Keine Modelle für Schnibbeloasen

Von Dietegen Müller, Frankfurt Börsen-Zeitung, 29.6.2016 Das kleine Auditorium im House of Finance an der Goethe-Universität in Frankfurt war fast bis auf den letzten Platz besetzt, als der Wiener Professor Thomas Gehrig der Frage nachging, was die...

Keine Modelle für Schnibbeloasen

Von Dietegen Müller, FrankfurtDas kleine Auditorium im House of Finance an der Goethe-Universität in Frankfurt war fast bis auf den letzten Platz besetzt, als der Wiener Professor Thomas Gehrig der Frage nachging, was die Entwicklung in Europas Börsenlandschaft antreibt. Eine Frage, die mit Blick auf die geplante Fusion zwischen Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) die Gemüter erregt – nach dem Brexit noch mehr als zuvor.Doch Gehrig nahm das Thema bewusst nicht auf die Agenda. Bald wird klar, hätte er es gehabt, wäre kaum eine klare Aussage zu erwarten gewesen. Der Ökonom, der auch am Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London tätig ist, stellte sich nämlich auf den Standpunkt, die Modellierung von Finanzzentren sei schwierig, wenn nicht gar unmöglich, und es gebe kein Gesamtmodell einer Börsenlandschaft. “Es ist nicht so klar, warum deutsche Aktien in Deutschland gehandelt werden”, sagte er und warf so mehr neue Fragen auf, als er beantwortete. Denn warum sind einige Versuche von Börsenbetreibern gescheitert, Liquidität auf neue Plattformen im Ausland zu ziehen, andere aber funktionieren? Die hohen Marktanteile von multilateralen Handelsfazilitäten oder Dark Pools in Europa zeigen, es ist möglich. Diese “Schnibbeloasen”, wie Gehrig sie nennt, da sie mittels Preisdruck Marktanteile von etablierten Handelsplätzen abknapsen, seien “erlaubt” und “valable Konkurrenten”, sagt der Professor nur. Und: Ihre Präsenz führe zu einer “schlechteren Preisfindung”.Warum, wird nicht ganz klar. Die Entwicklung wissenschaftlicher Modelle steckt noch in den Anfängen. Und Börsenlandschaften ändern sich über die Dekaden. Gab es vor 90 Jahren eine Vielzahl regionaler Börsen, setzte dann ein Konzentrationsprozess ein, der bis in die Mitte des vergangenen Jahrzehnts anhielt. Durch die Finanzmarktrichtlinie Mifid teilte sich die Liquidität aber wieder auf verschiedene Handelsplätze auf. Das ist nichts Neues, nein, fast mutet das Vorhaben von Deutscher Börse und LSE etwas aus der Zeit gefallen an.Nicht viel geändert hat sich auch an den Sorgen, die Preisbildung auf den Märkten funktioniere nicht immer optimal und der Informationsfluss sei ungleich verteilt. “Es gibt sehr starke lokale Informationen”, stellt Gehrig fest – was für kurze Wege und damit eine Marktfragmentierung spricht. Doch Fragmentierung erhöht die Transaktionskosten. Eine Konzentration wäre besser. Wie man es dreht und wendet, der Börsenbetrieb scheint nicht nur den Käufern oder Verkäufern von Wertpapieren mitunter Rätsel aufzugeben, sondern sich auch den Erkenntnissen der Wissenschaft entziehen zu wollen. ——–Mal war der Börsenhandel fragmentiert, dann konzentriert. Wohin die Reise geht, ist offen.——-