitaus widerstandsfähiger und sicherer sind als zu Zeiten, zu denen sich der größte Teil des Finanzgeschehens außerhalb der regulierten Marktinfrastruktur abspielte. Das liegt unter anderem daran, dass der Gesetzgeber im Nachgang der Finanzkrise die Rolle zentraler Gegenparteien (Central Counterparties, kurz: CCP) gestärkt hat. 2009 war es beim G 20-Treffen in Pittsburgh einer der wichtigen Beschlüsse, standardisierte Derivatetransaktionen künftig von CCP verrechnen zu lassen.In Europa sorgt die EU-Derivate-Verordnung (Emir) dafür, dass das reibungslos funktioniert: Sie schreibt Sicherungsmechanismen fest, die CCP zu extrem robusten und ausfallsicheren Marktinfrastrukturen machen. So unterhält die Eurex Clearing einen Ausfallfonds, in den ihre Mitglieder gemeinschaftlich einzahlen. Wir selbst tragen dazu auch bei und haften zudem im Extremfall mit unserem Eigenkapital.Die Idee: Im Krisenfall stemmen unsere Mitglieder und wir selbst die Kosten, die durch Ausfälle einzelner Marktteilnehmer entstehen könnten. Das setzt für alle Akteure den richtigen Anreiz, Risiken im Sinne der Finanzstabilität zu managen.Aktuell arbeitet Brüssel an zwei Regelwerken für CCP: Zum einen steht die EU-Derivateverordnung auf dem Prüfstand. Zum anderen hat die Europäische Kommission einen Gesetzesentwurf für eine Verordnung über einen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von zentralen Gegenparteien vorgelegt, die CCP Recovery and Resolution Regulation. Damit nimmt das letzte Puzzleteil in der Regulierung von zentralen Gegenparteien Gestalt an.Bislang stärkt die Bankensanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (BRRD) das Finanzsystem, indem sie festlegt, welche Gläubiger bei einer Schieflage einspringen müssen und wann ein Kreditinstitut zu schließen ist. Der Entwurf der CCP Recovery and Resolution Regulation behandelt nun insbesondere die Frage extremer, aber plausibler Krisenszenarien für die unwahrscheinliche Situation, in der die Regeln der BRRD und die Sicherheitsmechanismen der Emir nicht ausreichen, um das Finanzsystem zu schützen. Konsistente Regeln wichtigDas neue Regelwerk ist ein wichtiger und richtiger Schritt, bei dem der Gesetzgeber zwei Herausforderungen gegenübersteht: Neue Regeln und Änderungen von Emir müssen konsistent mit anderen Regulierungsvorhaben gestaltet werden und sollen darüber hinaus international kompatibel sein. Und die in der Krise gelernten Lektionen sind nicht zu vergessen. Wir alle haben gesehen, was der sogenannte Moral Hazard anrichten kann und wie wichtig es ist, richtige Anreizstrukturen zu setzen. Daher sollte das oberste Prinzip lauten: Kein Einsatz von Steuergeldern. Wir brauchen ein Finanzsystem, in dem die Rechnung für Schieflagen nicht von der öffentlichen Hand beglichen wird.An dieser Stelle gibt es im Gesetzesentwurf noch eine Unstimmigkeit. Er sieht die Möglichkeit eines “Public Bail-out” vor. Wenn diese Möglichkeit besteht, sinkt der Anreiz für Clearingmitglieder, im Krisenfall die Sanierung des CCP voranzutreiben. Marktteilnehmer könnten stattdessen die Abwicklung bevorzugen, bei der der Staat eintritt. Damit wäre Moral Hazard im Default-Fall an der Tagesordnung – und das im Herzen der Finanzmärkte, den CCP, die als neutrale und unabhängige Risikomanager agieren. Gemeinsame KrisenvorsorgeDie Emir-Verordnung verlangt bereits heute, dass zentrale Gegenparteien jederzeit in der Lage sein müssen, den gleichzeitigen Ausfall ihrer beiden größten Mitglieder zu stemmen. Darüber hinaus haben viele CCP – darunter auch Eurex Clearing – eine Reihe zusätzlicher Risikomanagementwerkzeuge und -techniken entwickelt, die weit über die regulatorischen Anforderungen hinausgehen. All das sorgt dafür, dass unsere Kunden einen Anreiz haben, gemeinsam mit uns für Krisen vorzusorgen. Im sogenannten Default-Fall sollten wir alle gemeinsam Ausfälle schultern, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern.Daher sollte bei der CCP Recovery and Resolution Regulation die geplante Kompensationsklausel fallen gelassen werden. Die Idee hinter der Klausel: Marktteilnehmer dafür zu entschädigen, dass sie gemeinschaftlich für in Schieflage geratene Clearingmitglieder einstehen. Doch warum die Verluste eines Marktteilnehmers kompensieren, wenn dieser zuvor auf vertraglicher und freiwilliger Basis einer Verlustallokation zugestimmt hat, so wie es heute im CCP-Regelwerk der Fall ist? Manch einer argumentiert, die Klausel setze einen Anreiz für Clearingmitglieder, sich überhaupt an der Allokation von Verlusten zu beteiligen. Wir hingegen halten einen anderen Aspekt für viel wichtiger: Wenn im Krisenfall alle Mitglieder und der CCP gemeinsam Verluste schultern, ist die fortlaufende Erbringung von Clearingdienstleistungen gewährleistet. Und diese fortlaufende Erbringung ist wichtig für den Markt, weil nur sie ein adäquates Risikomanagement durch eine neutrale Marktinfrastruktur sicherstellt. Und dann kommen unsere Mitglieder weiterhin in den Genuss regulatorisch geringerer Eigenkapitalanforderungen und können weiter Clearingdienstleistungen für ihre Kunden erbringen. Das ist der wichtigste Anreiz überhaupt.An den anderen Stellen hingegen ergänzt der Entwurf passgenau die Emir. Er bietet eine sehr gute Möglichkeit, die Regelwerke der CCP zu verbessern und die Kapazitäten im Risikomanagement zu stärken. Allerdings kann das nur gelingen, wenn weiter die richtigen Anreize gesetzt werden. Der Finanzsektor muss in der Lage sein, extreme, aber mögliche Marktszenarien zu absorbieren – und zwar aus eigener Kraft, ohne Inanspruchnahme des Steuerzahlers.Eric Müller ist CEO der Eurex Clearing AG. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Eric MüllerDer geplante EU-Rahmen für die Abwicklung zentraler Gegenparteien ist ein richtiger Schritt. Aber es gibt noch Korrekturbedarf.——-