GASTBEITRAG

Kenntnisse und Kompetenzen - mehr als ein Mifid-Randthema

Börsen-Zeitung, 9.1.2018 Nach Jahren intensiven Ringens ist am 3. Januar 2018 die europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid II in Kraft getreten. Die öffentlichen Diskussionen dazu waren in den vergangenen Monaten vor allem durch die bevorstehenden...

Kenntnisse und Kompetenzen - mehr als ein Mifid-Randthema

Nach Jahren intensiven Ringens ist am 3. Januar 2018 die europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid II in Kraft getreten. Die öffentlichen Diskussionen dazu waren in den vergangenen Monaten vor allem durch die bevorstehenden Änderungen in den Regulierungsbereichen Research(kosten) und – mit einigem Abstand – Geschäftsmodelle sowie Product Governance geprägt. Zum Mifid-II-Komplex zählen jedoch noch weitere Aspekte wie beispielsweise Kenntnisse und Kompetenzen im Anlagegeschäft. Schließlich wurden die jüngeren Finanzkrisen nicht nur durch systemische Schwachstellen, sondern auch durch Defizite fachlicher und ethischer Art ausgelöst.Ohne auch diese Schlüsselaspekte zu adressieren, dürfte es schwer werden, das Regulierungsziel – Stärkung des Anlegerschutzes und Wiederherstellung des Vertrauens in das Finanzsystem – zu erreichen. Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz (FiMaNoG) setzt die Maßgaben der entsprechenden ESMA-Leitlinien 2015-1886 nun mit der Änderung der Mitarbeiteranzeigeverordnung (MaAnzV) zum Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) in nationales Recht um. Dies könnte allerdings nicht ganz unproblematisch werden. Gut gemeinter EiferWährend die ESMA in ihren “Guidelines for the assessment of knowledge and competence” von einer bedarfsgerechten Weiterbildung spricht, also zum Beispiel beim Auftauchen neuer Vorschriften oder Erfordernisse, stellt der deutsche Gesetzgeber auf eine regel-, also turnusmäßige Fort- und Weiterbildung ab und dürfte die Branche damit überfordern. Zudem geht die künftige MaAnzV zum WpHG in Bezug auf die Differenzierung der Berufsgruppen zwar deutlich über die schlichte Zweiteilung in den ESMA-Leitlinien hinaus und benennt bereits fünf Berufsgruppen, nämlich Mitarbeiter in der Anlageberatung, Vertriebsmitarbeiter, Vertriebsbeauftragter, Mitarbeiter in der Finanzportfolioverwaltung und Compliance-Beauftragter. Allerdings wird auch dieses erweiterte Spektrum der tatsächlichen professionellen Vielfalt der Investmentbranche nicht gerecht und lässt noch Verbesserungsspielraum hinsichtlich Systematisierung, Zuordnung und Abstufung der jeweiligen konkreten Sachkundeanforderungen erkennen.Auch mit der Verbindlichkeit ist es so eine Sache: Während die ESMA-Leitlinien die nationalen Regulierungsbehörden vor die Wahl stellen, entweder eine (vollständige) Liste angemessener Qualifikationen oder aber eine (vollständige) Auflistung erforderlicher Kenntnisse und Kompetenzen bereitzustellen, versieht der deutsche Diskussionsentwurf die Formulierungen zu den einzelnen Sachkundeanforderungen an auffallend vielen Stellen mit dem – abschwächenden – Zusatz “insbesondere” und beschränkt sich bei der Aufzählung der qualifizierenden Berufs- und Studienabschlüsse auf einige Regelbeispiele. Bunte MischungDer §4 der MaAnzV enthält einige Aufzählungen qualifizierender Abschlüsse im Kontext des Anlagegeschäfts. Die Auswahl reicht von Universitätsabschlüssen, Abschlusszeugnissen als Bank- oder Sparkassenkaufmann beziehungsweise -fachwirt und beispielsweise dem Investmentfachwirt (IHK) bis hin zum Geprüften Fachwirt für Versicherungen sowie einigen weiteren. Trotz etlicher vorgesehener redaktioneller Änderungen spiegelt diese Aufzählung jedoch nur peripher die Einstellungs- und Beschäftigungspraxis in den fünf neu geregelten Berufsgruppen wider. Dies wird besonders plastisch am Beispiel der Finanzportfolioverwalter, wo regelmäßig professionelle Qualifikationen wie CFA, CIIA, CRM, CFP und vieles mehr arbeitgeberseitig eingefordert werden und in der Praxis auch häufig und zunehmend anzutreffen sind. Hier fehlt jedenfalls eine berufsgruppengemäße Spezifizierung, wie sie an anderer Stelle der künftigen MaAnzV zum WpHG bei der Auflistung der erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen durchaus bereits angelegt ist.Zwar weist die regulatorische Behandlung der Kenntnisse und Kompetenzen von bereits fünf Berufsgruppen im Anlagegeschäft in die richtige Richtung. Wünschenswert wäre jedoch eine vollständigere Erfassung und Systematisierung der als eigenständige Berufsgruppen identifizierbaren Tätigkeiten entlang der Wertschöpfungskette des gesamten privaten und institutionellen Investment Management. Zu nennen sind hier sicherlich längst etablierte Berufe wie Finanzanalyst, Risikomanager, Investmentcontroller, Mitarbeiter in der Produktentwicklung sowie Mitarbeiter in Performancemessung und -reporting. Mit Blick auf die Zukunft wären erste Rahmensetzungen für anlagenahe Fintech-Berufe auf Basis der bereits existierenden BaFin-Systematik ebenfalls sinnvoll.Der deutsche Regulierer wählt – anders als von der ESMA vorgeschlagen – einen doppelten Weg zum Sachkundenachweis, nämlich einerseits eine (berufsgruppenspezifisch nicht hinreichend ausdifferenzierte) Auflistung erforderlicher Kenntnisse und Kompetenzen und andererseits eine (nur exemplarische) Enumerierung qualifizierender Studien- und Ausbildungsabschlüsse. An beiden Stellen sollte im Dialog mit den einschlägigen Bildungsträgern und Berufsverbänden nachgearbeitet werden.Die künftige MaAnzV zum WpHG unterscheidet zwischen beratungsbezogener, fachlicher und regulatorischer Sachkunde. Die Bereitstellung konkreter gruppenspezifischer Maßgaben bezüglich aller dieser Sachkundeumfänge für sämtliche gängigen Berufsbilder des Anlagegeschäftes wäre sehr hilfreich. Weiterhin zweckdienlich wären eine Differenzierung und Konkretisierung der Erfordernisse bei Erstqualifikation einerseits und bei Fort- beziehungsweise Weiterbildung anderseits sowie Qualitätskriterien für Bildungsanbieter und für Sachkundenachweise jenseits von Berufs- und Studienabschlüssen. “Alte Hasen”-RegelungDie Diskussion um die Sachkunde- sowie Fort- und Weiterbildungserfordernisse auf individueller wie auf Unternehmensebene sollte unbedingt fortgeführt werden. Vielleicht wäre hier auch eine freiwillige Veröffentlichung jedes Unternehmens zu den Kenntnissen und Kompetenzen seiner Belegschaft wettbewerbsfördernd. Zudem wäre eine “Alte Hasen”-Regelung wünschenswert: Langjährigen sachkundigen Beschäftigten wird man kaum zumuten können, nach Jahrzehnten einschlägiger Berufserfahrung nun plötzlich qualifizierende Abschlüsse nachholen zu müssen – von der Pflicht zu stetiger Fort- und Weiterbildung sollten sie aber nicht entbunden werden.Und abschließend: Wie eingangs erwähnt waren die jüngeren Finanzkrisen auch von ethischen Defiziten geprägt. Dieser Aspekt ist in der aktuellen regulatorischen Diskussion um die neuen Sachkundeanforderungen merkwürdigerweise ausgeklammert. Es sei dem Regulierer daher dringend empfohlen, auch Nachweise über die finanzethische Bildung der Anlagespezialisten hierzulande einzufordern.—-Harald Edele, Direktor Kapitalmarkt & Regulierung CFA Society Germany