ANSICHTSSACHE

Keine "Gerechtigkeitslücke" durch die Abgeltungsteuer

Börsen-Zeitung, 30.12.2016 Das Land Brandenburg hat im Bundesrat Ende Oktober 2016 einen Entschließungsantrag zur Abschaffung der Abgeltungsteuer eingebracht. Im Mittelpunkt des Antrages steht die Aussage, dass eine pauschale Besteuerung mit 25 %...

Keine "Gerechtigkeitslücke" durch die Abgeltungsteuer

Das Land Brandenburg hat im Bundesrat Ende Oktober 2016 einen Entschließungsantrag zur Abschaffung der Abgeltungsteuer eingebracht. Im Mittelpunkt des Antrages steht die Aussage, dass eine pauschale Besteuerung mit 25 % eine unverhältnismäßige Bevorzugung hoher Kapitalerträge darstellen würde. Insbesondere Arbeitnehmer seien demgegenüber mit der progressiven Besteuerung ihrer Einkünfte schlechter gestellt. Dies untergrabe die Steuermoral und verstoße gegen das Gerechtigkeitsempfinden im Land. Mit dem Thema Steuergerechtigkeit soll politisch gepunktet werden. Doch ist diese Beurteilung wirklich stichhaltig? Wie verhält es sich mit den Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen? Aktuell SubstanzbesteuerungBei den Zinseinkünften ergibt sich für den Kapitalanleger derzeit ein ernüchterndes Bild: Die aktuellen Renditen von börsennotierten Wertpapieren des Bundes sind durchgehend negativ. Mit anderen Worten wird der Anleger am Ende der Laufzeit ärmer und nicht reicher sein. Auch Tages- und Festgeldanlagen bewegen sich im Bereich von Zehntel-Prozentpunkten. Spätestens nach Berücksichtigung der Inflation von derzeit 0,5 % ist der Sparer nicht leistungsfähiger, sondern leistungsschwächer geworden. Gleichwohl greift der Fiskus auch auf den geringsten nominalen Ertrag mit 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag zu. Es kommt also in einer Niedrig- oder Negativzinsphase ebenso wie bei Inflation über der Nominalverzinsung zu einem Verzehr an Kapital und damit zu einer Substanzbesteuerung. Dies ist zum Leidwesen der Anleger keine zu vernachlässigende Momentaufnahme. Im Gegenteil, die Phase niedriger Zinsen wird uns nach aller Voraussicht noch lange begleiten.Auch die Besteuerung der Dividenden und Veräußerungsgewinne kann die Anleger nicht glücklich machen. Es ist nämlich die vorausgehende Belastung auf Ebene der Kapitalgesellschaft mit Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag von insgesamt etwa 30 % zu berücksichtigen. Die zusätzliche Steuerbelastung beim Anleger führt zu einer Gesamtbesteuerung der ausgeschütteten Dividenden von knapp 50 % und damit weit über dem Spitzensatz der Einkommensteuer.Dies zeigt, dass die Argumente der Reformbefürworter nicht stichhaltig sind. Es ist schlicht nicht zutreffend, dass ein Kapitalanleger durch die Abgeltungsteuer besser gestellt wird als der progressiv besteuerte Arbeitnehmer. Zinseinkünfte werden aktuell sogar über die Leistungsfähigkeit des Anlegers hinaus besteuert, Dividenden wie Veräußerungsgewinne generell deutlich über dem Spitzensteuersatz von Arbeitseinkünften. Eine “Gerechtigkeitslücke” ist daher definitiv nicht gegeben. Ein weiteres Argument für eine Reform soll die zukünftige Geltung eines weltweiten Informationsaustausches über Finanzkonten in Steuersachen sein, zu dem sich bereits viele Staaten verpflichtet haben. Hiermit steige für Steuerhinterzieher im Ausland das Entdeckungsrisiko. In Konsequenz entfalle damit das politische Argument für eine Abgeltungsteuer, den Steuerpflichtigen Anreize für eine Rückführung von ausländischem Vermögen bzw. einen Verbleib im Inland zu geben.Bei diesem Argumentationsstrang wird aber übersehen, dass der erste Austausch von Informationen erst Ende des Jahres 2017 geplant ist. Darüber hinaus müsste eine effektive Auswertbarkeit der Daten erst durch die Schaffung der technischen Möglichkeiten auch im Inland sichergestellt werden. Ein funktionstüchtiger, tatsächlich praktizierter und weltumspannender Austausch der steuerrelevanten Informationen bleibt damit noch lange Zukunftsmusik. Im Übrigen stellt eine Abgeltungsteuer innerhalb Deutschlands keinen Widerspruch zum automatischen Informationsaustausch dar. Dies beweist auch der Umstand, dass in der Europäischen Union die Mehrzahl der Mitgliedstaaten eine Art Abgeltungsteuer eingeführt hat.Zu warnen ist schließlich vor der impliziten Erwartung, mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer würde sich das Steueraufkommen für den Fiskus erhöhen. Zum einen wäre dann zu regeln, ob Veräußerungsgewinne wie bisher generell zu besteuern sind. Als Ausgleich für den moderaten Satz der Abgeltungsteuer waren bei ihrer Einführung alle Veräußerungsgewinne steuerpflichtig geworden. Die Wiedereinführung von Spekulationsfristen erscheint notwendig, um etwa eine Belastungsgleichheit zu Immobilienvermögen herzustellen.Zum anderen müssten die Werbungskosten für die Kapitalanleger, wie beispielsweise Depotgebühren, Fremdkapitalzinsen, Fahrten zu Hauptversammlungen wieder zum Abzug zugelassen werden. Negativzinsen müssten in Ansatz gebracht werden können. Gleichzeitig wäre auch die eingeschränkte Verlustverrechnung von Kapitalerträgen aufzuheben. Und letztlich würde die Besteuerung nach dem individuellen Steuersatz auch eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften bedingen. Mindereinnahmen drohenFiskalisch könnte dies gravierende Konsequenzen haben. Da derzeit drei Viertel des Steueraufkommens der Abgeltungsteuer aus Dividenden resultiert, wären Steuermindereinnahmen höchst wahrscheinlich. Diesen Effekt haben Berechnungen der Bundesregierung für vergangene Jahre längst bestätigt. Wenn aber kein fiskalischer Mehrertrag zu heben ist und die Kosten der Steuereintreibung steigen, ist der Sinn einer abermaligen Systemumstellung mehr als fraglich.Es ist somit höchste Zeit, sich die Meriten der Abgeltungsteuer vorurteilsfrei vor Augen zu führen: In einem millionenfachen Massenverfahren ermöglicht sie die reibungsfreie Abführung der Steuer auf Kapitalerträge. Sie hat sich in den vergangenen sieben Jahren bewährt und funktioniert unbeanstandet.—-Georg Baur ist Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB).In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Georg BaurDie Abgeltungsteuer hat sich als Massenverfahren für die reibungsfreie Abführung der Steuer auf Kapitalerträge bewährt.——-