Kein Verfall à la Buddenbrooks
Von Jan Schrader, FrankfurtUnternehmerfamilien machen Politik. Sie wollen Geschäfte fortführen oder Vermögen bewahren, ihre Identität formen und die Familie zusammenhalten. Aus einem Wir-Gefühl heraus gründen die Mitglieder ein Family Office, um den “unternehmerischen Nukleus” über Generationen bewahren, schreibt das Institut für Familienunternehmen der privaten Universität WHU, auch als Otto Beisheim School of Management bekannt, in einer aktuellen Studie. 109 Family Offices haben die Autoren in Interviews befragt.Der 46-seitige Bericht unterstreicht den politischen Charakter dieser Einheiten: Es geht nicht nur um Steuervorteile und eine gemeinsame Kapitalanlage, sondern etwa auch um den Umgang mit Konflikten und die Vorbereitung von Generationenwechsel, schreiben die Doktoranden Antonia Schickinger und Philipp Bierl unter wissenschaftlicher Leitung von Max Leitterstorf und Institutsleiterin Nadine Kammerlander. Family Offices werden nicht nur von Familienmitgliedern selbst geleitet, sie halten die Werte einer Familie häufig auch in einer Charta fest und werden von einem Aufsichtsgremium überwacht, in dem neben Experten von außen auch Familienmitglieder sitzen.Nicht nur Privilegien, sondern auch Pflichten sind prägend für die Familien. Bereits in jungen Family Offices existieren ungeschriebene Regeln in Form einer “Handschlagmentalität”, doch viele Family Offices legen die Regeln auch ausdrücklich fest, um spätere Konflikte zu vermeiden. Einige Familien betonen ständische oder aristokratischen Wurzeln und pflegen ihre Geschichte und Werte. In einigen Unternehmerfamilien sind auch Eheverträge üblich, um im Falle einer Scheidung die Übertragung von Vermögen an Außenstehende zu verhindern, wie es im Bericht heißt. Gemeinsam oder getrenntMitunter zögern Familien, eine Gesellschaft zum Erhalt von Identität und Vermögen zu gründen. Nach einem Verkauf eines Unternehmens etwa ziehen es manche Menschen offenbar vor, fortan getrennte Wege zu gehen, anstatt einen langanhaltenden “Verfall à la Buddenbrooks” zu erleben, wie die Autoren formulieren. Ein Family Office soll natürlich den Zerfall einer Familie, wie ihn Thomas Mann in seinem berühmten Roman über eine hanseatische Kaufmannsfamilie beschrieben hat, verhindern. Das aber erfordert Einheit und Disziplin. Ein gemeinsames Family Office ist somit auch ein Bekenntnis.Nicht jede wohlhabende Unternehmerfamilie hat ein Family Office: Viele familiengeführte Unternehmen haben eine generationsübergreifende Geschichte, ehe die Familie eine gemeinsame Einheit für den Vermögenserhalt gründet. Die meisten Family Offices sind daher auch erst nach der Jahrtausendwende gegründet worden. Deutschlandweit gibt es laut Bericht heute bereits 350 bis 450 Family Offices, die als separate Rechtseinheit auftreten und ab einem liquiden Familienvermögen von ungefähr 50 Mill. Euro relevant werden. Hinzu kommen Einheiten ohne separate rechtliche Struktur sowie sogenannte Multi Family Offices, die für mehrere Familien tätig sind. Während manche Einheiten in einem Familienunternehmen eingebettet sind und die Überschüsse der Firma anlegen, gründen andere Familien ein Family Office, weil sie die ursprüngliche Firma verkauft haben und nun ihre Identität als Unternehmerfamilie fortführen wollen. Auch verändern sich die Familie und ihre Ziele im Laufe der Generationen. Kein Family Office gleicht dem anderen.Die Kapitalanlage ist ebenfalls durch die Lage der Familien geprägt, zeigt der Bericht: Ist das ursprüngliche Unternehmen noch in ihrem Besitz, ist die Absicherung häufig ein zentrales Motiv, was für den Aufbau liquider Reserven spricht. Mit Verkauf eines Familienunternehmens verändert sich das Portfolio teils drastisch: Dann spielen Direktbeteiligungen und Wagniskapital eine größere Rolle, ebenso eine breitere Verteilung des Vermögens auf verschiedene Anlageklassen. Auch die Familiengeschichte prägt die Anlage und kann etwa in einem hohen Land- und Forstbesitz Ausdruck finden. Konservative AnlegerDer Vergleich mit Private-Equity-Fonds, die sich ähnlich wie viele Family Offices an Unternehmen beteiligen, unterstreicht die eher konservative Haltung von Familien. Denn Family Offices sind in der Anlage längerfristig orientiert, streben vor allem nach Kapitalerhalt und verfolgen, je nach Selbstverständnis der Familie, nicht nur finanzielle Werte. Fonds seien dagegen stärker auf Rendite getrimmt, heißt es in dem Bericht. Jedoch sei es ein Mythos, das Private-Equity-Fonds Investitionen nur auf kurze Sicht beurteilten und mit weitaus höherer Verschuldung als Family Offices operieren.Welche Familien genau befragt worden sind, lässt der Bericht offen – über Wohlstand äußert sich wohl niemand gerne öffentlich. Dabei können Familienunternehmen im positiven Sinne prägend sein, weil sie als Unternehmer Werte schaffen und mitunter als Mäzen etwas zurückgeben. Aber natürlich rümpfen viele Menschen die Nase, wenn sie den hohen, über Generationen weitergereichten Wohlstand sehen. Die Familien halten sich lieber zurück. Auch das gehört zur Politik eines Family Office: Diskretion.—–Family Offices steuern nicht nur Vermögen, sondern halten Unternehmerfamilien zusammen. —–